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Kultur: Gut abgebückt ist halb vergessen

Das Literaturzentrum Neubrandenburg sieht sich mit seiner Stasi-Vergangenheit konfrontiert

Mecklenburg könnte ein guter Ort sein für die Literatur. Mehr als ein halbes Dutzend Einrichtungen kümmern sich um Uwe Johnson, Wolfgang Koeppen oder Hans Fallada. Und natürlich gibt es das Literaturzentrum Neubrandenburg e.V., das im Brigitte-Reimann-Haus seinen Sitz hat (www.literaturzentrum-nb.de). An der Stelle, an der Reimann von 1968 bis zu ihrem Tod 1973 wohnte, steht heute ein heller, freundlicher Neubau. Den Besucher erwartet eine sorgfältig konzipierte Ausstellung zu Leben und Werk, im Keller lagert der Nachlass. Was noch dort lagert, macht es allerdings schwer, nicht von den sprichwörtlichen „Leichen im Keller“ zu sprechen. Gerade hat das deutsche PEN-Zentrum die Verantwortlichen des Literaturzentrums aufgefordert, endlich alle Verbindungen zur Staatssicherheit konsequent aufzuarbeiten.

Gänzlich neu sind die Vorwürfe nicht. 1971 war das Zentrum als ostdeutsches Pilotprojekt via Parteiauftrag von Tom Crepon (seit 1972 auch IM „Klaus Richter“) gegründet worden. Seine Aufgabe bestand gleichermaßen in der Autorenbetreuung wie -überwachung. Dass der DDR-Literaturbetrieb ein weitgehend reglementiertes Unternehmen war, ist bekannt. Vor wenigen Wochen allerdings erschien eine Studie der Germanistin Christiane Baumann, die im Auftrag des Oberbürgermeisters der Stadt Neubrandenburg die „Geschichte des Literaturzentrums Neubrandenburg 1971-1989“ (im Internet unter der Adresse www.mvnet.de/landesbeauftragter abzurufen) untersucht.

Sie kommt zu dem Ergebnis, dass es am Zentrum „zwischen 1989 und 2004 keine intensive Auseinandersetzung mit der Vorgeschichte der eigenen Einrichtung gegeben“ habe. Zudem herrsche inhaltliche Kontinuität in der Konzeption des Hauses sowie personelle in Gestalt führender Vereinsmitglieder mit IM-Vergangenheit. Zu verzeichnen sei ein „Manko an kritischer Kompetenz in puncto DDR-Geschichte und DDR-Vergangenheit“.

Während andernorts – etwa am Potsdamer Literaturkollegium Brandenburg – nach 1989 eine teils freiwillige, teils erzwungene Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit stattfand, tat man in Neubrandenburg offenbar so, als sei nichts gewesen. Joachim Walther, der mit seinem Buch „Sicherungsbereich Literatur“ schon 1996 eine strukturelle Untersuchung zum Verhältnis von Schriftstellern und Staatssicherheit vorlegte, erinnert sich, dass es „in Neubrandenburg in den Neunzigerjahren bei verschiedenen Personen ein Interesse gab, die Aufarbeitung zu bremsen, die Geschichte auszulöschen“. Der Schriftsteller und Fallada-Biograf Werner Liersch spricht gar von einem „Sumpf“, einem „beispiellosen Fall weiterexistierender Seilschaften“. Liersch war seinerzeit von Crepon, der sich ebenfalls der Fallada-Forschung verschrieben hatte, als Konkurrent aufs Übelste denunziert worden. Zu den Opfern der Spitzeltätigkeit Crepons und einiger seiner Mitarbeiter zählten neben Brigitte Reimann auch zahlreiche junge, vom Haus betreute Autoren. 1985 gab Crepon die Leitung an seine Stellvertreterin Heide Hampel ab, die vom MfS als IM „Jenny Brauer“ geführt wurde. Nach Erscheinen der Baumann-Studie ist Heide Hampel als Geschäftsführerin des Literaturzentrums zurückgetreten. Nicht etwa als Konsequenz aus ihren erwiesenen Kontakten zur Staatssicherheit, sondern wegen der „vergifteten öffentlichen Atmosphäre“. Und „um Schaden vom Literaturzentrum Neubrandenburg e.V. abzuwenden“.

Diesen Schaden hat das Zentrum längst genommen. Das weiß auch Erika Becker, die seitdem kommissarisch die Geschäfte führt. „Wir suchen nichts zu vertuschen“, erklärt sie und verweist auf die – wie sie eingesteht – halbherzigen Aufklärungsversuche. Und sie rechnet der Baumann-Studie Fehler, Ungenauigkeiten und falsche Interpretationen vor.

Viele Einwände sind sachlich nachvollziehbar, ändern aber wenig am Gesamtbefund. Sicherlich, bei der Erbepflege oder Programmgestaltung hat man sich nach 1989 von einigen alten Konzepten gelöst. Der Veranstaltungsplan weist Lesungen mit Richard Wagner oder Wladimir Kaminer aus – neben einer Hommage an das regionale Dichterdenkmal und hochrangige SED-Mitglied Helmut Sakowski.

Und dass im Keller neben dem Reimann-Nachlass auch die von Joachim Wohlgemuth und Franz Freitag liegen, Schriftsteller, die Brigitte Reimann ausspioniert haben? Die Archive, sagt Erika Becker, sollen die literarische Entwicklung der Region dokumentieren. Es gehe nicht darum, „irgendwelche Ehrenplätze einzurichten“. Das sieht die Vorsitzende der Brigitte-Reimann-Gesellschaft, Margrid Bircken von der Universität Potsdam, nicht anders.

Für sie zeugt die Diskussion um das Neubrandenburger Zentrum auch von „Verteilungskämpfen in der Kultur“. Wer zu Reimann forscht, hätte es immer mit dem „widerständigen Potenzial dieser Literatur“ zu tun, das nicht nur die DDR-Gesellschaft meine. Die Vorwürfe gegen das Reimann-Haus ließen auch eine Abwehr gegen alles erkennen, „was sich nicht unter einer ganz bestimmten Erinnerungskultur abgebückt hat und im Mainstream funktioniert“.

Wie geht es weiter mit der Autoren- und Leseförderung in Neubrandenburg? Planungen sind momentan schwierig. Der Oberbürgermeister hat finanzielle Konsequenzen für das bislang vergleichsweise opulent ausgestattete Zentrum angekündigt. „Wenn wir mit der Aufarbeitung früher angefangen hätten“, räumt Erika Becker ein, „würde es viele Probleme heute nicht geben.“ Aber ein Interesse an systematischer Aufarbeitung bestand nicht. Wie auch, bei den gegebenen personellen Konstellationen. Nach den ersten Stasi-Vorwürfen gegen Heide Hampel wurde im letzten Jahr eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die den MfS-Einfluss auf das Literaturzentrum offen legen soll. Diese Arbeitsgruppe besteht aus drei Mitgliedern des gegenwärtigen Vorstands. Über deren Glaubwürdigkeit kann sich niemand Illusionen machen.

Die meisten Beteiligten der Debatte – einschließlich Christiane Baumann – stammen übrigens aus Ostdeutschland. 15 Jahre nach der Wiedervereinigung verläuft durch diesen Osten ein Riss.

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