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Kultur: Händel mit Handy

Ein Abend in einem Berliner Konzertsaal vor wenigen Tagen. Während des Stücks zückt die junge Frau auf dem Nebensitz plötzlich ihr Handy, macht ein Foto und beginnt, eine SMS zu schreiben.

Ein Abend in einem Berliner Konzertsaal vor wenigen Tagen. Während des Stücks zückt die junge Frau auf dem Nebensitz plötzlich ihr Handy, macht ein Foto und beginnt, eine SMS zu schreiben. Nachdem sie wiederholt das Display kontrolliert hat, um zu sehen, ob eine Antwort eingetroffen ist, raunt man ihr zu, sie möge doch ihre Korrespondenz bitte in der Pause erledigen. Daraufhin verschwindet das Mobiltelefon zwar in der Handtasche – die Störenfriedin aber zeigt sich keineswegs zerknirscht. Kaum ist das Stück zu Ende, wird sie kiebig: Erstens sei einer der Mitwirkenden ihr Vater, und den dürfe sie ja wohl mal fotografieren. Und zweitens liege ihre Mutter zu Hause krank darnieder, weshalb sie per Kurzmitteilung Neues zum Gesundheitszustand habe erfahren wollen.

Es ist noch nicht lange her, da musste nicht jeder von jeder nur erdenklichen Situation ein Erinnerungsfoto besitzen. Und wenn ein geliebter Mensch unpässlich war, verließ man das Haus nur, wenn gesichert war, dass für die überschaubare Dauer eines Konzertbesuches keine lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erwarten war. Aus der Generation, die mit dem Handy aufgewachsen ist, aber scheinen viele weder willens noch in der Lage, sich aus dem permanenten Datenstrom auszuklinken. Das Gerät ist doch auf lautlos gestellt, worüber regt sich der Typ überhaupt auf?

Könnte es sein, dass die größte Gefahr für Theater, Oper und Konzert gar nicht vom Schrumpfungsprozess des Bildungsbürgertums ausgeht? Sondern von den Söhnen und Töchtern der Informationsgesellschaft, die sich nicht mehr konzentrieren wollen? Ein Szenario: Die Philharmonie voll von bläulich angeleuchteten Menschen, die geräuschlos auf ihre Handys eintippen, während vorne Händel erklingt. Wenn Veranstalter ihr Publikum darum bitten, während der Aufführung die Mobiltelefone auszuschalten, geht es nicht allein um urheberrechtliche Fragen. Sondern auch um die Würde und Konzentration derer, die im Rampenlicht stehen. Wo Kunst unmittelbar entsteht, gebietet es der Respekt, die eigenen Hände so lange ruhig zu halten.

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