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Kultur: Gute Moral

Das Monologfestival im Theaterdiscounter.

Den Performer Michael Kranz plagt ein Problem. Er hat die Dokumentation „Whores’ Glory“ von Michael Glawogger gesehen, darin wird diese junge Prostituierte aus Bangladesch porträtiert. Die erzählt von ihrem Alltag, irgendwann fragt sie in die Kamera, ob es für Frauen eigentlich nur den Weg des Leides gebe? Die Szene lässt Kranz nicht los. Sie hat seinen Helferinstinkt geweckt, seine Retterfantasien. Jetzt überlegt er, selbst eine Doku zu drehen. Darüber, wie er nach Bangladesch reist, die Frau zu finden versucht, ihr Hilfe anbietet. Er will erforschen, an welche Grenzen er dabei stößt. Und fragt, was das Publikum davon hält.

„Ich, unfinished“ heißt diese Performance, entwickelt vom Münchner Kollektiv Hunger & Seide. Sie ist Teil des Monologfestivals 2012 im Theaterdiscounter, ein ambitioniertes Uraufführungs-Programm mit elf Stücken, das in diesem Jahr unter populärem Nietzsche-Titel nicht weniger als die Moral ins Visier nimmt: „Jenseits von Gut und Böse“ – ein weites Feld.

Zwischen Kranz und den Zuschauern entwickelt sich eine lebhafte Diskussion. Die Beiträge reichen von „Du, dein Impuls kommt bei mir total positiv an, ich sehe so was Neugieriges, Kindliches bei dir“ bis zu den erwartbaren Anwürfen: Egotrip! Sexismus! Eurozentrische Weltsicht! Die Stimmung pendelt zwischen geisteswissenschaftlichem Proseminar und WG-Küche. Aber was soll’s, Kranz hat erreicht, was er wollte: dieses „Gut, dass wir drüber geredet haben“-Gefühl.

Moral ist momentan ja wieder schwer im Kommen auf dem Theater. Die Kuratoren Heike Pelchen und Michael Müller bezeichnen sie in der Festival-Broschüre zu Recht als „Reizthema“. Was auch der Monolog „Wir sagen“ der Gruppe bigNotwendigkeit beglaubigt: Für wen kann, soll, will ich Verantwortung übernehmen? Wen meinen wir, wenn wir „wir“ sagen? Schauspielerin Esther Becker performt diesen Kollektiv-Diskurs mit fröhlichem Sendungsbewusstsein. Und dann kommt der Moment, wo sich alle die Schuhe ausziehen sollen, um ein „Wir“ in Socken zu bilden. Was ausnahmslos jeder mitmacht. Erst später, als es an die Hose geht, scheren die meisten aus der Gemeinschaft aus.

Und die Moral von der Geschicht’? Die wird mal mehr, mal weniger gesucht und gefunden. Das Trio Lili Deli, Laura Kalauz und Agostina López schaltet in „Fluchtpunkt“ – angeblich live – in einen argentinischen Knast, wo eine Tschechin wegen Drogenschmuggels sitzt. Die berichtet in ihrem auf Kopfhörer übertragenen Monolog von einem Gefängnisalltag, der sich eigentlich ganz anheimelnd anhört. Es gibt einen blühenden Schwarzmarkt, regelmäßig dürfen „intimate visits“ beantragt werden, Schäferstündchen hinter Gittern.

Die Gruppe andcompany & Co – in diesem Jahr wurden gezielt Kollektive für die Soloshows angesprochen – speist das Festivalthema in ihre verlässlich fix rotierende Diskurs-Zentrifuge ein. „Out of the dark, into the night“ verquirlt Falco-Poesie, Euro-Krise, Occupy-Bewegung und den gesammelten Kommunismus zu einem gut gelaunten Ethik-ABC von Arbeits- bis Zahlungsmoral. Solide und immer für einen Kalauer gut, siehe: „D-Marx und Engels“. Patrick Wildermann

Noch bis 28. Oktober, Programm unter www.theaterdiscounter.de

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