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Hans-Ulrich Treichel über Wolfgang Koeppen: "Dieser Autor lehrt uns das Fühlen"

Hans-Ulrich Treichel hat über Wolfgang Koeppen promoviert. Im Tagesspiegel-Interview spricht über den Schriftsteller.

Herr Treichel, das Brecht-Literaturforum hat Wolfgang Koeppen soeben eine komplette Veranstaltungswoche gewidmet. Warum ausgerechnet jetzt, so unabhängig von biografischen Jubiläen?

Es gibt immer einen Grund, auf Koeppen aufmerksam zu machen. Er ist ja nicht allzu bekannt. Aber der Hauptgrund ist, dass sein Werk lebt – dass es weiterlebt. Es existieren nicht nur die Bücher aus den dreißiger, fünfziger und siebziger Jahren. In den vergangenen Jahren sind Texte im Nachlass gefunden worden und erschienen. Auch Briefwechsel …

... mit Koeppens Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld und mit seiner psychisch kranken und alkoholabhängigen Frau Marion. Sie enthalten teils sehr persönliche Dinge. Muss man das wirklich lesen?

Ich finde auch, dass es sehr intime Details sind. Wie weit man aber gehen kann, ist eine Frage der Abwägung. Die Briefe, finde ich, beschädigen die Intimsphäre des Autors nicht. Die Teilnahme an Koeppens Leben wird sogar noch größer, wenn man die Texte gelesen hat. Ich hatte auch nie das Gefühl, zum Voyeur zu werden. Sondern ich sah eher, welchen Leidenssituationen dieser Mensch ausgesetzt war.

Es heißt, Koeppen litt unter einer Schreibblockade.

Betrachtet man die Daten, ist es eindeutig. Koeppen hat in den dreißiger Jahren zwei Romane geschrieben und drei Romane sehr schnell hintereinander nach 1950. Seinen Verlegern hat er immer wieder weitere Bücher versprochen. Doch geschrieben hat er sie nie – fast vierzig Jahre lang. Dabei hat er durchaus viele Projekte formuliert, bis hin zu Klappentexten und Ankündigungen in Programmvorschauen. Nur der Roman fehlte.

Wie deuten Sie die Blockade Koeppens?

Als ich in den achtziger Jahren meine Doktorarbeit über Koeppen schrieb, habe ich mich auch gefragt, woher diese Schweigesituation kam. Ich konnte es mir nicht erklären. Er war professioneller Journalist und hatte bewiesen, dass er in drei, vier Jahren drei bedeutende Romane schreiben konnte. Warum kann dieser Mensch keinen nächsten Roman schreiben? Heute kennen wir einen Grund, der sehr wahrscheinlich dazu geführt hat: die immer schlimmer werdende psychische Situation seiner Frau. Andere Autoren hätten vielleicht Bedingungen geschaffen, mit denen sie sich so einer Situation hätten entziehen können. Koeppen gelang das offenbar nicht.

Dennoch schrieb er – seine zum Teil sehr literarischen Briefe zum Beispiel. Warum hat Koeppen daraus keine Literatur gemacht? Seine Werke waren ja ohnehin autobiografisch gefärbt.

Berechtigte Frage. Auch sein Verleger Unseld hat geradezu verzweifelt festgestellt: „Es steht ja schon da. Das ist ja schon der Roman. Es sind ja schon drei Seiten. Es fehlen ja nur noch 250.“ Anscheinend war Koeppen nicht in der Lage, das, wozu er in den Briefen fähig war, in einem großen Text umzusetzen.

Sie schreiben selbst, kennen Sie Blockaden?

Bisher nicht, und ich hoffe, es bleibt so. Das muss eine sehr hilflose Situation sein.

Haben Sie noch Hoffnung, dass der Mythos Koeppen je ganz gelüftet werden kann?

Na ja, das soll man vielleicht gar nicht (lacht). Wir sind ja nicht die Psychoanalytiker eines Schriftstellers. Aber Koeppen ermöglicht uns, in Schicksale, Arbeitsweisen, Gefühlssituationen eines Menschen zu schauen. Und das ist vielleicht auch die Aufgabe eines Schriftstellers. Sie geben ohnehin sehr viel von sich preis. Oft verwandelt, aber oft tatsächlich weniger verwandelt, als wir annehmen.

Was können wir von Koeppen lernen?

Etwas über das Menschsein, die Conditio humana.

Das Gespräch führte Anja Brandt. Heute, 20 Uhr, zeigt das Babylon Mitte Peter Goedels „Treibhaus“-Verfilmung von 1987. Der Regisseur ist anwesend, Hans-Ulrich Treichel moderiert.

Hans-Ulrich Treichel, geboren 1952, hat über Wolfgang Koeppen promoviert. Er ist Professor an der Universität Leipzig und ist selbst Schriftsteller. Sein neuester Roman: „Grunewaldsee“.

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