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Zwänge aufspüren. Iris Hanika. Foto: dpa

© picture-alliance / Erwin Elsner

Hanika-Roman "Tanzen auf Beton": Berghain oder Psychoknast

Mit dem Roman „Tanzen auf Beton“ legt Iris Hanika das Ich auf die Couch.

In den letzten beiden Jahren sind einige Bücher erschienen, die moderne Liebesökonomien zu beschreiben versuchten. Eva Illouz' „Warum Liebe weh tut“ oder Christiane Rösingers „Liebe wird oft überbewertet“ sind nur die prominentesten Beispiele. Auch die Berliner Schriftstellerin Iris Hanika schreibt über die Liebe. Mit „Treffen sich zwei“ schaffte sie es 2008 sogar auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. „Tanzen auf Beton“ heißt Hanikas neuer Roman, der von einer komplizierten Liebesbeziehung handelt und von den Unmöglichkeiten, die sich daraus ergeben. Allerdings ist nicht jedes Buch, das aus Verkäuflichkeitsgründen die Bezeichnung „Roman“ auf dem Cover führt, tatsächlich einer. Zumindest muss man bisweilen die Gattungsgrenzen großzügig ziehen, um das Genre einigermaßen fassen zu können. Der Untertitel von Hanikas neuem Buch trifft es schon eher: „Weiterer Bericht von der unendlichen Analyse“.

Dann also auf die Couch und die Tanzfläche: Den Betonboden der Tatsachen bildet jene verkorkste Beziehung, die im Mittelpunkt von Hanikas Bekenntnisprosa steht. Ein der Autorin zum Verwechseln ähnlich sehendes Ich erinnert sich an den „einst Geliebten“, mit dem sie wie verkettet war. Von einer tänzelnden Leichtigkeit kann in dieser neurotischen, vornehmlich auf sexuelle Begegnungen beschränkten Beziehung nicht die Rede sein. Die Basis dieser Liebe ist eher so hart wie der Untergrund im Technoclub Berghain, wohin sich die Protagonistin einmal verirrt.

Die Verbindung zwischen dem Mann und der Frau basiert auf Verschwiegenheit – er verheimlicht die Treffen aufgrund seines Familienstands, er ist nämlich verheiratet. Sie tut es, weil sie in sich verborgen ein etwas verqueres Frauenbild mit sich herumträgt, das ihr fortwährend sagt: Du bist nichts wert, du darfst keine Wünsche haben, du musst dem Mann zu Gefallen sein. Weil sie als intelligente, durchaus in feministischen Belangen geschulte Frau diese Vorstellung aber verständlicherweise antiquiert findet, ist es ihr nur recht, wenn auch sie immer mal wieder nur zwei Stunden die Geliebte ist, das Arrangement auf Heimlichkeit fußt: „So ist die Liebe zwar in der Spannung unserer Körper zu spüren, aber sie ist eben nicht materiell.“

Man kann sich vorstellen, dass das nicht nur unbefriedigend ist, sondern auch verletzend. Das Selbstverständnis gerät durcheinander. Abhängigkeit und Sehnsucht widersprechen dem emanzipierten Selbstbild. Das Ich trägt ein einschnürendes Korsett und sitzt dazu auch noch im Psychoknast der modernden Metropolenbewohnerin. Daran knabbert sie schwer. Sie hadert mit der Analyse, der sie sich schon jahrelang anvertraut hat, die aber wohl, wie sie nun merkt, längst nicht zum Ziel geführt hat. Das Ziel wäre: dem Grundschaden, von dem dieses Ich spricht, auf die Schliche zu kommen.

Tatsächlich scheint die Analyse den Weg zu weisen und das Buch selbst einem analytischen Prozess zu gleichen. Nach und nach löst sich etwas auf und eine Erkenntnis reift; auch eine frühe Missbrauchsgeschichte wird aus den trüben Tiefen des Unbewussten an die Oberfläche gebracht. Das alles geschieht nicht zuletzt über Um- oder Parallelwege: übers Reisen, über das Erlernen einer Fremdsprache, über die Musik und über Medien, die der Frau einen anderen Weltzugang ermöglichen. Und auch so etwas wie Glück gibt es. Das sind die Momente, in denen dem Ich etwas gelingt, das in der Sprache erst mühsam hergestellt werden muss: Einssein mit einer Idee vom eigenen Leben.

Dass dies nur selten geschieht und wenn überhaupt, dann nur im Akzeptieren von Zerrissenheit, zeigt auch die Gestalt dieses Buches. Es versammelt Beobachtungen, Reflexionen, Anekdoten, Erinnerungen, Textfragmente. Wie dieser autobiografische Roman setzt sich natürlich auch der Lebensroman aus nicht immer zusammenpassenden Teilen zusammen, und erst im Nachhinein lassen sie sich vielleicht so anordnen, dass daraus eine Geschichte wird. Man könnte es aber im Falle von Iris Hanikas Buch auch böse sagen: Ein Formwille ist nicht so recht zu erkennen. Es besteht aus lauter kleinen Feuilletons und Geschichtchen, die mehr oder minder sinnfällig zusammengestrickt und durch ein etwas fragiles Ich zusammengehalten werden.

„Vor allem sammele ich nichts. Ich kategorisiere nichts und entwerfe keine Ordnungssysteme. Ich interessiere mich nicht für tote Dinge, sondern studiere lebendige“, heißt es einmal. Das Studium am lebendigen Objekt bedeutet zugleich auch eine gewisse Unmittelbarkeit – die Kühle der Beobachterin geht Iris Hanika ab, was gar nicht schlimm wäre.

Es findet aber auch keine literarische Übertragung statt, die das collagierende Anordnen verschiedener Textteile reizvoll machte. „Tanzen auf Beton“ wirkt unbearbeitet. Ungeschliffen. Deshalb manchmal auch aufdringlich. Man hat das Gefühl, tatsächlich heimlich bei einer Therapiestunde hinter einer spanischen Wand zu sitzen und zu lauschen. Und nicht jeder auf der Couch geäußerte Gedanke, der zwar wahr sein mag, ist auch immer sonderlich originell. „Wie lange ist das durchzuhalten? Wie lange für die Schreiberin, wie lange für den Leser? Nicht lange. Schon bald kommt der Sinn wieder angekrochen.“

Der Sinn dieses Buches besteht wohl darin, das eigene Tun zu durchschauen und die Zwänge zu beschreiben, in die sich ein emanzipierter Mensch hineinbegeben kann. Herauszufinden, welche Erlebnisse aus den vielen vergangenen Tagen das Jetzt zu sabotieren drohen. Das mag ein großer Schritt für Iris Hanika sein, für die Literatur ist es eher ein kleiner. Ulrich Rüdenauer

Iris Hanika:

Tanzen auf Beton.

Weiterer Bericht von der Analyse. Roman.

Literaturverlag Droschl, Wien 2012. 240 Seiten, 19 €.

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