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Rollenspringer. Hans-Werner Meyer stammt aus Hamburg. Im Jahr 1993 holte Andrea Breth den Schauspieler und Sänger an die Berliner Schaubühne.

© Ole Graf

Hans-Werner Meyer im Porträt: Weiß der Meyer

Singen, drehen, Theater spielen, Arbeitsrechte erstreiten. Schauspieler Hans-Werner Meyer hat immer volles Programm. Nun tritt er wieder im Berliner Renaissance-Theater auf. Eine Begegnung.

Nicht, dass er pampig wird. Dazu ist er viel zu verbindlich, professionell. Aber dass die Technik das Mikrofongeknatter hinnimmt, geht ihm gegen den Strich. Er fällt aus der Rolle des gepflegten Abendunterhalters und ruft: „Können wir was mit den Mikros machen? So geht das nicht!“ Und ein paar Barbershop-Lieder später, als er als Lead-Sänger plötzlich einen Einsatz verpatzt, bekommt der Gitarrist gesagt: „Seit dreißig Jahren höre ich dasselbe Intro, da kannst du nicht plötzlich ein anderes spielen!“

Er, das ist Hans-Werner Meyer. Sonst eher bekannt als Fernsehgesicht. Einer von den schicken Schädeln, die sich aufgrund ihres häufigen Auftauchens und ihrer Markanz über die Jahre aus der vorbeirauschenden Bilderflut schälen. Nicht gleich namentlich, sondern erst mal nach dem Muster: Ach der, der hat in Nawiehießdasdoch mitgespielt, der Soundso halt. Der sich, anlässlich eines Auftritts in der Bar jeder Vernunft – also quasi endlich beim Namen genannt und von Nahem betrachtet – als Künstler mit vielen Terminen und Talenten entpuppt.

In der Bar jeder Vernunft trat Meyer mit seinem großen Bruder Chin auf

Das Wichtigste heißt wie beschrieben: den Mund aufmachen. So geschehen am Montag in der Bar jeder Vernunft bei der humoristischen „Klangrazzia“. Da war der Fernseh- und immer mal wieder auch Kinoschauspieler Hans-Werner Meyer als Bandleader, Sänger, Conférencier und kleiner Bruder zu erleben. Der seines großen Bruders nämlich, des Kabarettisten Chin Meyer, von ihm in der Show vorzugsweise „mein Bruder, dieses Arschloch“ genannt. Beide sind gebürtige Hamburger, die inzwischen in Berlin leben. Chin Meyer spielt in der Show seine Bühnenfigur, einen Steuerfahnder, der dem Streichquartett von Bruder Hans die Instrumente pfändet, worauf es zur A-cappella-Formation mutiert.

Die wiederum hat Hans-Werner Meyer in Wahrheit schon 1983 als Hamburger Gymnasiast mit drei Mitschülern gegründet. Sozusagen als rückwärtsgewandter Avantgardist. Noch vor dem „Comedian Harmonists“-Film, vor dem A-cappella-Hype. Und sicher nicht aus Instrumentenmangel. Sondern weil er sich als Austauschschüler in den USA für die dort sehr lebendige Musiktradition des Close-Harmony-Gesangs begeistert hat, wie er Dienstagabend beim Treffen im alten Café Einstein erzählt. Ein paar Jahre später brachte es die heute über mehrere Städte und Berufe verteilte Freundestruppe, die aus Zeitmangel nur alle Jubeljahre gemeinsam auftritt, mit der Single „Nur Dein Clown“ sogar zum One- Hit-Wonder in Dieter Thomas Hecks Hitparade.

Spaß mal beiseite: Hans-Werner Meyer hat den Bundesverband Schauspiel mitgegründet

Der ziemlich nach Pennäler-Humor klingende Name „Meier und die Geier“ ist Hans-Werner Meyer so wenig peinlich wie die Bühnenpannen. „Im Gegenteil, ich bewundere Leute, die keine Angst vor Peinlichkeiten haben. Nur so kann man sich auf der Bühne selbst überraschen und über sich hinauswachsen.“ Pannen seien bei so seltenen Auftritten nie auszuschließen. „Perfektion ist letztlich sowieso der Tod“. Und wie am Gelächter und Jubel in der Bar abzulesen, seien solche lustigen Momente oft die unvergesslichen.

Den Mund zum Singen öffnen, ist das eine. Ihn als Interessenvertreter, ja quasi Gewerkschafter aufzumachen, etwas ganz anderes. Familienvater Meyer, der in seinem adretten blauen Pulli und der Skinny Jeans nicht nach 50 Lebensjahren aussieht, kommt gerade von einer Sitzung des Bundesverbands Schauspiel, kurz BFFS genannt. 2006 hat er ihn mitgegründet, ist im Ehrenamt Vorstandsmitglied und zuständig für den Bereich Kommunikation. Da haben sie den richtigen ausgesucht, denn Meyer ist schlagfertig und eloquent.

Auf die in Frageform geäußerten Zweifel an den solidarischen Fähigkeiten von Schauspielern, gilt es, eine Grundsatzrede anzuhören. Sie handelt von überlangen Drehtagen, deutschem Selbsthass und der mangelnden Schauspielerliebe hierzulande. „Promis werden beneidet, Unbekannte als ,Gaukler‘ verachtet“, kritisiert Meyer. Dabei sei das deutsche Klischee, Schauspieler als individualistische Neidhammel und zickige Diven zu sehen, einfach nur falsch und sinnlos. „Damit macht man nur die eigene Kultur madig.“ Das sei genau das, wogegen sich der BFFS richte, der sich um unfaire Arbeits- und Produktionsbedingungen kümmert. Die dazu passenden Zahlen hat Meyer im Schlaf drauf: 70 Prozent der deutschen Schauspieler verdienen jährlich unter 30 000 Euro, 60 Prozent unter 20 000 Euro, nur vier Prozent über 100 000 Euro.

Nicht schwer zu raten, in welche Kategorie er mit seiner Hauptrolle in der ZDF-Serie „Letzte Spur Berlin“ gehört. Die neue, ab März nächsten Jahres ausgestrahlte Staffel wird gerade gedreht. Meyer spielt den nüchternen, aber empathischen, stets hervorragend gekleideten LKA-Ermittler Oliver Radek, der nicht nach Mördern, sondern nach Vermissten fahndet. „Heute bin ich viel durch Schrebergärten gerannt“, fasst er lakonisch den Vormittagsdreh in Tempelhof zusammen. Rennen, auch ein Talent! Und wie er so wach und propper da sitzt, hat Meyer durchaus Ähnlichkeit mit seiner von „Kriminaldauerdienst“-Autor Orkun Ertener ersonnenen Figur. Sie sei ihm sympathisch, sagt er prompt. „Radek ist kein Zyniker, ihm geht es um was. Er legt Wert auf Form, also auch auf Kleidung, weil das der Würde des Menschen angemessen ist.“

Das Gegenbild zum wortkargen Ermittler ist der dauerquasselnde Gelegenheitsautor Sebastian, den Hans-Werner Meyer ab kommenden Mittwoch wieder in Moritz Rinkes Beziehungskomödie „Wir lieben und wissen nichts“ im Renaissance-Theater spielt. Und zwar an der Seite von Judith Rosmair, die genauso wie Meyer, der 1993 von Andrea Breth nach Berlin geholt wurde, einst Ensemblemitglied an der Schaubühne am Lehniner Platz war. Zwischen Charakteren und Texten hin und her zu springen hat Meyer dort in vielen Rollen bis 1997 trainiert. Seither hat er sich auf die freie Arbeit verlegt. Und um Multitasking-Maß voll zu machen hat er zwischendurch auch mal ein Buch geschrieben. Eine dieser Ende der nuller Jahre in Mode geratenen Neue-Väter-Fibeln, allerdings im Karl-May-Stil aufgezogen und deswegen „Durchs wilde Kindistan“ genannt. Ob sich das Ding verkauft hat? Der Autor Hans-Werner Meyer nickt und erzählt, dass Erzieher, häufig auch Alleinerzieher, weil die Ehefrau in Hamburg Theater spielt, von all seinen Tätigkeiten die aufreibendste sei. Vielleicht hilft da dieselbe Maxime wie auf der Bühne beim A-cappella-Singen: den Mund aufmachen und Fünfe gerade sein lassen.

Im Oktober läuft „Wir lieben und wissen nichts“ vom 22. bis 26. im Renaissance- Theater.

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