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Kultur: Häuser und Gärten im Grenzland

Ein Bericht aus Beirut / Von Matthias Lilienthal.

Seit vergangenem Herbst lebt und arbeitet Matthias Lilienthal, der frühere Leiter des Berliner Hebbel am Ufer, in Beirut. Für das Festival „Homeworks“, das an diesem Wochenende beginnt, organisiert er eine libanesische Ausgabe der „X Wohnungen“. Künstler richten in privaten Unterkünften Performances, Installationen, kleine Theateraufführungen ein. Dies ist die letzte Folge von Lilienthals Berichten aus Beirut.

Im Viertel Kandak al Ghaniq haben wir große Schwierigkeiten. Ich mag das Viertel, es ist alt und ein wenig vornehmes. Es wurde im Bürgerkrieg ganz schön mitgenommen, denn jeder, der Beirut Downtown erobern wollte – und das waren am Ende alle – kam hier durch. Entsprechend sah es nachher aus.

Die Christen zogen aus und Sunniten und Schiiten kamen. Das sind die beiden Gruppen, die im Moment um die Führung des Landes konkurrieren. Die Christen haben sich in der Niederlage eingerichtet und vermeiden jedes Kräftemessen. Das Viertel ist großartig in seinen Gegensätzen. Wenn man aus der vollkommen sterilen Innenstadt kommt, überquert man die Brücke, die einst den christlichen Osten vom muslimischen Westen trennte. Man sieht ein großes Bauloch. Alte Mauern, wahrscheinlich aus römischer Zeit, liegen offen da. Sie stören bei der Errichtung der nächsten Shopping Mall. Dahinter sind einfache einstöckige Ein-Zimmer-Häuser.

Zeynab wohnt da seit 40 Jahren und hat dort vier Kinder großgezogen. Es schlägt einem eine fast ländliche Gastfreundschaft entgegen, sie erzählen alles, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen: 8000 Dollar sind ihr angeboten worden, um auszuziehen. In einer Stadt, in der die Mieten doppelt so hoch sind wie in Berlin, ist das ein lächerlicher Betrag. Trotzdem scheint das erst einmal viel Geld zu sein. Das Abreißen ist hier eher normal, Denkmalschutz die Ausnahme. Eigentlich wohnt man etwas ab, und dann wird neu gebaut. In Khandak kann man die Vergangenheit der letzten vierzig Jahre ablesen und sie noch einmal neu erleben.

An den letzten Wochenenden bin ich dann rausgefahren. Es gibt ein Ausflugslokal in der Bekaa-Ebene. Man überblickt ein Hochtal von 30 Kilometern Breite und 200 Kilometern Länge. Weiter hinten liegt die römische Tempelanlage von Baalbek. Man blickt vom Restaurant auf den hohen Gebirgszug. Auf dem Gipfelrücken gegenüber verläuft die Grenze zu Syrien. Man hört Schüsse: das ist aber nicht der Hall des Krieges. Bei Hochzeiten wird vor Freude in die Luft geschossen. Ungefährlich ist auch das nicht.

Wir gehen auf eine kleine Wanderung, brauchen einen Führer: es gibt keine Wegweiser. Man bekommt die landschaftliche Schönheit eines fast bayerisch anmutenden Baches und das Wissen um das, was 30 Kilometer entfernt im Nachbarland stattfindet, nicht zusammen. Die Beiruter Bourgeoisie setzt sich auf die Liegestühle, sonnt sich und zündet sich die dicken Zigarren an. Sie blicken auf den Gebirgszug. Sie sehen dabei aus wie Gerhard Schröder. Auf dem Weg dahin ist man immer nur an Häusern vorbeigefahren. Während des Bürgerkrieges hat jeder gebaut, wo er wollte.

Ich bin bei einer reichen Familie aus Beirut auf ihren ursprünglichen Sitz im Süden eingeladen. Es stehen teure französische Weine auf dem Tisch. Danach fahren wir in den Garten mit herrlichen Zitronen- und Orangenbäumen. Der Großvater hat Strom und Wasser in das Tal legen lassen. Das Anwesen war während der israelischen Besetzung des Südlibanon niedergebrannt worden, die Wachtürme sollten freie Sicht haben. Jetzt ist hier eine Idylle entstanden. Die Grenze nach Israel ist nur 30 Kilometer entfernt, unüberwindbar. Auch deswegen werden Strände und Gärten mit einem Mal idyllisch. Sie sind eine Art Zonenrandgebiet.

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