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Bloß keine Puschmütze sein. Hanno Koffler (l.) spielt den jungen Andreas Marquardt (r.), der im Film in Interviews auftritt.

©  Berlinale

"Härte" im Panorama: Andreas Marquardt: „Ich war wirklich ’ne Sau“

Rosa von Praunheim hat das Leben des Ex-Zuhälters Andreas Marquardt verfilmt - von der Kindheit als Missbrauchsopfer bis zu Knastjahren wegen Zuhälterei. Ein Treffen im Wohnzimmer.

Als Andreas Marquardt noch Kind war, wurde er vom Vater mit kaltem Wasser übergossen und auf den Balkon gestellt. Ein anderes Mal zerquetschte er ihm die Hand, bis die Knochen brachen. Die Mutter begann, den Sohn sexuell zu missbrauchen, über viele Jahre. Sie sagte zu Marquardt den Satz, den die meisten Männer niemals hören möchten: „Dein Schwanz gehört mir.“ Eine Kindheitshölle also. Was wird aus so einem Menschen? Na klar: ein brutaler Schläger und Zuhälter, einer, der sein „Hassprogramm gegen Frauen“ fährt, der sich mit Härte panzert und schließlich für acht Jahre im Knast landet. Bis hierhin ist es keine überraschende Geschichte. Nur eine traurige.

Jetzt sitzt Andreas Marquardt im Charlottenburger Wohnzimmer von Rosa von Praunheim, dem bekanntesten schwulen Filmemacher Deutschlands, neben ihm sein Therapeut Jürgen Lemke, der ihm geholfen hat, seine Erlebnisse aufzuschreiben. Das Buch „Härte“ ist 2007 erschienen. Hinter Marquardt zischelt eine Schlange im Terrarium, an den Wänden hängen die Plakate der Praunheim- Filme, auf der Couch reihen sich Stoffaffen mit rosa Hüten, in der Ecke steht noch verloren ein kleiner Tannenbaum. „Er ist ja im Dezember vom Papst empfangen worden“, sagt von Praunheim gerade über den Mann, dessen Geschichte er jetzt verfilmt hat. Wie bitte?

Andreas Marquardt: Der Papst ist "anders gestrickt"

Marquardt lächelt. Der Papst, sagt er, sei ja „anders gestrickt“. Der hätte beschlossen, „ehemalige Straftäter einzuladen, die sich sozial engagieren“. Eine Bekannte, Ordensschwester, brachte seinen Namen ins Spiel. Am 18. Dezember fuhr er nach Rom, „mit Marion“, seiner Lebensgefährtin, die er früher auf den Strich geschickt hat. „Da bin ich gesegnet worden.“ Das kommt dann doch unerwartet. Die Leute mögen Geschichten, die schlimm laufen, sich dann aber zum Guten wenden, sagt Therapeut Lemke.

Andreas Marquardt (r.) mit Rosa von Praunheim (l.) im Wohnzimmer des Regisseurs.
Andreas Marquardt (r.) mit Rosa von Praunheim (l.) im Wohnzimmer des Regisseurs.

© Thilo Rückeis

Marquardt, ehemaliger Karatechampion, Berliner Junge, vor zwölf Jahren vom Herzinfarkt niedergestreckt und wieder aufgestanden, trainiert heute Kampfsport-Kids in Neukölln. Daraus schöpft er seine Kraft, sagt er. In Praunheims Film wird er als jugendlicher Wüterich von Hanno Koffler gespielt, der das großartig macht. Koffler zeigt einen, der Gefühle weggeschlossen hat und alles will, bloß „keine Puschmütze“ sein.

„Härte“ besteht aus schwarz-weißen Spielszenen in stilisierten Studiokulissen und Interviewpassagen, in denen Marquardt erzählt. Geradeheraus, ungeschönt. „Ich rede Klartext“, sagt er. Trotz der gewollten Künstlichkeit sind gerade die Studiopassagen eindringlich. Unter die Haut gehendes Theater. Besonders die Szenen zwischen Koffler und der jungen Luise Heyer, die Marquardts bis über die Schmerzgrenze hinaus ergebene Freundin Marion spielt. „Ich habe mich ja immer geweigert, Kunstfilmer zu werden“, sagt von Praunheim. Weswegen man ihn mit seinen „kleinen, dreckigen, improvisierten Filmen“ ästhetisch oft nicht ernst genommen habe. Aber hier wollte er einen Gegensatz schaffen zu den dokumentarischen Passagen. Was toll aufgeht. Von Praunheim ist immer so stark wie sein Thema. Und „Härte“ ist ganz starker Kinostoff. Gerade das Thema Missbrauch durch die Mutter sei bislang kaum beschrieben worden, sagt der Regisseur. Therapeut Lemke nickt. In der Einrichtung „Kind im Zentrum“, wo er arbeitet, gehen sie von mindestens 15 Prozent weiblichen Tätern aus. Wobei deren Übergriffe nicht selten mit Bezeichnungen wie „übersexualisiertes Fürsorgeverhalten“ relativiert würden.

Rosa von Praunheim fragt: Stolz oder Scham?

Als „Härte“ erschien, gab es Gegenwind. Weil sich Marquardt nicht so als reuiger schlimmer Finger beschreibt, wie die Gesellschaft das erwartet. Über seine Zeit als Zuhälter sagt er auch jetzt den erst mal schwer verdaulichen Satz: „Ich hab das bis heute nicht begriffen. Desto brutaler und unnahbarer ich war, desto mehr sind die Frauen mir hinterhergerannt“. Von Praunheim fragt: „Was überwiegt – der Stolz, dass du ein toller Verbrecher warst? Oder die Scham, dass du dich wie ein Schwein benommen hast?“ Marquardt entgegnet ohne zu zögern: „Ich hab sehr vielen Menschen wehgetan. Wenn ich’s ungeschehen machen könnte, würd’ ich’s tun.“ Und er hoffe, dass die Frauen, die für ihn anschaffen mussten, „nach meiner Person“ einen netten Mann gefunden und heute vielleicht Kinder hätten. „Ich war wirklich ’ne Sau. Und das tut mir wahnsinnig leid.“

Es ist ja nicht so, dass es Marquardt leichtfiele, diese Geschichten noch mal hervorzuholen. Selbst vorlesen aus „Härte“ kann er bis heute nicht, dann packt ihn das Zittern. Aber er will durch. „Damit die Leute wissen, was hinter verschlossenen Türen passiert.“ Und um zu zeigen, dass Menschen sich ändern können. Dass einer, dem als Kind nur Härte eingeprügelt wurde, heute auf die Frage, was einen Mann ausmache, antwortet: „Gefühle zulassen, Gefühle geben. Dass man auch mal den Kopf an die Schulter einer Frau lehnt und sagt, Mensch, mir geht’s nicht gut.“ Wenn Marquardt eines ist, dann ein glaubwürdiger Typ. Das gilt auch für sein Engagement für Kinder. „Solange ein Kind Schmerzen ertragen muss oder sexuell missbraucht wird, ist unsere Scheißwelt nicht in Ordnung.“

"Frieden finden"

Bleibt die Frage, ob er selbst seinen Eltern vergeben kann. Im Film jedenfalls zeigt er sich unversöhnlich. Therapeut Lemke lächelt. Die Frage, sagt er, werde auf Lesungen auch immer gestellt. Vor allem von Frauen. „Ja, die Vergeberei“, seufzt Marquardt. „Wenn Sie mich hier und heute fragen, antworte ich Ihnen, ich hasse meine Eltern bis jetzt. Immer noch.“ Aber der Papstbesuch, ganz ehrlich, habe ihn doch zum Grübeln gebracht. Ausgang ungewiss. „Ich sag mal, ich möchte meinen Frieden finden.“

7.2., 12.30 Uhr (Cinemaxx 7), 8.2., 14.30 Uhr (Cubix 9), 12.2., 18.30 Uhr (Neues Off), 14.2., 22.30 Uhr (Colosseum 1)

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