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Das Volk im Reichstagshimmel. Die begehbare Kuppel thront hoch über dem Sitzungssaal der gewählten Volksvertreter.

© dpa

Guttenberg-Debatte: Was zum Teufel will das Volk?

Meisterliche Machiavellisten haben Guttenbergs Popularität in eine "Mehrheit hinter Guttenberg" verwandelt, eine quasi demokratische Legitimation, die seine Fehler aufwiegt. Wie die Affäre aus der Welt geschafft werden soll.

Keine Frage, dass die Guttenberg-Debatte erneut ein grelles Licht auf die Kluft wirft, die sich zwischen Politik und Volk aufgetan hat. Es gab sie lange vor Horst Köhlers Rückzug, aber erst dieser spektakuläre Vorgang hat die Entfremdung zwischen Regierenden und Regierten ins Bewusstsein von Politikern und Medien gerückt.

Die narzisstische Kränkung und der Verdrängungsbedarf waren beträchtlich. Viele Bürger sehen als „Politik“ nur noch das, was Politiker und Medienleute im fernen Berliner „Politikbetrieb“ miteinander aushecken, um sich anschließend in den Talkshows der Republik die Augen auszuhacken. Ersatzstoff allenthalben, Plastikpolitik und Pseudokritik, Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.

Es ist kaum übertrieben, die Wahrnehmung der Politik durch das Volk so zu beschreiben. Und das zeigt eine erhebliche Funktionskrise der demokratischen Öffentlichkeit an. Das Vertrauen darauf, dass es im Großen und Ganzen vernünftig läuft, beruht darauf, dass die verschiedenen Akteure der Demokratie sich hinreichend misstrauisch auf die Finger sehen, um illegitime Machtspiele aufzudecken und abzustellen.

Die Beziehung von Politik und Medien ist zur Misstrauensgemeinschaft geworden. Doch dieses „Misstrauen“ ist nicht mehr das funktional wünschenswerte. Es beschreibt eine gegenseitige Abschätzigkeit, bei der jeder Seite der anderen vorhält, dass man auf die Beachtung der Grundregeln eben nicht mehr vertrauen kann. Medien, so sehen Politiker es nicht falsch, begleiten mit einem durchdringenden griechischen Chor jede politische Diskussion, zu hektisch, skandalisierend, willkürlich. Politiker, so sehen es Journalisten, widmen der Machterhaltung und ihren taktischen Winkelzügen mehr Energie als den sozialen Problemen oder gar politischen Zielen. Diese Urteile haben den Nachteil aller Pauschalurteile. Sie geben dem und den Besseren keine Chance. Niemand in der Bevölkerung glaubt ernsthaft, dass Politik in einem Fernsehtalk auf Wirklichkeit trifft. Wenn Medien sich das anmaßen und Politiker hinlaufen, dann entsteht bei den Konsumenten der Zuschauerdemokratie der Eindruck jenes „Politikbetriebs“, der von der Lebenswirklichkeit einer Krankenschwester, eines Handwerkers oder einer Lehrerin Lichtjahre entfernt ist.

Nirgendwo ist zu beobachten, dass sich gegen dieses Versagen der öffentlichen Akteure Bürger zu einer besseren Alternative sammeln. Die Reaktionen gehen weit auseinander: Passivität, Abwendung, Wutbürgerei, Hoffnungen, Projektionen auf die Wenigen in der politischen Oberschicht, die anders scheinen, die Grünen, Horst Köhler, Thilo Sarrazin oder Karl-Theodor zu Guttenberg. Es liegt auf der Hand, dass disparate Stimmungen wie diese hochgradig instrumentalisierbar sind durch Profis, die in Machtfragen Übung haben.

Karl-Theodor zu Guttenbergs Aufstieg zum beliebtesten Politiker der Republik ist getragen von den Hoffnungen, dass es einer doch besser machen könnte. Er ist keiner von denen, er hat es ja nicht nötig und kann jederzeit gehen. Sein Stern leuchtet wegen einer Bundeskanzlerin, die niemanden begeistern, ja nicht einmal überzeugen will. Und war der Rücktritt des Bundespräsidenten der Moment des Schocks über die „Kluft“, so beobachten wir nun den Versuch, schwere Verfehlungen eines Ministers mithilfe dieses Schocks zu vertuschen und die Grenzen des politischen Anstands zu verschieben.

Dass Guttenberg schwere Regelverletzungen begangen hat, eine ehrenwörtliche Erklärung gebrochen, geistiges Eigentum, aus Schlamperei oder absichtsvoll, gestohlen hat, liegt offen zutage.

Diesen Wust aus Unredlichkeiten binnen einer Woche in die allerschönsten Mitteilungen aus dem Orwellschen Liebesministerium zu verwandeln, das schaffen nur meisterliche Machiavellisten, und selbst die schaffen es nur, wenn ihre Bluffs verfangen, weil die potentiellen Kritiker befangen sind. Meisterliche Machiavellisten waren zur Stelle: Angela Merkel und mit „Bild“ das mächtigste Medium der Republik. Ihr Bluff war das Spiel mit der „Kluft“, mit dem Verdruss des Volkes. Befangen waren ihre potentiellen Kritiker, weil sie zuvor selbst mit den Feuerstäben gespielt haben, die Guttenberg, Merkel und „Bild“ nun entschlossen eingesetzt haben.

Der Schlüssel ist Guttenbergs Popularität. Sie hat sich in eine „Mehrheit hinter Guttenberg“ verwandelt, eine quasi demokratische Legitimation, die seine Fehler aufwiegt. Als Anhaltspunkt oder gar Beweis dieser Mehrheit dienen Umfragen, Abstimmungen bei „Bild“ oder „Hart, aber fair“, TED- und Straßenbefragungen. Weder sie, noch die zahlreichen Online-Umfragen, die das Gegenteil, nämlich Guttenbergs Rücktritt, fordern, sind seriöse Mittel zur Feststellung der Volksmehrheit.

Doch sie waren hochwirksam, weil es längst zur schlechten Gewohnheit aller Medien geworden ist, das Stimmungsbarometer als Argument der politischen Debatte einzusetzen. Wer weiß, was das Volk will, kann sich die Mühen des demokratischen Diskurses ersparen. Unzählige Politiker-Interviews sind in den letzten Jahren mit der Frage bestritten worden: „Wie wollen sie diese Konzept denn noch durchsetzen, diese Wahl noch gewinnen, wenn die Umfragen doch zeigen, dass sie gar keine Mehrheit haben?“

Doch mit Mehrheiten werden Wahlen und Kräfteverhältnisse entschieden, nicht der Streit in der demokratischen Arena. Es ist ja gerade das Schöne an der Demokratie, dass man auch in der Minderheit seine Meinung laut und unverdrossen sagen und dafür kämpfen kann, dass sie sich bei der nächsten Wahl durchsetzt. Weder Adenauers Westbindung noch Willy Brandts Demokratie-Wagnis hätte sich durchgesetzt, wenn darum nicht gerungen und gestritten worden wäre.

Dieses Verständnis des öffentlichen Streits um Überzeugungen und Mehrheiten war schon paralysiert, lange bevor Guttenbergs Plagiate aufgeflogen sind. Und deshalb trifft man in diesen Tagen auf verstörte Bürger, die sich allein fühlen, weil „die Mehrheit“ oder „das Volk“ hinter zu Guttenberg steht. Aber ihre Wahrnehmung ist falsch. Sie sind nicht allein. Was die Mehrheit denkt, weiß niemand genau. Es kann morgen anders sein als heute, wenn die demokratische Öffentlichkeit auf das Pseudoargument von der Mehrheit nicht hereinfällt.

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