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Kultur: "Hamlet": Wiege dich im Schlummer, nimmer komme zwischen uns ein Kummer

Ophelia ist ertrunken, das musste ja so enden. Der "Hamlet" verlangt den Liebestod, auch wenn er diesmal nicht im Königreich Dänemark, sondern bei einem Multimedia-Imperium namens "Denmark Corporation" spielt.

Ophelia ist ertrunken, das musste ja so enden. Der "Hamlet" verlangt den Liebestod, auch wenn er diesmal nicht im Königreich Dänemark, sondern bei einem Multimedia-Imperium namens "Denmark Corporation" spielt. Der Präsident ist unter mysteriösen Umständen gestorben, und sein Bruder hat nicht nur den Firmenvorsitz übernommen, sondern auch seine Witwe geheiratet. "Hamlet" im 21. Jahrhundert kann man sich ohne Weiteres vorstellen. Ein junger Mann, den trotz Macht und Reichtümer ein innerer Abgrund zu verschlingen droht, passt so gut in unsere Zeit, als sei er ihr entsprungen. Hamlet (Ethan Hawke) ist ein Gefangener in Designeranzügen, ein Kind, das hofft, sich mit Wollmütze und Gucci-Brille vor den Zumutungen der Erwachsenen zu schützen. Sein Kerker sind die stahlblauen Fassaden von Manhattan.

Eine dichte Bilderwelt komponiert Kameramann John de Borman, blitzblank wie aus einem Werbespot. Bomben explodieren auf Bildschirmen, das Theaterstück, mit dem Hamlet Claudius (Kyle MacLachlan) überführen will, wird zu einer Video-Collage. Über die Monitore auf Hamlets Schreibtisch flimmern James Dean und Ophelia (Julia Stiles), Vater (Sam Shepard), Mutter (Diane Venora) und John Gielgud mit Yoricks Totenschädel in der Hand. Nicht Blumen, sondern Polaroids verteilt Ophelia in ihrem Wahnsinn. Baz Luhmann zertrümmerte 1997 "Romeo und Julia" in tausend Splitter, um das Stück neu zusammenzusetzen. "Hamlet"-Regisseur Michael Almereyda dagegen versucht, alles unterzubringen: die Bilder des 21. Jahrhunderts neben Shakespeares Text in größtmöglicher Vollständigkeit. Er scheitert, weil die Macht der Bilder größer ist als die des Wortes. Die Dialoge wirken oft sperrig, als sei Shakespeare ein Drehbuchautor, der eine brauchbare Story liefert, nur mit zu vielen Worten.

Eine der stärksten Szenen ist Hamlets Begegnung mit dem Geist seines Vaters. Ethan Hawke ist eine Idealbesetzung, Sam Shepard ebenfalls. Shepard glüht in kalter Wut, eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Hawke drückt mit jeder Geste Grauen aus, bis, der Geist hatte sich schon abgewendet, für Sekunden der Vater zurückkehrt und den Sohn umarmt. Doch solche Momente sind rar bei Almereyda. Statt Bilder oder Worte für sich sprechen zu lassen, schickt er Hamlet in einen Videoladen und lässt ihn vor Dutzenden von animierten Bildschirmen den "Sein oder Nichtsein"-Monolog herunterbeten, bis man sich die Ohren zuhalten möchte. Beim Bilderstürmer Luhman blieb Shakespeares Geist gerade durch den wagemutigen Umgang mit dem Text intakt. Der ehrfürchtigere Almereyda macht genau das überflüssig, was er erhalten wollte.

SN

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