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Kultur: Hans Magnus Dampf im Berliner Literaturhaus

"Dilettantismus ist scheußlich", schreibt der 25jährige Hans Magnus Enzensberger 1955 an Walter Höllerer. Denn Schibboleth ist, da muss er sich nach einem Blick ins Lexikon korrigieren, sächlich und wird auf der zweiten Silbe betont.

"Dilettantismus ist scheußlich", schreibt der 25jährige Hans Magnus Enzensberger 1955 an Walter Höllerer. Denn Schibboleth ist, da muss er sich nach einem Blick ins Lexikon korrigieren, sächlich und wird auf der zweiten Silbe betont. Dem Besucher der Ausstellung über Hans Magnus Enzensberger im Literaturhaus gereicht diese Anekdote zum Schibboleth: Als Losung erschließt sie ihm eines der Wirkungsgeheimnisse eines "öffentlichen Lebens", so der Untertitel der Schau.

Wie kein zweiter hat Enzensberger die Geschicke der Bundesrepublik mit geprägt. Ein Mandat hat man ihm nie erteilt; der Intellektuelle nimmt das Wort und spricht für sich so, dass es viele angeht. Enzensbergers schneidender und eleganter, hämischer und lockender Tonfall ist unverwechselbar. Nicht zuletztist Enzensbergers "öffentliches Leben" eine Liebesgeschichte mit Presse, Funk und Fernsehen: Enzensberger Medienstar. Ein Video von Ralf Zöller ist daher Teil der aus München übernommenen Ausstellung, die vom "Zeit"-Journalisten und Enzensberger-Biografen Jörg Lau sowie dem Leiter des Münchener Literaturhauses, Reinhard G. Wittmann, konzipiert wurde. Den größten Raum nimmt jedoch Enzensbergers eigenes Medium ein: Gedrucktes, das sich ihm in sieben Stationen nähert.

Das ist nicht leicht bei einem Hans Magnus Dampf in allen Gassen, der stets verneint, was er eben noch war. Also spannen die meisten Vitrinen ihn ein zwischen zwei Polen und erzählen von seinen Anfängen als "zorniger junger Mann" mit Traditionsbewusstsein. Vom Kritiker der Medien, der sie zugleich beliefert (den "Spiegel" zeitweise als monatlicher Kolumnist). Vom Reisenden und Vermittler von Weltliteratur ("Das Museum der modernen Poesie"). Vom Kritischen Theoretiker, den sein Erfolg zum Teil des Establishments werden lässt. Und vom Revolutionär, der der Utopie bald den Laufpaß gibt. Vom Kritiker einer deutschen Normalität, die in den 50er und 60er Jahren vom Nationalsozialismus und seinen Folgen schweigen will. Und von dem Mann, der das Kleinbürgertum in den 70ern als Hort gelungener Normalisierung begrüßt. Vom universell Interessierten, der Wissenschaft und Poesie verknüpft. Schließlich vom Gründer der "Anderen Bibliothek" sowie der Zeitschriften "Kursbuch" und "Transatlantik".

Die letzte Station zeigt den sich entziehenden Autor, dem die Ehrung durch die Ausstellung zum 70. Geburtstag gar nicht gefiel und der sich nur von hinten für sie fotografieren ließ. Das Foto setzt die Geistesgegenwart, mit der Enzensberger dem common sense einige Schritte voraus ist, ins Bild. Es zeigt ihn also flüchtig. Die kleiner werdende Figur des Autors autorisiert den abgelieferten Text als gegenwärtigen, während sein Verfasser schon zu neuen Ufern aufgebrochen ist. Das ist ganz wörtlich zu verstehen. Enzensberger hält das Archivieren von Papier für "unhygienisch". Entwürfe und Überarbeitungen der Werke, vulgo: die Stoffwechselprodukte, landen im Papierkorb. Übrig bleibt das Abgeschlossene, Perfekte: das Werk. Auratische Objekte fehlen daher in der Ausstellung, das Manuskript des "Untergangs der Titanic" ebenso wie die Zuckerrohrmachete aus Kuba. Die Exponate stammen von Freunden, Bekannten und Institutionen. Dass Enzensbergers Tätigkeiten als Librettist und Dramaturg keine, die Fernseharbeiten nur kurze Erwähnung finden, verschmerzt man angesichts der Fülle gern.

Die Ausstellung gibt dem Enzensbergerschen Selbstmythos der Flüchtigkeit freundlich Raum, nachdem sie den großen Diskursschatten der kleinen Autorfigur gezeigt hat. Nicht nur die (meisten) Vitrinen folgen der Polarität, auch die angenehm diskrete Schau als ganzes. Das schöne Prinzip hat nur einen Nachteil: Es läßt keinen Raum für Kritik. Und wenn von den Wänden das fotografierte Angesicht des Autors mit ruhigem Blick auf all das hinuntersieht, was er vollbracht hat, dann staunt man manchmal, ihn hier anzutreffen. So sieht er also aus, so sah er schon früh aus: eine Instanz.Literaturhaus Berlin, Fasanenstraße, bis 9. April. Tgl. außer dienstags 11 - 19 Uhr.

Jörg Plath

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