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Kultur: Gute wuertze fuer die grozzen fuertze

Der Karneval steuert auf seinen Höhepunkt zu. Derb, deftig, körperlich geht es zu? Ach was, sittsam im Vergleich zum Mittelalter

Der Küchenmeister des Bischofs von Würzburg war ein fleißiger Mann. Tagtäglich stand er in der rauchgeschwärzten Küche seines Herrn, um Suppe zu kochen und Mus zu machen und fand trotzdem die Zeit, sein Wissen schriftlich festzuhalten. Im „buoch von guter spise“, dem ersten deutschsprachigen Kochbuch überhaupt, entstanden um 1350, sind auch zunächst die anspruchsvollen Rezepte eines vornehmen geistlichen Haushaltes zu finden: „pasteden“, „gefuelte kuchen“, „geriht von einem hechde“ oder „ein fladen von kalbslebern“. In dieser Rezeptsammlung stehen aber auch zwei Scherzrezepte, deren Umsetzbarkeit selbst Johann Lafer ins Schwitzen bringen dürfte: Ein besonders köstlicher Happen, der zudem für ein langes, sorgenfreies Leben sorge, so das „buoch von guter spise“, entstehe durch das Vermengen „von stichellinges magin und mucken fuezze“, Lerchenzungen, „meysen beyn“ und Froschkehlen. Und als Beilage zu Gerichten jeder Art eigne sich ein Drittelliter Schweiß, verfeinert mit Kieselsteinschmalz, Beeren, Weinlaub, Stieglitzfersen, Schilf, Liebstöckel und „minzen. Daz sint gute wuertze fuer die grozzen fuertze.“ Auch als „ein gut lecker“ Brechmittel könne diese Soße dienen.

Diese Scherzrezepte, die wohl keinem noch so aufgeschlossenen Gastrokritiker Lobeshymnen entlocken könnten, gesellen sich nahtlos zu den übrigen, völlig ernst gemeinten Rezepten. Ein solches Nebeneinander von Ernst und Scherz zeigt, dass selbst bei der harten, schmutzigen Arbeit in einer mittelalterlichen Küche noch Raum für Späße blieb. Dass das Mittelalter finster gewesen sein soll, eine Epoche, in der jedes Gelächter im Keim erstickt wurde und vor allem das Knirschen von Daumenschrauben und die „Aussatz! Aussatz!“-Schreie lepröser Bettler zu hören waren, ist ohnehin nur ein populärer Irrtum, der sich aus Trash-Romanen über Wanderhuren und schlecht recherchierten Hollywood-Blockbustern ernährt.

Tatsache ist: Im Mittelalter warnte die Kirche wirklich vor zu viel übersprudelnder Heiterkeit – nach damaliger medizinischer Auffassung auch aus gesundheitlichen Gründen. „Du solt nit zu vil froed hon“, so steht es in einem Pestgedicht, weil zu häufiges Lachen Herzkrankheiten verursachen und den Körper aus dem Gleichgewicht bringen könne. Schadenfreude galt als hässliche Gemütsregung, die dem Gebot der Nächstenliebe widersprach und somit gerade eines geistlichen Menschen nicht würdig war. Der unbekannte Verfasser der Regula Magistri, einer frühmittelalterlichen Mönchsregel, hielt das Lachen über sündige Dinge – oder gar über das Leiden anderer – für ein gefährliches und ungesundes Phänomen; die garstigste Ausdrucksform der Seele überhaupt, da es durch unreine Gedanken verursacht werde, die aus dem Herzen kommen und durch den Mund nach außen strömen. Ein Mönch solle solche Gedanken und das daraus resultierende Gelächter tunlichst vermeiden. Der Mund sei ein Filter von Gut und Böse und das Auslachen bedauernswerter Schwächerer deshalb die furchtbarste Verschmutzung dieses Filters, die einem geistlichen Menschen widerfahren könne.

Diesen Gedanken griff jener Mann auf, dessen Mönchsregel vom 9. Jahrhundert an maßgebend für das Klosterleben im europäischen Mittelalter wurde: Benedikt von Nursia (um 480 – um 547) ordnete an, dass ein Mönch „nicht Leeres und Lächerliches reden“ und „das viele und ausgegossene Lachen nicht lieben“ solle. Stattdessen müsse er vielmehr „seine Zunge vor böser und unschicklicher Rede bewahren. Leichtfertige Späße aber oder alberne und lächerliche Reden schließen wir für immer aus und verdammen sie allerorts, und wir gestatten nicht, dass der Jünger zu dergleichen den Mund öffne.“ Maßvolles Scherzen und Lachen räumte Benedikt den Mönchen jedoch ein. Dass es in den Klöstern also durchaus Momente des Vergnügens gab, zeigen nicht nur einzelne Stellen in den Schriften der Hildegard von Bingen, sondern auch Witzsammlungen aus verschiedenen Klöstern, die joca monacorum.

Im Vergleich mit den derben Scherzen des weltlichen Volkes muten die Späße der Geistlichen freilich noch recht harmlos an, denn während sie sittsam scherzten und dann wieder brav Psalmen sangen, sah es in den Schenken und Badehäusern ganz anders aus: Dort entwickelte sich eine Subkultur, in der Männer wie Frauen nicht nur verbotenerweise solch unerhörtem Teufelszeug wie Würfel- und Kartenspielen frönten und außerehelichen Ringelpiez trieben, nein, man lachte über die blasphemischsten und saftigsten Zoten: In den Schwänken des Mittelalters, die eine episch verbreiterte Frühform dessen darstellten, was wir heute unter einem dreckigen Witz verstehen, ging es um Handfestes. Da wurde von geilen Pfaffen und untreuen Ehefrauen erzählt, von einem naiven Nönnchen, das im Badehaus zum ersten Mal im Leben einen nackten Mann sieht und sein Gemächt für einen Massagestab hält, von Mönchen, die sich für schwanger halten, von durchtriebenen Bauerntöchtern und sexuell minderbegabten Rittern.

„Der Rosenbusch“, ein Schwank aus dem 15. Jahrhundert, den der Verfasser so niederschrieb, als habe er ihn selbst miterlebt, handelt gar von den Schamlippen einer schönen Jungfrau, die durch die zufällige Berührung mit einem Zauberkraut plötzlich sprechen können, worauf die Jungfrau in Streit mit dem „braunen, struppigen Ding, das sich da unten an meinem Körper festklammert“, gerät: „Das schwarze Monstrum“ beschwert sich nämlich lautstark, dass die Jungfrau sie immerzu verhülle und noch nicht einmal mit einer winzigen Spange schmücke. Die züchtige Schöne aber glaubt, die „Satansbrut“ zwischen ihren Schenkeln gar nicht zu benötigen. Beide trennen sich unter Tränen, und nun trollt sich „das Ding zu einer grünen Wiese“, wo es aber für eine Kröte gehalten wird und „kräftige Fußtritte hinnehmen“ muss. Währenddessen bemerkt ein Verehrer der Jungfrau, was ihr fehlt und macht seinen Unmut coram publico bekannt, so dass die Holde, von allen verlacht, zu der Wiese eilt, wo ihre Scham ihr schon freudig entgegenkriecht. Doch wie sollen die beiden nun wieder vereint werden? Die Jungfrau bittet den Verfasser jenes Schwanks um Rat, und er empfiehlt ihr, „das Ding an ihrem Körper festnageln zu lassen, und als sie mich bat, dies selbst zu besorgen, tat ich ihr den Gefallen: Ich setzte das Ding an den rechten Platz und trieb dann mit großer Schwungkraft einen starken Nagel hindurch, so dass es sich seitdem nie wieder von der Stelle gerührt hat.“ Und den Lesern des „Rosenbuschs“ empfiehlt der Verfasser: „Wer eine Frau hat, die er von Herzen liebt, der soll ihr das Ding immer recht kräftig an den Körper nageln, damit es nicht das Weite sucht.“

In der höfischen Dichtung hielt man sich mit derlei Eindeutigkeiten lieber vornehm zurück, und auch kein Text aus geistlicher Feder kann mit solch deftigen Geschichtenschmankerln auch nur annähernd mithalten. Ab dem 12. Jahrhundert erlaubten sich die Priester zwar immer häufiger, in ihre Predigten exempla einzubauen, erbauliche, manchmal auch harmlos lustige Erzählungen, doch von der erschöpfenden Darstellung sexueller und skatologischer Vorgänge waren ihre andachtsvollen Schriften weit entfernt.

Einer der wenigen geistlichen Texte, der solcherlei Körperlichkeiten für ein breites Publikum thematisiert, findet sich in der „Legenda aurea“ des Dominikaners Jacobus de Voragine. Um 1263-67 verfasst, gehörte die Legendensammlung zu den beliebtesten Büchern des Mittelalters. Jacobus erzählt in der Legende des Hl. Hilarius, wie der hochmütige Papst Leo dem heiligen Hilarius einst bei einem Konzil den Sitzplatz verweigerte. Als der Papst nun „an einen heimlichen Ort“ ging, „daß er die Notdurft der Natur verrichte; da fuhr in ihn die rote Ruhr und ging ihm all sein Eingeweide zum Leibe heraus; also starb er eines jähen Todes an einer schmählichen Statt.“ Die rote Ruhr, eigentlich eine Darmerkrankung, die aufgrund mangelnder Hygiene verursacht wird und durch blutige Durchfälle gekennzeichnet ist, die sich über mehrere Tage hinziehen, wird hier zur göttlichen Strafe: Der arrogante, boshafte Papst liegt nun tot in seinen eigenen Exkrementen auf dem kalten, gestampften Abortboden.

Überhaupt lachte man im Mittelalter gerne über körperliche Ausscheidungsvorgänge. Neben dem Koitus sind sie nicht nur in den Schwänken das zweite große Thema, sondern auch und gerade in den Fastnachtsspielen, die für den Stadtbürger im Mittelalter die einzige Form von weltlichem Theater darstellten, die er zeitlebens zu Gesicht bekam: Um 1440 entstanden diese kurzen Theaterstücke in Nürnberg, die ein einziges Mal pro Jahr, an Fastnacht, aufgeführt werden durften. Die Kirche hatte nun begriffen, dass sie das Volk wenigstens einmal im Jahr offiziell lachen und feiern lassen musste – wenn schon gesündigt wurde, dann bitte nur zu festgelegten Zeiten!

Man mag es kaum für möglich halten, aber die Fips-Asmussen-esken Plattitüden aus einschlägig bekannten Karnevalshochburgen, die wir gegenwärtig Jahr für Jahr im Fernsehen ertragen müssen, können sogar noch unterboten werden. Und die Fastnachtsspieldichter ließen in ihren Stücken keine Zote, kein Körpergeräusch und kein Ausscheidungsorgan aus: Darsteller waren allein stehende, maskierte Handwerksburschen, die im Stück nicht nur unter ein- bis zweideutigen Namen wie „Dietrich Seidenswanz“, „Hans Knoten in der Kotgass“ oder „Küssunsdiearskapp“ auftraten, sondern auch Thesen wie „Ein fotz helt wasser, hat kein poden“ ins Publikum donnerten. Sie erzählten stolz von geschwängerten Mägden und Dirnen: „Darumb hab ich ir oft ain wurst eingehangen, als lang, pis sie vorn auff ist gegangen“, furzten, rülpsten und stellten Ehekräche dar. Nicht selten endete solcher Zank in den Fastnachtsspielen mit dem Ratschlag, kratzbürstige Frauen künftig tüchtig durchzuprügeln, um weitere Aufsässigkeiten zu vermeiden: „Er sol ir geben ein gute morgengabe, hundert schleg alle tage.“

Ein Publikumsknüller waren auch stets die Arztbesuche verzweifelter Magenkranker, die mit verkniffenem Leidensgesicht bei einem Quacksalber auftauchten, wo sie zur Freude der Zuschauer in aller Ausführlichkeit und grotesker Übertreibung von Durchfall (im Frühneuhochdeutschen „laufscheisse“ genannt), Verstopfung, mannigfaltigen Stuhlkonsistenzen und aberwitzigen Therapieversuchen berichteten. Oder von peinlichen Begebenheiten, die einem Diarrhöekranken de facto widerfahren können: „Das ich wolt farzen, da beschaiss ich mich gar.“

In einem Spiel gar – dem „Vastnachtsspil vom Dreck“, in dem es um nichts anderes als einen riesigen Exkrementenhaufen geht, beratschlagen die dargestellten Bauern, was man mit diesem Haufen anfangen solle: Möbel daraus drechseln? Kopfkissen aus Kot nähen, an deren Zipfeln man bei Schlaflosigkeit nuckeln kann? Oder doch lieber Knödel daraus machen?

Halligalli in der Wirtsstube! Und hinterher wurde an den tollen Tagen auf den Straßen gefummelt, gebechert und getanzt. Nicht anders als heute, wenn sich entlang des Rheins enthemmte Jecken gegenseitig die Schminke vom Gesicht küssen und hinter Bushaltestellen in medias res gehen. Postkarnevalistische Vaterschaftsverwirrungen waren bei einer solchen Sause nicht ungewöhnlich – gerade weil die Priester sonntags Keuschheit predigten. Mit Hilfe verordneter sexueller Enthaltsamkeit sollte zwar Macht ausgeübt werden, doch bestimmte menschliche Bedürfnisse lassen sich eben nicht unterdrücken, sie suchen ein Ventil. Da verwundert es nicht, wenn ostentativ gegen die üblichen moralischen Normen verstoßen wurde: Freud, der im Sexualtrieb die größte Antriebskraft menschlichen Verhaltens sah, erkannte schließlich, dass gerade das Verbot dem Verbotenem seinen Wert verleiht und somit Obszönität als Kompensation gesellschaftlicher Zwänge dienen kann.

Im sinnenfrohen Spätmittelalter lockerte sich ohnehin die Einstellung der Kirche zu Körperlichkeiten. Die Muttergottes wurde nun oft hochschwanger, mit durchgedrücktem Rücken und lächelndem Gesicht dargestellt. Aufgeschlossene Prediger entwickelten schließlich einen Brauch, der uns heute geradezu bizarr erscheint: den risus paschalis, das Osterlachen. Der Priester versuchte, seine Gemeinde im Ostergottesdienst zum Lachen zu bringen. Das Lachen als Äußerung der Lebenslust sollte den Bann des Todes brechen und die Auferstehung Christi und den Triumph über den Teufel symbolisieren. Nicht nur harmlose Witze und heitere Ostermärlein wurden dabei eingesetzt, sondern auch Zweideutigkeiten und Zoten: Die Priester schnitten Grimassen, wälzten sich auf dem Boden, gackerten wie Hühner, bellten, muhten oder simulierten sogar Masturbationsbewegungen unter der Kutte, bis das Publikum vor Lachen schrie und grölte und erfrischt nach Hause gehen konnte.

Ausgerechnet der Mann, dem man fälschlicherweise bis heute den Ausspruch „Warum rülpset und furzet Ihr nicht? Hat es Euch nit geschmacket?“ zuschreibt, wetterte aber gegen die derben Scherze auf der Kanzel: Martin Luther (1483 – 1546) ächtete das Osterlachen schmallippig als „nerrisch lecherlich geschwetz“, welches das Kirchenvolk nur ablenke und empfahl den Priestern stattdessen, die Predigten auf das Wesentliche – das reine Gotteswort – zu beschränken. Eine gute Predigt solle ohnehin nicht länger als 45 Minuten dauern. Befürworter des Osterlachens sahen in den lustigen Geschichten das beste Mittel, um eingeschlafene Zuhörer wiederaufzuwecken, doch Luthers Minimalismus hatte Folgen: Mit dem Bildersturm der Reformation verschwanden zuerst Ablassbriefe, Marienstatuen und Heiligenreliquien aus den Kirchen. Später verstanden die moralinsauren Aufklärer des 18. Jahrhunderts den risus paschalis als Überbleibsel des überwundenen Mittelalters; einer düsteren Ära, von Bildungslosigkeit, der stetigen Angst vor Obrigkeiten und verschrobener Emotionalität bestimmt. Das herzhafte Gelächter am Ostermorgen wurde schwächer und verstummte schließlich ganz.

Doch der körpersaftige Humor des Mittelalters bleibt ein Evergreen der Unterhaltung, der uns heute immer noch begegnet – ob in ironischer Form wie der „bösartigen Titte“ in Woody Allens „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten“ oder verschwitzt herrenwitzig in den Geschlechterklischee-Schenkelklopfern bespaßungswilliger Fernsehcomedians.

Christine Knust

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