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Es ist seine zweite Regiearbeit an der Oper: Michael Haneke inszeniert "Così fan tutte" in Madrid.

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Haneke inszeniert Mozarts "Così van tutte": Gelungen gescheitert

Michael Haneke gewann gerade einen Oscar für seinen Film "Liebe". Nun hat er am Madrider Teatro Real Mozarts Oper „Così fan tutte“ inszeniert, in der er die Fragen der Moral und der Verantwortung ausleuchtet, zwischen Liebe, Begierde, Schuld und Verletzungen.

"Ich mache keine Filme, damit die Menschen leiden“, hat Michael Haneke vor wenigen Tagen beteuert: „wenn die Menschen trotzdem leiden, dann hat das vielleicht seine Gründe.“ Der Filmemacher macht auch kein Musiktheater, damit seine Zuschauer leiden. Er geht nur ebenso tiefenscharf und unerbittlich genau wie im Film an die Arbeit. Wie er an Mozarts „Così fan tutte“ die Fragen der Moral und der Verantwortung ausleuchtet, zwischen Liebe, Begierde, Schuld und Verletzungen, das macht seine Inszenierung am Madrider Teatro Real zu einem herausragenden Ereignis.

„Warum hat denn der reiche Herr Alfonso nur diese Despina geheiratet, wo sie doch eine Immigrantin ist und 20 Jahre jünger ist als er? Warum glaubt er denn, dass sie ihn betrügt? Warum muss er sie denn demütigen? Warum muss sie ihn denn demütigen?“, hat sich Michael Haneke als Leitfaden für seine Inszenierung aufgeschrieben: „Warum ist Despina denn so traurig? Warum sind die Burschen denn ihrer Mädels so sicher? Warum sind denn die Mädels deshalb so sauer? Warum sind denn alle so verzweifelt, so verbissen und stolz?“

Der zynische Don Alfonso, der seinen jungen Freunden eine fatale Wette anbietet, treibt das böse Spiel voran, dass der 70-jährige Haneke schattenlos bloßlegt. Er karikiert diese so selbstgewiss-überheblichen Kerle, die sich der Liebe ihrer Freundinnen so sicher sind, dass sie bedenkenlos viel Geld auf deren Treue setzen. Das ist der Rahmen einer Oper, deren Handlung man auch Klamauk nennen könnte, weil sie so lächerlich überzogen ist – „an den Haaren herbeigezogen“ und „manchmal schon ziemlich dämlich“, wie Haneke selbst urteilte. Dennoch verleiht er dieser Aufführung, das mit einem Bühnenbild auskommt, eine realistische Tiefe – auch durch seine exzellente Schauspielerführung. Haneke hat sich ein hervorragendes Ensemble vor allem jüngerer Sänger auf die Bühne geholt, die vom französischen Dirigenten Sylvain Cambreling souverän begleitet werden. Es ist eine meisterhafte Leistung, aus diesem frivol-leichtherzig angelegten Spiel über die angeblich stete Bereitschaft der Frauen zur Affäre eine bittere Wahrheit herauszuarbeiten, die den Zuschauer über das Lachen den Atem stocken lässt. Und damit jenes Gefühl offenlegt, die Mozart wohl selbst bewegte, als er bei der Komposition von „Così fan tutte“ an der Treue seiner Frau zweifelte.

Mit einem Kunstgriff gelingt es Haneke, den Zuschauer in diese Oper der unentwegten Wirrungen, Verkleidungen und Täuschungen zu ziehen. Es ist die subtile Verschiebung der Zeitebenen, die beim Betrachter eine stete Irritation auslöst. Das Landhaus des 18. Jahrhundert mit den Marmorwänden reibt sich an der topaktuellen Designer-Einrichtung, unter den Darstellern wechseln barocke Roben und Perücken mit Anzügen und Boutique-Kleidern. Und die warmen Farben eines noch unvollendeten Watteau-Gemäldes erstarren unter dem aseptisch kalten Licht der verspiegelten Bar.

Zwischen jugendlicher Begierde, Sehnsucht, Selbstbetrug und neuer Verliebtheit.

Juan Francisco Gatell (links) als Ferrando, William Shimell als Don Alfonso und Andreas Wolf als Guglielmo.
Juan Francisco Gatell (links) als Ferrando, William Shimell als Don Alfonso und Andreas Wolf als Guglielmo.

© dpa

Die beiden Paare, die im Laufe einer einzigen Nacht unter dem Himmel von Neapel ihre Partner betrügen, durchmessen die Abgründe der jugendlichen Begierde, Sehnsucht, Selbstbetrug und neuer Verliebtheit. Am Ende müssen die Männer - hervorragend Tenor Juan Francisco Gatell als Ferrando  - erkennen, dass ihr erfolgreiches Liebeswerben um die Braut  des Freundes sie selber zu Leidenden machen. Es ist aber vor allem das Drama einer Ehehölle, das Haneke aus der Beziehung von Don Alfonso und Despina herausarbeitet. Die bösen Gesten und abschätzigen Blicke lassen einen „Bürgerkrieg“ der gegenseitigen Demütigungen und Verletzungen plastisch werden, hinter der das frühere Begehren spürbar wird. Die eigene Enttäuschung über die verlorene Liebe macht sie zu Komplizen beim schlimmen Spiel, den jungen Leuten ihre Naivität über die Leichtigkeit der Liebe vorzuführen.

Dem künstlerischen Direktor des Teatro Real, Gerard Mortier, ist mit Hanekes Verpflichtung für „Così fan tutte“ eine spektakuläre Produktion für die Madrider Oper gelungen, die mit enormen Etatkürzungen kämpfen muss. Dennoch hat Mortier, der frühere Intendant der Salzburger Festspiele, der Oper mit innovativen Projekten und Uraufführungen neues Renommee verschafft und lockt verstärkt jüngeres Publikum. Erst zum Jahresanfang gab es mit „der perfekte Amerikaner“ eine spektakuläre Weltpremiere mit der Musik von Philip Glass über das sehr kritisch beleuchtete Leben des Mickey-Maus-Erfinders Walt Disney.

Mortier hatte es bereits 2006 geschafft, den Österreicher Haneke an die Pariser Oper zu holen – ebenfalls mit einer Mozart-Oper. Damals inszenierte Haneke „Don Giovanni“ und erntete zwiespältige Reaktionen. Nun gab es eine umjubelte Premiere, in der Haneke selbst fehlte. Bereits nach der Generalprobe reiste der 70-jährige nach Los Angeles, wo sein Film „Liebe“ als einer der großen Oscar-Favoriten gilt. Insgesamt ist „Liebe“ fünfmal nominiert, darunter für die Kategorie „bester Film“, beste Regie“ und „bestes Drehbuch“.

Vor allem der herausragenden Sopranistin Anett Fritsch gelingt es, die Seelenpein der bedrängten Fiordiligi zwischen Treue zum Verlobten und aufkeimender Verliebtheit in den neuen Partner Ausdruck zu verleihen. Jeder ist verführbar, ist die bittere Essenz dieser Nacht. Mit dieser desillusionierenden Erfahrung müssen die sich betrügenden Liebenden künftig leben. Aber die Intriganten Don Alfonso und Despina, die in ihrem tiefsten Innern doch so verzweifelt selber an die Liebe glauben möchten, und sich zugleich bestätigt fühlen dürfen in ihrem Zynismus, die trifft es härter - sie bleiben gemeinsam allein.

Man könne an Werken eines solch großartigen Künstlers wie Mozart nur scheitern, merkte Haneke wenige Tage vor der Premiere an. Man kann kaum gelungener scheitern.

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