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Hamburger Bahnhof: Die Neue Nationalgalerie hat ein neues Heim auf Zeit

Die Neue Nationalgalerie hat endlich ein Ausweichquartier: Im Hamburger Bahnhof sind „Die schwarzen Jahre. Geschichten einer Sammlung 1933–1945“ zu sehen.

Das war lange erwartet: Die Neue Nationalgalerie stellt endlich wieder aus in Berlin. Ihr Stammhaus, der Mies-van-der- Rohe-Bau am Kulturforum, hat vor mittlerweile elf Monaten seine Pforten geschlossen. Höchste Zeit für ein Wiedersehen – nachdem zuletzt in der großen „Im / Ex“Ausstellung in der Alten Nationalgalerie die Highlights des Expressionismus zu sehen waren.

Fünf Jahre ohne eigenes Heim – auf diesen Zeitraum ist die Sanierung des Gebäudes am Kulturforum fürs erste angesetzt –, das bedeutet auch für eine gewichtige Institution wie die Neue Nationalgalerie eine Gefahr.  Ein Museum gerät in der Fülle der Angebote leicht aus dem Blick. Zuletzt kursierte deshalb ein Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters und Kultursenators Michael Müller, zumindest Teile der Sammlung im Flughafen Tempelhof zu zeigen. Bislang scheitert es am Geld, der Hangar 1 müsste aufwendig hergerichtet werden. Und derzeit sind dort Flüchtlinge untergebracht.

Immerhin hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in ihren eigenen Räumen ein Ausweichquartier gefunden: im Westflügel des Hamburger Bahnhofs, der ohnehin zu den Dependancen der Nationalgalerie gehört. Nur wird hier normalerweise zeitgenössische Kunst gezeigt. Der Ort ist glücklich gewählt, denn in das Museum für Gegenwart strömt ein internationales, vornehmlich junges Publikum. In der „Neuen Galerie“, wie die temporäre Abteilung heißt, bekommt es nun während der Sanierung des Stammhauses eine Extraportion Moderne geboten, Kunstgeschichte vom Feinsten. Der erste Aufschlag ist ein Glanzstück an museologischer Forschungsarbeit, spannend aufbereitet, schön inszeniert. Das Museumsteam hängt sich selber die Latte hoch für die nächsten Ausstellungen, die im halbjährlichen Rhythmus folgen sollen.

Die Ausstellung bietet mehr als ein "best of"

Nur auf den ersten Blick mag enttäuschen, dass nicht einfach die Meisterwerke der Sammlung präsentiert werden, um das Nachholbedürfnis der Liebhaber klassischer Moderne zu befriedigen und die Touristen anzulocken. Statt dessen wird eine Art Kunstforum-Lab geboten, ein Probelauf für das künftige Museum der Moderne, das neben der Neuen Nationalgalerie entstehen wird. Sollte es auch dort so gelingen wie jetzt im Hamburger Bahnhof, darf man sich noch ein bisschen mehr freuen auf das neue Haus an der Potsdamer Straße, für das gerade der Architekturwettbewerb läuft.

„Die schwarzen Jahre. Geschichten einer Sammlung 1933–1945“ hat Kurator Dieter Scholz die Ausstellung überschrieben. Sie beginnt etwas kompliziert mit einem Prolog, der von einem Bildertausch im Dezember 1932 mit dem faschistischen Italien handelt. Die Nationalgalerie erhielt damals 15 Werke italienischer Künstler wie Giorgio de Chirico, Carlo Carrà oder Mario Sironi. In seiner Eröffnungsrede begeisterte sich Göring für diesen Kulturtransfer. Eine Herzensangelegenheit, wie er gestand: Schließlich seien beide Nationen im Kampf gegen den Bolschewismus vereint. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht geklärt, welche Richtung die Kunstpolitik einschlagen würde, waren Expressionismus und Futurismus noch akzeptiert.

Im Entree der jetzigen Ausstellung hängen allerdings nur noch 14 dieser Gemälde, denn im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ wurde ein Modigliani beschlagnahmt und bei der Auktion 1939 in Luzern versteigert. Noch heute befindet sich das Werk in einer anonymen Privatsammlung, die es nicht verleihen will. Spätestens hier ahnt der Besucher, dass er keine leichte Kost serviert bekommt, sondern den verschlungenen Wegen der Bilder folgen soll, den komplizierten Sammlungsbezügen der Nationalgalerie.

60 Werke - jedes hat seine eigene Geschichte

Den Augenschmaus gibt es trotzdem. Mit jedem der 60 Werke verbindet sich eine andere Geschichte. Seit dem Auftauchen der Sammlung Gurlitt in München weiß auch das große Publikum um die Kompliziertheit der Provenienzen, weiß, dass sich Maler, Händler, Sammler und auch Museumsmitarbeiter im „Dritten Reich“ arrangierten und es Schwarz oder Weiß nicht gibt. Die Ausstellungswände sind deshalb in Grau gehalten, das sich mit jedem Abschnitt dunkler färbt, bis zum Anthrazit beim Kapitel „Verfolgung“.

Den Auftakt macht Karl Hofers „Trommler“, ein sinistres Bild mit fünf fast unbekleideten Figuren, die wie auf einer Bühne schwarze Stellwände zu bewegen scheinen. In ihrer Mitte hat der Trommler seinen Auftritt. Handelt es sich um eine Allegorie auf Hitler, der sich selbst als Trommler für die Sache des Faschismus verstand? Nachdem Hofers Atelier 1943 durch eine Fliegerbombe zerstört wurde, malte er das Bild zum zweiten Mal, von der ersten Version aus dem Jahr 1924 besaß er noch eine Fotografie. Was in den Zwanzigern nur Ahnung war, die Ankündigung eines schlimmen Stücks, ist unter den Nationalsozialisten dramatische Realität geworden. Hofer gehörte zu den Ersten, die ihren Posten als Hochschullehrer verloren. Allerdings versuchte auch er sich unter den neuen Verhältnissen einzurichten – und er ließ sich von seiner jüdischen Frau Mathilde scheiden, die 1942 dann in Auschwitz ermordet wurde.

Anderen Künstlern blieb nur die Emigration, wie Ernesto Fiori, der nach Brasilien ging. Von ihm stammt eine Büste Marlene Dietrichs, die wiederum in die USA emigrierte – ein Werk, zwei Schicksale. Das machtvolle Selbstbildnis Max Beckmanns aus Gips erinnert an einen weiteren Exilanten. Einen Tag nach der Eröffnung der „Entartete Kunst“-Schau 1937 in München reiste Beckmann nach Holland und kehrte bis zum Kriegsende nicht mehr nach Deutschland zurück.

Das Jahr 1937 stellt eine Zäsur in der Kunstpolitik des „Dritten Reichs“ dar, das Kunst und Künstler nun gezielt verfolgte. Zu den glücklich verlaufenen Geschichten gehört die Rettung von Erich Heckels Gemälde „Der Frühling“, das der Konfiszierung entging, weil ein mutiger Volontär es vor der angereisten NS-Kommission gerade noch verbergen konnte. Eine Ausnahme. Mit insgesamt 400 Werken der Moderne gehört die Nationalgalerie zu den Museen mit den größten Einbußen durch die Nationalsozialisten. Immerhin entging Wilhelm Lehmbrucks „Kniende“ ebenfalls den Kunstrichtern, denn für die Münchner Feme-Ausstellung von 1937 war bereits eine andere Fassung vorgesehen. Dafür erlitt der Berliner Guss im Zweiten Weltkrieg durch die Bomben schlimmsten Schaden, im Hamburger Bahnhof ist nun nur noch zu sehen, was davon übrig blieb.

Rudolf Belling galt den Nazis gleichzeitig als entartet und genehm

Wie widersprüchlich das offizielle Kunsturteil damals ausfiel, zeigt der Fall des Bildhauers Rudolf Belling. Sein abstrakter „Dreiklang“ geriet in die Ausstellung „Entartete Kunst“, parallel wurde seine Bronze von Max Schmeling als genehmes Werk im Haus der Deutschen Kunst gezeigt. Beide befinden sich heute in der Sammlung, ebenso Georg Kolbes „Herabschreitender“ von 1940, dessen Muskulösität ganz im Sinne der faschistischen Ästhetik war. Nazi-Kunst oder nicht? Auch im Nachhinein sind die Unterschiede nicht immer auszumachen.

Umso ergreifender das mit Versatzstücken von Picassos „Guernica“ spielende Gemälde von Karl Kunz, der auf Sperrholzplatten aus dem väterlichen Holzbetrieb malte und dort auch seine Werke verbergen konnte. Als Schenkung des Sohnes gelangte es in diesem Jahr in die Neue Nationalgalerie, wo es nun zum ersten Mal zu sehen ist. Nach den schwarzen Jahren kommt es endlich ans Licht.

Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50/51, bis 31. Juli 2016; Di, Mi, Fr 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr. Katalog (Verbrecher Verlag) 29,80 €.

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