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Kultur: "Haben Sie die Holocaust-Komödie erfunden, Herr Mihaileanu?" (Interview)

Radu Mihaileanu ist Filmregisseur rumänischer Herkunft und lebt in Frankreich. Er war Leiter, Dramaturg und Regisseur einer Theatertruppe und Schauspieler am Jiddischen Theater in Bukarest, bevor er 1980 vor der Ceaucescu-Diktatur über Israel nach Frankreich floh, wo er Filmregie studierte.

Radu Mihaileanu ist Filmregisseur rumänischer Herkunft und lebt in Frankreich. Er war Leiter, Dramaturg und Regisseur einer Theatertruppe und Schauspieler am Jiddischen Theater in Bukarest, bevor er 1980 vor der Ceaucescu-Diktatur über Israel nach Frankreich floh, wo er Filmregie studierte. Seine gern als "Anti-Benigni" bezeichnete Holocaust-Komödie "Zug des Lebens" gewann Preise in Venedig und Cosne-Sur-Loire sowie Publikumspreise unter anderem bei Festivals in Sao Paulo, Miami und beim Sundance Filmfestival.

In Ihrem Film "Zug des Lebens" schildern Sie die Welt des jüdische Shtetl Osteuropas mit großer Liebe, auch zum Detail. Was war hierfür die Initialzündung?

Ich wollte immer diese verschwundene Welt wiedererschaffen. Mein Vater wurde in genau solch einem kleinen Dorf in Rumänien geboren, wie ich es in meinem Film beschreibe. Es existiert nicht mehr, und mein Vater wurde im Krieg in ein Arbeitslager deportiert, weil er ein jüdischer Kommunist war. So hörte ich schon als Kind Geschichten über das Shtetl, ohne es zu kennen. Ich habe dann darüber gelesen, Sholem Alejchem beispielsweise, und wurde mit 18 Schauspieler in einem jiddischen Theater in Bukarest. Ich wollte mir, meinem Vater und meinen Kindern ein Geschenk machen und das Shtetl wiedererstehen lassen, wie in einem Märchen. Mein Film handelt also eher von dem, was wir "Jiddischland" nannten, weniger über die Shoa. Natürlich steht am Ende die Erkenntnis, dass die Nazis all das zerstört haben, diese Zivilisation und ihre Menschen.

Trotzdem ist Ihr Film voller Humor, eine Komödie zur Zeit der Nazis.

Ich habe immer den jüdischen Humor bewundert. Meine Sorge ist, dass mit der Zivilisation des Shtetls auch der jüdische Humor verschwindet. Er wird nur noch ein bisschen in New York von Mel Brooks und Woody Allen am Leben erhalten. Die Stärke des jüdischen Humors liegt in der Tragik der Situation. Chaplin und Lubitsch haben das vorgemacht. Die Geschichte meines Volkes ist tragisch, und der Humor half uns, zu überleben. Er ist unsere einzige Waffe gegen das Leiden. Wenn wir lachen, hassen wir nicht.

Ihr Film ist trotz der nazistischen Bedrohung zu einer Hymne an das Leben geworden.

Ich wollte nicht über den Tod sprechen. All diese früheren Filme, "Schindlers Liste" oder "Shoa" von Landsmann, machen mich traurig, obwohl es hervorragende Filme sind. Ich dachte mir, wenn ich ein Nazi wäre, der in Syrien oder Südamerika lebt, würde ich sagen: "Wunderbar, 55 Jahre nach dem Krieg weinen sie noch immer und es foltert sie immer noch." Natürlich leiden wir noch immer, aber ich wollte nicht mehr darüber sprechen. Oder genauer: Ich wollte über den Tod reden, ohne über den Tod zu reden. Sondern nur über das Leben.

Birgt das nicht die Gefahr, missverstanden zu werden?

Das ist für mich Kunst. Wenn man etwas Neues wagt. Natürlich hat man immer Angst. Künstler haben immer Zweifel. Ich bin mir nicht einmal heute sicher, ob es geklappt hat, genauso wie ich bis zum Beginn der Dreharbeiten Zweifel hatte.

Sie hatten große Mühe, Geld für Ihr Projekt aufzutreiben. Wie kam das?

Als ich 1995/1996 das Drehbuch fertig hatte, war es sehr schwierig, eine Komödie über den Holocaust zu machen. Alle hielten uns für Nazis und sagten, das darf man nicht. Sie dachten nur, ich würde Witze über die Shoa reißen, und erkannten nicht, dass sich hinter dem Humor die Tragödie verbirgt. Humor ist wie eine eigene Sprache, in der man auf eine andere Weise weinen kann.

Die letzte Einstellung gibt dem Film eine gänzlich andere Wendung. Wurde dieses Ende erst im Nachhinein dazugeschnitten?

Nein, das Drehbuch wurde wie im Hebräischen geschrieben, von rechts nach links, vom Ende zum Anfang. Es gab Druck von Leuten aus Amerika, das Ende herauszuschneiden, weil man dann versteht, dass es nur ein Traum ist. Ich weigerte mich aber, denn genau darum geht es ja. "Zug des Lebens" ist kein Film über Juden, die fliehen, sondern über einen Menschen, der träumt, dass alle noch am Leben sind. Die Botschaft ist: So lange man sich noch an die Menschen erinnert, sind sie nicht tot. Wenn man sie vergisst, sterben sie noch ein zweites Mal. Man muss diese Geschichte immer wieder erzählen. Man muss träumen, dass sie nicht tot sind. Ich träume, dass meine Großmutter und mein Großvater noch leben.

Ihr Film wurde als Gegenstück zu Roberto Benignis "Das Leben ist schön" bezeichnet. Es gab sogar einen Streit zwischen Ihnen und Benigni. Worum ging es da?

Im Februar 1996 habe ich ihm das Drehbuch geschickt. Ich wollte ihn in der Rolle des Dorfnarren Shlomo. Er hat das anfangs auch in französischen Zeitungen bestätigt. Je näher er aber dem Oscar für seinen eigenen Film kam, desto weniger wollte er davon wissen. Einige italienische Journalisten schrieben, ich hätte ihn des Plagiats bezichtigt. Was ich nie getan habe. Er sagt, er habe sein Drehbuch geschrieben, bevor er meins gelesen hatte. Ich glaube ihm, weil ich nicht beweisen kann, dass er abgekupfert hat.

Würden Sie es ihm denn beweisen wollen?

Ach, wissen Sie, wir sind doch hier nicht bei den Olympischen Spielen, wo es von Belang wäre, wer der Erste war. Die erste jüdische Anti-Nazi-Komödie, "Sein oder Nichtsein", wurde sowieso von Lubitsch gedreht, und 1984 gab es einen Film von Jerry Lewis, der nie ins Kino kam. Von Benignis Komödie Grenzen Sie Sich aber auch inhaltlich ab.

Ich sehe mich sogar als Anti-Benigni. Unsere Filme sind absolut entgegengesetzt in ihrer Ideologie, nur das Konzept, die Komödie, ist dasselbe. Ich finde - und darüber gab es den großen Streit - solche Filme müssen der Erinnerung an die Shoa dienen. Nicht nur uns selber.

Der Witz der deutschen Version Ihres Films lebt auch von der Ähnlichkeit des Jiddischen mit dem Deutschen. Die Originalsprache aber ist Französisch.

Das ist auch heute meine eigene Sprache. Erst überlegten wir, ob wir in Englisch, Jiddisch oder Französisch drehen sollten. Jiddisch fiel bald weg. Es gab vorher einen jiddischen Film von Yolande Zauberman, "Mois Ivan, toi Abraham", der wie ein Ghettofilm war. Er hatte in Frankreich sehr wenig Zuschauer, weil nur alte Leute ins Kino gingen, die Jiddisch sprachen. Ich wollte aber einen Film für die Jungen drehen, die das Shtetl nicht mehr kennen. Ben Hur wurde ja auch nicht in Latein gedreht.

Und Englisch?

Das wäre natürlich universaler gewesen. Als wir aber nach einer Finanzierung suchten, kamen die Amerikaner und wollten alles Mögliche geändert haben, eben den Schluss zum Beispiel. Um meinen Film nicht zu verraten, habe ich auf Französisch gedreht. Auch wenn mir das weniger Zuschauer bringen wird. Vor ein paar Tagen habe ich die synchronisierte deutsche Fassung gesehen, mit dem jiddischen Akzent. Das kommt vielleicht der damaligen Realität am nächsten.

Sie betonen im Film die jüdische Zerstrittenheit. Manchmal verlieren die Dorfbewohner sich sogar in der eigenen Fiktion, die verkleideten Nazis erscheinen ihnen plötzlich als Echte.

Die verkleideten Juden werden nicht wirklich zu echten Nazis. Ich wollte zeigen, wie schnell jemand, dem man eine Uniform und Verantwortung gibt, verrückt werden kann. Mir war aber wichtig, dass er nur ein bisschen verrückt und ein wenig Nazi wurde. Der wahre Nazi ist dumm, gewalttätig, und sein einziges Argument ist das der Macht. Als sich im Film ein falscher und ein echter Nazi gegenüber stehen, stehen da ein unperfekter, dialektischer Talmudist mit Humor und ein Mensch, der denkt, er ist perfekt. Die wunderbar unperfekte Welt ist es, die ich liebe.

Andererseits sind auch die Juden in Ihrem Film nicht frei von Ressentiments. Ich denke an die Szene mit den Zigeunern.

Die Juden sind eigentlich die Opfer, sind aber selber Rassisten gegenüber den Zigeunern, weil sie sie für unterlegen halten. Sie können auch nicht akzeptieren, dass jemand bessere Musik macht als sie. Andererseits endet alles mit einer Party, wo diese Zigeunerin und der Jude gemeinsam tanzen. Für mich war das sehr schön, denn ich liebe die Musik der Zigeuner. Sie sind komplett frei, in der Musik und im Tanz. Es war schön für mich, diese Szene als Jude, aber aus der Perspektive der Zigeuner zu drehen.

Wie die Filme von Kusturica birst "Zug des Lebens" vor Lebenslust. Ist das der Beitrag des Balkan zum europäischen Kino?

Es hat viel damit zu tun, weil der Balkan wie ein Vulkan ist. Alles was das Leben ausmacht, ist hier um das Zehnfache verstärkt. Wir mussten immer mit Kriegen und ethnischen Konflikten rechnen und verteidigten uns mit prallem Leben. Wir waren der Schittpunkt des türkischen, russischen und habsburgischen Reiches, die all diese kleinen Länder bedrohten. Wir wehrten uns mit dem Leben, mit wundervoller Musik und Partys. Wenn man in Rumänien oder anderen Ländern feiert, dann richtig. Wenn man sich betrinkt, dann vollkommen. So wird der großen Verrücktheit eine fantastische Energie entgegengesetzt.

Eine Energie, die aber auch zu Gewaltausbrüchen neigt.

Ich mag die Gewalttätigkeit der balkanischen Mentalität nicht, aber ich liebe diese Energie. Denn für uns ist eine kleine Fliege nie eine kleine Fliege oder eine kleine Gefahr. Sondern ein großes Monster. Es gibt auch niemals eine kleine Liebe, nur die große Liebe. Wie die Liebe der jüdischen Mutter, die zu mächtig für uns ist, weswegen wir mit all diesen Witzen über die jüdische Mutter reagieren. Denn wir lieben sie so sehr.Das Gespräch führte Clemens Wergin

In Ihrem Film \"Zug des Lebens\" schildern Sie die W

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