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Kultur: Haackes Holztrog-Installation: Erd-Reich (Glosse)

Was für eine schöne Schlammschlacht! Der Zank um Hans Haackes Holztrog-Installation mit Erde aus ganz Deutschland für den Reichstag vereint alle Elemente, die ein altmodischer Kunstskandal braucht.

Was für eine schöne Schlammschlacht! Der Zank um Hans Haackes Holztrog-Installation mit Erde aus ganz Deutschland für den Reichstag vereint alle Elemente, die ein altmodischer Kunstskandal braucht. Auf der einen Seite die für das Gute und Wahre streitende Lichtgestalt des Künstlers: Mit der Neonröhren-Widmung "Der Bevölkerung" will er die Abgeordneten auf das Wohl aller verpflichten, die in, besser: auf diesem unserem Lande hausen. Auf der anderen Seite im Dunkeln tappende Parlamentarier, die sich gegen "Biokitsch" wehren und Haacke Verfassungsbruch vorwerfen: Schließlich sind sie laut Grundgesetz nur "Vertreter des ganzen deutschen Volkes". So prangt es auch in Goldbuchstaben über dem Reichstagsportal. Zwischen den Fronten stehen Kunstkritiker, die schon die Debatte als erhellendes Ereignis feiern. Denn wie in jedem Mythos der Moderne siegt Aufklärung über die Finsternis: Mit der flugsandfeinen Mehrheit von nur zwei Stimmen gab der Bundestag am 5. April seinen Innenhof frei für Haackes Erd-Reich. Der Boden ist bereitet.

Doch dieses Konzept-Kunstwerk hat einen Haken: Die unwilligen Hausherren müssen selbst Hand anlegen. Jeder Bundestagsabgeordnete bekam vor ein paar Tagen Post von Haacke: Zwei Jutesäcke, verbunden mit der Bitte, "freiwillig" je 25 Kilo Erde aus dem eigenen Wahlkreis hineinzufüllen und an das Hohe Haus zu schicken. Macht bei 669 Abgeordneten mehr als 33 Tonnen Material. Auch wenn nur die 260 mitschaufeln, die für das Projekt stimmten, kommen noch 13 Tonnen zusammen: Genug, um den ganzen Plenarsaal kniehoch mit deutschem Mutterboden auszustreuen. Und viel zu viel für Haackes Blumenbeet: Das ist auf einer Fläche von 21 mal sieben Metern nur 30 Zentimeter tief.

Die Bundestagsverwaltung reagiert daher leicht panisch: "Wir haben keinen Platz für all diese Säcke", heißt es. Die sollen demnächst von einer Spedition abgeholt und zwischengelagert werden, bis Bundestagspräsident Wolfgang Thierse am 12. September mit einer Handvoll Humus das Gärtlein feierlich bestellen wird. Nach dem Willen von Haacke soll nämlich auf der Fläche wachsen, was an Samen im Boden schlummert oder der Wind heranträgt.

Das könnte recht dürftig werden. Agrarwissenschaftler warnen, die Krume sei zu karg, um mehr als Unkraut wachsen zu lassen. Zudem bekämen die Brennesseln und Disteln zu wenig Regenwasser und würden rasch austrocknen. Dann entstünde nicht der "einzige Urwald, den es in der Bundesrepublik gibt", von dem Haacke schwärmt, sondern das traurige Symbol einer fahlen Steppe. Doch vielleicht überwuchert das Gestrüpp wenigstens die umstrittene Neon-Inschrift und gibt damit dem Künstler in einem tieferen Sinn recht: Einmal unter der Erde, werden alle Menschen wirklich gleich.

Oliver Heilwagen

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