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Kultur: Hamas & Versace

Eran Schaerf zu Gast im Neuen Berliner Kunstverein

Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern. Wer das Neueste am Vortag dennoch verpasst hat, kann es im Neuen Berliner Kunstverein nachlesen. Sämtliche nicht verkauften Tageszeitungen eines Kiosks bereitet Eran Schaerf Tag für Tag in seiner Installation „A Day in Between“ noch einmal auf, bevor die Nachrichten im Recyclingprozess von der Bildfläche verschwinden. Wie ein Bodenmosaik breitet sich der internationale Blätterwald aus und legt den Blick auf die „Bewusstseinsindustrie“ (Hans Magnus Enzensberger) frei.

Da künstlerische Fantasie die Fantasmen einer medial geprägten Realität kaum mehr überbieten kann, schöpft der 1962 in Tel Aviv geborene Künstler und Documenta- 9-Teilnehmer aus ihrem Fundus. Lieder einer israelischen Sängerin und der „arabischen Maria Callas“ erklingen als fiktives Gemeinschaftskonzert. Aus dem Ghettoblaster tönt die „Stimme des Hörers“: ein computergenerierter Radiosender. Ein harmloses Mode-Accessoire verliert auf einem Magazinumschlag seine Unschuld: Der Titel zeigt einen vermummten Hamas-Kämpfer, während rückseitig Versace das Kopftuch als Zierde einer schönen Frau präsentiert.

Fundstücke ohne erkennbaren Zusammenhang verknüpft Eran Schaerf zu einer Konzeptkunst, die ihre intellektuelle Schärfe nicht einbüßt. Der verführerische Bilderrausch in „Migrants & Variants“ trügt. Diaprojektionen jugendlicher Models, historische und moderne Stadtansichten kreisen um den Betrachter. Darüber laufen Sätze, die eine schöne neue Welt propagieren und mit aggressiven Sentenzen das Ende urbaner Tradition feiern.

So wie sich die Foto-Collagen überlagern, verschiebt und durchkreuzt Schaerf die Bedeutungsebenen der Dinge. Die Horizontalen einer Wandmalerei tauchen in Fotografien wieder auf, streifen Schaukästen und collagierte Kopien, um schließlich auf Audio-Sounds oder Projektionen zu landen, von wo aus der Blick fast unmerklich wieder zu den Farblinien am unteren Rand einer gemalten, schwarzen Sprechblase gelenkt wird. So wie die Pioniere der zweiten Moderne die Malerei in die Dreidimensionalität überführten, vernetzt Schaerf Material, Sinn und Form zu einer nachdenklich stimmenden Kunst, ohne in spröden Denksport zu verfallen. Michaela Nolte

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestr. 128/129, bis 13. Oktober; Katalog 29 €. – Galerie Zwinger, Gipsstr. 3, bis 12. Oktober.

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