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Kultur: Haben Sie ein luxuriöses Leben geführt, Herr Kertész?

Imre Kertész, Schriftsteller, wurde 1929 in Budapest geboren und 1944 nach Auschwitz deportiert.Nach der Befreiung aus Buchenwald 1945 arbeitete er als Journalist bei der Budapester Zeitung "Világosság".

Imre Kertész, Schriftsteller, wurde 1929 in Budapest geboren und 1944 nach Auschwitz deportiert.Nach der Befreiung aus Buchenwald 1945 arbeitete er als Journalist bei der Budapester Zeitung "Világosság".Nachdem er aus politischen Gründen entlassen wurde, hielt er sich als freier Autor über Wasser, von der Öffentlichkeit fast unbeachtet.Während 13 Jahren arbeitete er an seinem "Roman eines Schicksallosen"; 1973 beendete er die Holocaust-Fabel, doch erst 1996 sollte er damit internationale Anerkennung erlangen.Kertész als einer der großen europäischen Autoren.Zuletzt sind im Verlag Rowohlt Berlin seine autobiographischen Skizzen "Ich - Ein anderer" erschienen.Mit Imre Kertész sprach Stefan Berkolz. TAGESSPIEGEL: In Ihrem neuen Buch, "Ich - ein anderer", heißt es einmal: "Jedes Verstehen ist Mißverstehen." Ist jede Verständigung unmöglich? KERTÉSZ: Das bezieht sich nicht auf die Verständigung zwischen den Menschen.Das bezieht sich auf die Kunst, auf das Kunstwerk.Ein Kunstwerk wird immer mißverstanden.Ich glaube, das ist ein Gesetz.Und das ist auch gut so. TAGESSPIEGEL: Wieso ist das gut so? KERTÉSZ: Nur so kann ein Kunstwerk jahrhundertelang leben. TAGESSPIEGEL: Wie wird Ihr Werk heute verstanden? KERTÉSZ: Ich glaube, in jedem Land werde ich ganz anders verstanden.Nehmen wir Deutschland.Mein Buch "Roman eines Schicksallosen" hat die größte Aufmerksamkeit bekommen.Dieses Buch wurde vor 25 Jahren geschrieben.Das Buch hat ein Vierteljahrhundert lang sozusagen geschlafen - in Ungarn.Und es ist aufgenommen worden, als ob es ein neues Buch wäre, jetzt geschrieben.Aber das Buch war vor acht Jahren, 1990, in Deutschland schon einmal erschienen, in einer schlechten Übersetzung, und zu meinem Glück hat es damals überhaupt keine Aufmerksamkeit erregt.Das bedeutet doch, das Buch ist im guten Sinne mißverstanden worden. TAGESSPIEGEL: Wie erklären Sie sich die große Aufmerksamkeit, die der "Roman"1996 erzielte? KERTÉSZ: Das Geistesleben in Deutschland war von dem Goldhagen-Buch aufgewühlt.Dadurch war war eine Bereitschaft da, so ein Buch wie meines aufzunehmen.Es ist als Roman über die Shoah gelesen worden. TAGESSPIEGEL: Wie war Ihr Leben in den Jahrzehnten der inneren Emigration in Ungarn? KERTÉSZ: Ich lebte in einer feindlichen Umgebung, und ich mußte einen inneren Widerstand leisten.Aus diesem Widerstand kam die Inspiration, eine bittere Inspiration.Aus Hoffnungslosigkeit habe ich sehr viel Vitalität und Kraft geschöpft.Und ich hab es mir angewöhnt, so zu schreiben, isoliert, gegen eine feindliche Umgebung, aber sicher in meinen Sachen.Heute ist alles verändert: Die feindliche Umgebung ist zusammengebrochen, es ist eine ganz gleichgültige Umgebung, als ob ich mich in einer Wüste befände.Die Mauern sind weg, aber auch der Widerstand fehlt.Ich bin in einen leeren Raum gelangt.Ich habe meine geliebten Depressionen verloren.Ich habe mein verfolgtes Bewußtsein verloren. TAGESSPIEGEL: Sie haben einmal gesagt, Sie wollten die Menschen mit Ihren Texten verstören. KERTÉSZ: Ich habe viele Holocaust-Romane gelesen.In ihnen wurde viel gejammert, geklagt, Mitleid erregt.Da war eine Hinwendung zu einem Humanismus zu finden, der überhaupt nicht mehr existiert.Ich wollte das vermeiden.Ich wollte sozusagen naiv, also brutal, jenseits von Gut und Böse, über die Sachen, die ich erlebt habe, schreiben.Die Einteilung in eine böse Welt und eine gute Welt, in eine sündige und eine ganz unschuldige Welt, gibt es nicht mehr.Diese Begriffe sind verloren gegangen in den Krematorien.Und das meine ich mit "verstören".Nicht, weil ich, der Schriftsteller, den Leser verstören will, sondern weil die Fakten verstörend sind.In dieser Welt der Verstörung hat der Schriftsteller nicht die Aufgabe, für Ordnung zu sorgen.Das wäre ganz falsch. TAGESSPIEGEL: Nachdem Sie aufgehört hatten, als Journalist zu arbeiten, wußten Sie da, daß Sie Schriftsteller sein wollten? KERTÉSZ: Ja, das war mir klar.Aber ich suchte lange nach der richtigen Form.Mein Erlebnis war das totalitäre Erlebnis.Ich habe Auschwitz erlebt und hatte das sozusagen vergessen.Und ich habe die stalinistischen Zeiten erlebt.Ich wußte, darüber will ich schreiben.Nur die Form habe ich nicht gefunden.Nach sehr vielen, vergeblichen Versuchen habe ich mich 1960 entschlossen, das zu schreiben, was heute als "Roman eines Schicksallosen" bekannt ist.Eine strikte, einfache Geschichte, die meine ganze Erfahrungswelt enthält, nicht nur in der Shoah, sondern auch in dem Anpassungsprozeß in Ungarn, nach der stalinistischen Wendung von 1948 und nach dem niedergeschlagenen Aufstand von 1956.Der "Roman eines Schicksallosen" ist eigentlich ungarische Geschichte.Und es ist kein Zufall, daß die Macht, die Zensoren von damals, die den Literaturbetrieb lenkten, sofort sehr empfindlich reagierten. TAGESSPIEGEL: Waren Sie überrascht über diese Reaktion, die einem Verbot gleichkam? KERTÉSZ: Einerseits ja.Ich war ganz naiv.Andererseits: Hätte ich im damaligen Ungarn einen offiziellen Erfolg gehabt, dann hätte ich etwas falsch gemacht. TAGESSPIEGEL: Woher nahmen Sie die Kraft, über Jahrzehnte an Ihrer Bestimmung festzuhalten? Sie konnten doch in jener Zeit nicht davon ausgehen, daß man Ihr Werk veröffentlichen würde. KERTÉSZ: Das ist vielleicht keine Kraft, das ist vielleicht Schwäche.Ich bin einfach ausgewichen.Ich bin dem Leben, dem tagtäglichen Leben durch das Schreiben aus dem Weg gegangen.Ich habe mich versteckt in meinen Schriften.Ich habe so meine geheime Freude, meine Ersatzfreude gesucht und auch gefunden. TAGESSPIEGEL: Kann man sagen, daß Sie damals in gewisser Weise ein luxuriöses Leben geführt haben? KERTÉSZ: Ja, das war ein großer Luxus.In einer Diktatur, wo arbeitslos zu sein eine Sünde ist - man wurde dafür ins Gefängnis gebracht -, in so einer Welt habe ich nur zwei Jahre lang einen festen Arbeitsplatz gehabt.Sonst bin ich immer frei gewesen, habe meine eigenen Ideen gelebt.Das ist sehr schön, nicht? TAGESSPIEGEL: Wie kommt es eigentlich, daß Sie so gut deutsch sprechen? KERTÉSZ: Ich habe als Kind Deutsch gelernt, das war obligatorisch.Ich hatte aber keine Möglichkeit, die deutsche Sprache zu üben.Aber gelesen habe ich auf Deutsch.Nietzsche, Kafka, selbst die französischen Philosophen habe ich auf Deutsch gelesen. TAGESSPIEGEL: Sie haben die deutsche Sprache durch die Lektüre der Literatur und der Philosophen gelernt? KERTÉSZ: Genau.Gelernt, aber in der Sprache hatte ich keine Übung gehabt.Das bedeutet, ich konnte die kompliziertesten Sachen von Wittgenstein übersetzen, aber ich konnte nicht um ein Glas Wasser bitten, als ich das erste Mal nach Deutschland kam. TAGESSPIEGEL: In Ihrem neuen Buch, "Ich - ein anderer", heißt es: "Gott hat die Welt erschaffen, der Mensch hat Auschwitz erschaffen." Der Mensch, nicht der Deutsche? Hätte Auschwitz auch in anderen Ländern stattfinden können? KERTÉSZ: Auschwitz ist eine deutsche Erfindung, aber wenn ich Auschwitz in diesem Satz benenne, dann meine ich etwas Symbolisches.Ich meine, daß das Böse der Welt, das seit Jahrhunderten gereift war, in Auschwitz ausgebrochen ist.Auschwitz war der Zusammenbruch einer Kultur.Ich glaube, Auschwitz ist das wichtigste Phänomen des 20.Jahrhunderts: Unsere alten Mythen sind zusammengebrochen.Und wir mußten am Nullpunkt wieder anfangen. TAGESSPIEGEL: Und wo stehen wir heute? KERTÉSZ: Wir suchen.Aber das kann auch kreativ sein.Man muß sich nur im klaren sein, was wir verloren haben und was wir haben wollen, auf ethischem und moralischem Gebiet.Die Menschen stehen an der Schwelle zum Unbekannten. TAGESSPIEGEL: Vor dem Abgrund? KERTÉSZ: Im Deutschen gibt es ein sehr gutes Wort: es heißt "Zivilisationsbruch".Das ist Auschwitz wirklich.In Auschwitz ist symbolisch alles ausgedrückt: Hitlers Totalitarismus, der Holocaust, auch der Gulag.Das Menschenbild des vorigen Jahrhunderts hat sich radikal verändert.Wenn wir alle diese schweren Dinge aufnehmen, dann können wir weitergehen, wirklich.Aber wenn wir alles vergessen, dann geht die alte Sache weiter. TAGESSPIEGEL: Ihre Heimatstadt ist Budapest, Sie leben noch immer dort.Früher wollten Sie von dort weg ... KERTÉSZ: Heute nicht mehr.Vierzig Jahre lang war ich in Budapest eingesperrt.Da wollte ich weg, natürlich, weil ich keine freie Wahl hatte.Das hat meine Wünsche bestimmt.Heute kann ich in Budapest leben, weil ich auch weg kann.Ich lebe dort jetzt sehr gut - mit meiner Frau.Wir haben eine Wohnung, ich habe ein Arbeitszimmer, was ich zuvor nie hatte.Ich lebe in der Welt meiner Sprache.Ich bin auf einmal ein richtiger bürgerlicher Schriftsteller, der ein Publikum hat, weltweit, der geliebt wird, manchmal jedenfalls, der gehört wird, gefragt ist.Nein, heute will ich nicht mehr weg.

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