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Kultur: Hajkovskij

Tschaikowskij

Wenn Russen sich überlegen, was für ein Gastgeschenk sie wohl einem „Westler“ machen könnten, greifen sie ziemlich oft zur Flasche: und zwar zum „Tschaikowskij“Ý Wodka. Die für den Export bestimmte Umverpackung dieses Premiumprodukts unter den klaren Schnäpsen ziert nicht nur das Konterfei des Komponisten – auf Englisch wird zudem erklärt, die russische Kultur und ihr Gefühlsüberschwang würden aufs Vollkommenste in Tschaikowskis Musik reflektiert (Ý russische Seele).

In der Tat können einen die Partituren des 1840 geborenen Tondichters ganz schön besoffen machen. Die „normalen“ Theaterbesucher zwischen Ý St. Petersburg und Nowosibirsk lieben ihren Pjotr Iljitsch vor allem als Schöpfer von „Schwanensee“, „Dornröschen“ und dem „Nussknacker“ (die große Masse des russischen Publikums gibt bei der Auswahl abendlicher Unterhaltung dem Ballett sowieso den Vorzug vor der Oper). Die Intellektuellen aber schwärmen von seinen Puschkin-Vertonungen (Ý Puschkin), von „Ewgenij Onegin" und „Pikowaja Dama“.

Seine übrigen acht Bühnenwerke spielen kaum eine Rolle für Tschaikowskijs Ruf als Dramatiker. Denn mitreißend theatralisch sind ja auch seine Orchesterwerke angelegt, die Fantasieouvertüren, die späten Sinfonien und natürlich das 1. Klavierkonzert: Hier ist Tschaikowskij ganz bei sich, ein rhetorisch brillanter Erzähler mit langem Atem und Glut im Herzen, einer, der oft auch mal abschweift, sich in Träumereien verliert, Anekdoten einstreut. Über seine Art zu arbeiten, schrieb er einmal an Nadeshda von Meck, seine Freundin und Gönnerin: „Man muss nur der inneren Stimme gehorchen, dann geht die Arbeit mit ganz unbegreiflicher Schnelligkeit vor sich. Du vergisst alles um dich, die Seele bebt in irgendeiner unbegreiflichen und unsagbar wonnigen Erregung, du kannst diesem Drang nach irgendwohin kaum folgen. Dieser Zustand hat in sich etwas Somnambules. On ne s’entend pas vivre.“

In diesem Rauschzustand gerät Tschaikowskij manches allerdings zu pathetisch wie die „Ouvertüre 1812“ oder gar kitschig wie die „Souvenirs de Florence“ oder das „Capriccio italien“. Dennoch ist sich Tschaikowskij auch in diesen Momenten treu: So sah es nun einmal in der Seele des Einzelgängers aus, der fortwährend von Zweifeln und Gewissensbissen gepeinigt wurde. Dass bis heute nicht geklärt ist, ob er im Oktober 1893 wegen seiner Homosexualität von ehemaligen Kommilitonen (die eine Rufschädigung ihrer Universität befürchteten) zum Selbstmord gezwungen wurde oder ob er (freiwillig) an der Cholera starb, gehört zu den bitteren Pointen dieses hochprozentigen Lebens.

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