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Kultur: Hallo, ich bin nicht da!

Nichts wie raus hier. Den Benzingeruch im Autodeck abschütteln, die Schwingtür passieren, bloß schnell die Treppe rauf, aufs Außendeck, ins Freie.

Nichts wie raus hier. Den Benzingeruch im Autodeck abschütteln, die Schwingtür passieren, bloß schnell die Treppe rauf, aufs Außendeck, ins Freie. Sollen die Passagiere sich unten ruhig um die Tischplätze balgen. Die Motoren stampfen, die Ladeklappe, dieses gefräßige Stahlmaul, das Autokolonnen, Trucks und manchmal sogar Züge verschlingt, schließt ihre Zähne, die Fähre wendet im Hafenbecken, ohrenbetäubend das dröhnende Hupen zum Abschied. Die Seile gekappt, die Seele gelöst, Kursrichtung offene See. Die Küste verschwindet, dunstige Wolkengebilde entsteigen den Wellen, die letzte Möwe taumelt kreischend über der Reling. Und die Windsbraut reißt einem die Mütze vom Kopf und klaubt die Wörter direkt aus dem Mund. Haut brennt, Luft schreit, Herz schweigt. Die Welt ist mir abhanden gekommen, und nein, ich will nie mehr aufs Festland.

Fähre fahren ist große Freiheit. Der Konjunktiv unter den Transportmitteln: Aufbruch ins Ungefähr, Weltreisefieber, Inselversprechen. Ingeborg Bachmanns erste Erzählung „Die Fähre“ trägt die Sehnsucht im Titel und handelt vom Fährmann Josip, der auf ein Mädchen wartet, das er am Ende nicht über den Strom bringt.

Ja, ja, schon gut: Fähren sind nicht zum Weltreisen da. Globetrotter heuern auf anderen Schiffen an, auf Dreimastern, Frachtern, Luxusdampfern. Die Fähre fährt nur streng nach Fahrplan hin und her und her und hin. Oft überquert sie bloß einen Fluss, spielt Brückenersatz, hängt am Seil, befördert Fußgänger, bestenfalls noch ein paar Räder. Und doch ist der Mensch im Zwischenreich der Gezeiten: nicht mehr hier und noch nicht dort. Kinder halten sich die Augen zu und denken, dass keiner sie sieht. Hallo, ich bin nicht da!

Sonnabend, Tag der South Ferry. Marie, das Mädchen aus Uwe Johnsons „Jahrestage“ liebt es, das New Yorker Wochenende mit einer Fährfahrt zu eröffnen, rüber von Battery Park nach Staten Island, eine Dreiviertelstunde lang und weitere 45 Minuten zurück – „weil es ein Haus ist, das fährt; weil es eine Straße zwischen den Inseln ist, die sich selbst übersetzt“. Unterwegs fragt Marie der Mutter Gesine Löcher in den Bauch. Zum Beispiel, ob sie verlässlich mit niemand verwandt ist.

Fährmann hol über, den Kanon kann jeder. Man kann sich wärmen an seinem wolligen Moll, und wenn die Melodie sich am weitesten von ihrem Ursprung entfernt hat, ist sie zu Ende. Ein tönernes Fragezeichen. Weiß ich, wie das wird?

Die Fahrt zum anderen Ufer verspricht alles auf Anfang und ist doch auch Endspiel: des Menschen letzte Reise, wenn er den Acheron überquert. Fluss ohne Wiederkehr. Vielleicht dauert die Fahrt die ganze Nacht, vielleicht nur ein paar Minuten. Die Finger werden klamm, die Kälte kriecht in die Knochen, egal, Hauptsache Schlingern. Der Hafen kann warten.

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