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Kultur: Hallo, ist da wer?

Kurt Scheel bittet die Leser um Mitarbeit Liebe Leser! Dies ist mein achtes „Fernsehzimmer“, und wenn man die 8 auf die Seite legt, symbolisiert sie bekanntlich das Unendliche, also quasi eine (kleine) Ewigkeit – hohe Zeit, Zwischenbilanz zu ziehen.

Kurt Scheel bittet

die Leser um Mitarbeit

Liebe Leser! Dies ist mein achtes „Fernsehzimmer“, und wenn man die 8 auf die Seite legt, symbolisiert sie bekanntlich das Unendliche, also quasi eine (kleine) Ewigkeit – hohe Zeit, Zwischenbilanz zu ziehen. Mit welch großen Erwartungen habe ich Ihnen Anfang März mein Projekt erläutert: Ich wollte die erste interaktive Fernsehkolumne in unserem größeren Deutschland wagen, einen virtuellen Raum schaffen, in dem herrschaftsfrei kommuniziert werden kann über das, was die Menschen wirklich bewegt: die „Glotze“ (Gerhard Schröder).

Und was ist daraus geworden? Es geht mir hier nicht um Schuldzuweisungen, aber ich will doch festhalten, dass nicht alle mein faires Angebot aufgegriffen haben. Während die eine Partei (ich) in dreiwöchigem Turnus ihre Denkanstöße gegeben hat, hat sich die andere Partei (Sie) weitgehend in Schweigen gehüllt. Insgesamt gab es zwei Leserbriefe: einen positiven, aber leider ein bisschen unverständlichen; einen dezidiert negativen, der leider allzu verständlich war. Aber zum Tangotanzen braucht es, wie der ehemalige US-amerikanische Präsident Reagan so unnachahmlich gesagt hat, zwei.

Einsamer Tänzer

Während also ich, um im Bild zu bleiben, einsam meine eleganten und lockendenBewegungen auf dem spiegelnden Parkett dieser renommierten Hauptstadtzeitung vorgeführt habe, hielt sich das Publikum (demonstrativ?) zurück. „ Besser, als mit faulen Tomaten beworfen zu werden, mag jetzt mancher denken - aber das wäre ein Missverständnis. Es kam und es kommt mir nicht auf Beifall und Ruhm an, auf Standing Ovations oder gar eine Erhöhung meines Honorars (mehr Geld). Nein. Das alles hat mich nicht „die Bohne“ interessiert. Mir ging es im Sinne Rudolf Scharpings um etwas, das größer ist als ich: Mir ging es darum, den Brechtschen Gedanken, den er 1932 in seiner Radiotheorie entwickelt hat, zum Leben zu erwecken: endlich die Grenzen zwischen Sender und Empfänger aufzuheben oder wenigstens durchlässiger zu machen. Ist es mir gelungen? Wenn Sie mich fragen, ist ein klares Nein die Antwort.

Keine Schuldzuweisungen, wie gesagt. Der Kunde ist König, er kann tun und lassen, was er will. Aber dann darf er sich auch nicht beklagen, dass „die da oben“ doch sowieso machen, was sie wollen. Hier gab es nachweisbar die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und sich nach Maßgabe Willy Brandts „einzumischen“. Man ist offenbar zu bequem dazu gewesen. Erinnert solches Verhalten nicht daran, wie heutzutage insgesamt bei uns ferngesehen wird? Schlaff hängt der ach so mündige Bürger in seinem Sessel und lässt sich berieseln. Ob „Spiegel“-Reportage, ob „Klassiker der Volksmusik“: Stumpf und passiv sitzt der Konsument da und glotzt. Er läßt sich von den Bildern, die einer Bilderflut gleichen, praktisch überschwemmen. Das will ich gar nicht kritisieren, es geht ja auch mir gelegentlich so, ist menschlich-allzumenschlich (Nietzsche) und entspricht sogar den Thesen Marshall McLuhans: the medium is the message - beziehungsweise, wie man augenzwinkernd hinzufügen kann: the massage. Brechts hochfliegende Ideen, den Distributions- in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln, wären damit freilich, ikarusgleich, zum Absturz verurteilt.

Schlaffer Glotzer

Könnte es sein, dass die alten linken Medientheorien, die von der Aufhebung der Differenz zwischen Sendern und Empfängern träumen, das indolente Publikum vergessen haben? Und wäre damit auch mein Projekt der Leseremanzipation aus selbst verschuldeter Unmündigkeit eine Chimäre? Reden wir Klartext: All diese aufklärerischen Medientheorien müssen scheitern, solange sich die Rezipienten als Bourgeois und eben nicht als Citoyen verhalten.

Wahlrecht ist aber in einer Demokratie Wahlpflicht, und der mündige TV-Gucker wie auch der aufgeweckte „Fernsehzimmer“-Leser hat eine Bringschuld zu leisten: nach bestem Wissen und Gewissen und mit all seinen Möglichkeiten, so gering sie auch sein mögen, mitzutun, sich zu engagieren. Darum bitte ich Sie: Geben Sie mir acht weitere Kolumnen. Ich werde nicht alles anders, aber vieles besser machen. Und ich hoffe, dass auch Sie sich am Riemen reißen und mir stärker als bisher mit Rat und Tat zur Seite stehen. Lassen Sie uns gemeinsam diese Kolumne zum Erfolg führen. Vielleicht gelingt es uns sogar, über eine Aktivierung der „Fernsehzimmer“-Leser zu einer Mobilisierung der deutschen Fernseh-Gucker in toto zu kommen: ein kleiner Schritt für Sie, meine verehrten Leser, ein großer Schritt für die dumpfen Massen der TV-Glotzer.

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