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Kultur: Gute Nachbarn

Zwei Ausstellungen des Fotografen Jindrich Streit in Berlin

Wer schon dreißig Jahre lang in einem nordmährischen Dorf lebt, der kennt alle Nachbarn. Die haben keine Scheu, sich von dem Mann in nahezu allen Situationen fotografieren zu lassen, denn er mag sie, so wie sie sind. Jindrich Streit, 1946 geboren, erzählt gern kleine, paradoxe Geschichten. Er will weder Elend noch Verfall bloßstellen, sondern braucht diese chaotischen Wohnungen wo man viel Bier trinkt und sich ungehemmt liebt, der Nachbarn als Folie für die gute innere Verfassung der Menschen. Scheinbar sozial intendiert, verfolgt Streits Fotografie eine fast religiöse Absicht. Hauptsache, man lebt und glaubt an sich, egal wie die Verhältnisse sind. Den sozialistischen Kulturfunktionären gefiel diese Konfession allerdings durchaus nicht.

1982 beschlagnahmte man Streits Fotokamera als „Tatobjekt“ und verurteilte ihn wegen „Verunglimpfung der Republik und ihrer Repräsentanten“ zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung. Er durfte nicht mehr Fotografie unterrichten und arbeitete als Dispatcher auf einem Staatsgut.

Im Westen nahm man Streit erst nach der Wende wahr. Seitdem fotografierte er auch in Frankreich, Österreich und Deutschland, aber näher blieben ihm, neben der Heimat, Polen, Ungarn, Russland und sogar China. Im Tschechischen Zentrum, das eine kleine Auswahl hervorragender Arbeiten aus den Achtzigerjahren zeigt (Friedrichstr. 206, bis 9. Mai, Mo bis Fr 10-18 Uhr) und in der Fotogalerie Friedrichshain, die fünfzig neuere Arbeiten vorstellt (Helsingforser Platz 1, bis 23. Mai, Di bis Sa 13-18 Uhr), kann sich der Betrachter davon überzeugen, wie sehr Jindrich Streit seiner Themenwahl, seiner Intention und seinem wunderbar gelöst wirkenden Stil – selbstverständlich in Schwarz-Weiß – bis heute treu blieb.

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