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Hanno Müller-Brachmann

© Monika Riittershaus

Hanno Müller-Brachmann im Konzerthaus: Kerl und König

Er ist Berlin abhanden gekommen und jetzt für einen Abend zurückgekehrt: Hanno Müller-Brachmann reitet im Konzerthaus mit romantischen Liedern durch Nacht und Wind.

Am Wasser hängt, zum Wasser drängt doch alles. Nicht nur im sommerlichen Berlin, wenn die Temperaturen endlich wieder seetaugliches Format erreichen. Auch in der Kunst. Goethe, Herder oder August von Platen kommen in ihren Gedichten kaum ohne Verweis auf Flüssiges, Benetztes aus – als universale Metapher für fast alles: Leben, Zeit, Erinnerung, Vergänglichkeit, Tod. „Walle, Regen, walle nieder/wecke mir die Träume wieder/die ich in der Kindheit träumte/wenn das Nass im Sande schäumte“, dichtet, etwas rumpelig, auch Klaus Groth, sein Freund Johannes Brahms hat seine Texte als op. 59 vertont. Hanno Müller-Brachmann singt im Kleinen Saal des Konzerthauses vier Lieder daraus, außerdem Werke von Franz Schubert, Carl Loewe und Louis Spohr.

Sie alle haben eine Lyrik vertont, in die sich immer wieder Wassermetaphorik einschleicht: heiße Tränen, Regentropfen, Meereswogen, klarer See, rieselnde Quelle, weinender Bach, brausender Strom. Naturromantik pur, und der gewaltige, schwarzschauernde Bassbariton von Müller-Brachmann – einst Ensemblemitglied der Berliner Staatsoper, inzwischen als Professor nach Karlsruhe abgewandert – scheint den Texten noch zusätzliche Gewitterwolken hinzufügen zu wollen. Eine Stimme, fast zu groß für den Kleinen Saal, der die Klanggewalt kaum auffängt. Damit könnte Müller-Brachmann problemlos auch den Großen Saal bis in die akustisch schwierigen Ecken fluten. Zartfunkelnder, intimer wird’s in den höheren Lagen, etwa in Schuberts „Der Tod und das Mädchen“, wo er auch den falsch säuselnden, verderblichen Verführer mit Bravour gibt. Und mit tollem Passaggio, mit bruchlos-organischem Übergang zwischen den Lagen.

Verlässlicher Begleiter und heimlicher Mittelpunkt des Abends ist Malcom Martineau am Klavier, der gerne mit voluminös ausbrechenden Attacken gegen Liedende überrascht. Es ist ein ungewöhnlicher Liederabend insofern, als dass mit der Geigerin Marie-Christine Klettner noch eine dritte Musikerin an ihm beteiligt ist. Ihr Klangideal: ein glatter Gegenentwurf zum satten, potenten Gesang Müller-Brachmanns. Faserig, spröde, als waberte da reichlich viel Luft zwischen den Bogenhaaren und den Saiten, so geht sie Brahms Sonate für Violine und Klavier an. Später, in der Grand Caprice auf Schuberts „Erlkönig“ für Violine Solo von Heinrich Wilhelm Ernst wird sie schotterig, teilweise scheint die Musik stillzustehen, zu versanden: Noch Absicht oder schon Scheitern?

Goethes Erlkönig, auch er ein schauerromantischer Topos, prägt das Konzert von Anfang bis Ende. Da ist zum einen Schuberts geniale, kanonische Vertonung, bei der sich auch nach 200 Jahren noch Gänsehaut einstellt. Müller-Brachmann schlüpft in alle vier Rollen, färbt die Stimmen (Erzähler, Vater, Kind, Erlkönig) charakteristisch ein. Kaum bekannt ist, dass nicht nur Schubert Goethes Gedicht vertont hat. Zwar hat man immer seine Version im Ohr, aber die atmosphärisch sehr dicht, fast impressionistisch gewebte Fassung von Carl Loewe – der ansonsten eher unterkomplex komponiert hat – kann daneben bestehen. Und Louis Spohr setzt neben Klavier noch die Geige ein, der er, nach dem Tod des Kindes, ein trauriges Nachspiel gönnt.

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