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Kultur: Hans Zehetmair im Interview: "Berlins Erbe ist nicht unser Erbe"

Hans Zehetmair (CSU) ist seit 1990 Staatsminister für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst des Freistaats Bayern, seit 1993 auch Stellvertreter des bayerischen Ministerpräsidenten. Zehetmair, Jahrgang 1936, studierte klassische Philologie, Germanistik und Sozialkunde.

Hans Zehetmair (CSU) ist seit 1990 Staatsminister für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst des Freistaats Bayern, seit 1993 auch Stellvertreter des bayerischen Ministerpräsidenten. Zehetmair, Jahrgang 1936, studierte klassische Philologie, Germanistik und Sozialkunde. Er war in den sechziger und siebziger Jahren Lehrer am Gymnasium.

Mit Kultursenator Christoph Stölzl haben Sie in Berlin einen bayrischen Kollegen. Mit dem müssten Sie sich ja bestens verstehen.

Bloß weil einer Bayer ist, muss er nicht automatisch sympathisch sein. Umgekehrt sind ja auch nicht alle Berliner einfach nett. Ich verstehe mich mit Stölzl sehr gut und kenne ihn schon aus seiner Zeit als Direktor des Deutschen Historischen Museums.

Stölzls Aufforderung an die Bundesländer, für die Berliner Kultur finanzielle Nothilfe zu leisten, hat Ihnen aber nicht gefallen.

Mir missfällt vor allem die Forderung nach einer nationalen Kulturstiftung. Sie weckt falsche Assoziationen. Eine Nationalstiftung würde den Rückfall in ungute Zeiten unserer Geschichte bedeuten. Eine Verbesserung der vorhandenen Kulturstiftung der Länder halte ich durchaus für sinnvoll. Aber ansonsten gibt es keine Nationalkultur. Man sollte auch nicht von deutscher Kultur oder von Berlin als Weltkulturhauptstadt sprechen. Es darf nie der Eindruck entstehen, dass Kultur der Politik zu Diensten ist. Schon gar nicht in Berlin. Keine andere Stadt hat so sehr unter dem deutschen Schicksal gelitten wie das geteilte Berlin. Im Westteil der Stadt gab es kulturelle Vielfalt, im Osten wie in der gesamten DDR, wurde die Kultur vom Staat verordnet. Erst seit der Wiedervereinigung gibt es wieder ein Thüringen, kann man wieder von Weimar sprechen oder von Brandenburg.

Trotz Zensur gab es in der DDR und in Ostberlin durchaus eine lebendige Kulturszene.

Das möchte ich keinesfalls bestreiten. Aber ein mutiges Bekenntnis etwa auf der Theaterbühne wurde ja nicht offiziell anerkannt, sondern bedeutete im Gegenteil eine Gefährdung für die Akteure. Zurück zur Frage der nationalen Kultur. Die Väter des Grundgesetzes haben die Kultur dezidiert in die Eigenverantwortung der Länder gegeben und sich gegen einen Zentralismus entschieden, wie es ihn in Frankreich gibt. Das hat die kulturelle Vielfalt befördert, wie wir sie jetzt in Deutschland haben. Ich mache mir Sorgen, dass von Seiten des Bundes nun ein neuer Berliner Dünkel aufgebaut wird.

Das "Blattgold auf der Pickelhaube".

Ja, ich meinte damit das Gebaren des Kultur-Staatsministers Michael Naumann.

Worauf der prompt reagierte und von Seufzern hinter bayerischen Butzenscheiben sprach. Wo liegt das Problem? Die 100 Millionen Mark jährlich vom Bund für für Berlin dürften kaum für Blattgold ausreichen.

Ich habe nie an der Summe von 100 Millionen herumgemäkelt. Auch ich sage: Das ist viel zu wenig. Bayern gibt 500 Millionen Mark jährlich für die Kultur in seiner Landeshauptstadt aus. Was ich kritisiere, ist die Gutsherrenart, nach der man sich aussucht, was des Bundes würdig ist und was nicht. Nach dem Motto: Ich kauf mir halt die Berliner Philharmoniker. Mich stört das Gönnerhafte. Wenn ich Geld gebe, ändert das noch nichts an den Besitzverhältnissen. Nur weil er gern in der Paris-Bar isst, wird Michael Naumann noch nicht zum Gastronom. Und Christoph Stölzl darf nicht den Fehler machen, Berliner Einrichtungen dem Bund als Eigentum anzudienen. Die 100 Millionen kommen ja nicht von Michaelis Gnaden. Der Bund sollte aber in Angelegenheiten der Kultur den überregionalen Mehrwert unterstützen.

Sprechen Sie noch miteinander?

Aber natürlich. Ich sitze ja mit Naumann zusammen im europäischen Kulturministerrat, er für den Bund, ich für die Länder. Wir haben zuletzt in Brüssel getagt. Ich diene dem alt-römischen Grundsatz, verbindlich im Ton, aber hart in der Sache zu bleiben.

Welche Berliner Kulturinstitutionen haben in Ihren Augen gesamtstaatlichen Rang?

Da möchte ich mich gar nicht einmischen. Natürlich trägt Berlin neben der Würde auch die Bürde, Hauptstadt zu sein. Zum Glück gibt es kaum ein kulturelles Genre, in dem Berlin nicht eine Spitzeneinrichtung hat. Selbstverständlich soll sich der Bund bei allem, was Bedeutung und Attraktivität aufweisen kann, mit Zuschüssen beteiligen. Aber wir müssen nicht auch noch das Goethe-Institut von München nach Berlin verlegen oder den Gropius-Bau dafür nutzen, damit sich die Länder dort präsentieren.

In welcher Form und welcher Höhe soll sich der Bund denn in Berlin engagieren?

Es müsste so sein, dass er sich mit mindestens einem Drittel der Kosten an den maßgeblichen Kultureinrichtungen beteiligt. Aber er darf dann nicht anderswo die Mittel kürzen, wie es bei den Bamberger Symphonikern geschehen ist, in Bayreuth oder im Deutschen Museum in München. Sagen Sie mir in Berlin eine vergleichbare Museumseinrichtung wie das Deutsche Museum. Es ist europaweit so einmalig wie in Berlin die Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder die Museumsinsel. Es gibt viele Sahnehäubchen, nicht nur in der Hauptstadt.

In Bayreuth hat der Bund 239 000 Mark gestrichen, bei den Bamberger Symphonikern etwas mehr als 700 000 Mark. Mit solch niedrigen Summen kommen die 100 Millionen für Berlin nicht zustande.

Es sind nicht die absoluten Summen, die mich auf die Palme bringen, sondern die mangelnde Zuverlässigkeit. Es ist mir in all den Jahren meiner Ministertätigkeit noch nie passiert, das ein Partner so unzuverlässig war wie die jetzige Bundesvertretung.

Bayreuth ist eingespielt, in Berlin muss die Kultur sich nach dem Hauptstadtbeschluss vollkommen neu orientieren.

Ich habe niemals für weniger Kulturförderung plädiert. Auch die Länder müssen mehr für die Kultur tun. Ich bin stolz darauf, dass wir in Bayern keinerlei Kürzungen vorgenommen haben, trotz schwieriger Finanzsituation. Ähnlich wünsche ich mir, dass nach zehn Jahren Orientierungssuche die zerrissene Stadt Berlin mehr Selbstbewusstsein entwickelt. Berlin darf nicht beim Bund betteln gehen, sondern muss gelassen seine Ansprüche stellen, die sich aus den Aufgaben eines Regierungssitzes ergeben, und entsprechend unterstützt werden. Andererseits darf das nicht heißen, dass Kultur in Berlin politisch vereinnahmt wird à la "Weltkulturfenster für die deutsche Nation". Um es konkret zu machen: Als Bayer gehöre ich zu der Minderheit unter meinen Landsleuten, die an Berlin überhaupt Interesse haben. Die Bayern haben an Salzburg oder an Wien erheblich mehr Interesse als an den Berliner Festspielen. Das sind eingefahrene Schienen; daran wird die auch der Hauptstadt-Status Berlins nichts ändern.

In Berlin gibt es ja mittlerweile das zusätzliche Problem, dass der Senat, dass der Regierende Bürgermeister sich nicht so klar zur Kultur bekennt, wie sie es bräuchte. Da fehlt oft ein politisches Engagement.

Sie werden verstehen, wenn ich mich hier mit einer Bewertung zurückhalte. Ich kann aber aus der bayerischen Erfahrung heraus versichern, dass die Kultur für die Identität einer Stadt oder eines Landes wesentlich ist. Sonst hätten wir nicht die zerstörte Residenz wieder aufgebaut; heute ist sie die schönste Stube nördlich der Alpen. Wir haben in einer Zeit, als die Mittel noch nicht so reichlich flossen, in der Verfassung den Satz verankert: Bayern ist ein Kulturstaat.

Eben plädierten Sie noch dafür, Kultur und Politik auseinanderzuhalten. Nun sprechen Sie plötzlich vom Gegenteil.

Nein. Ich will nur nicht, dass man die Kultur in den Dienst der Politik stellt. Die Kultur kommt ohne Politik aus, aber die Politik nicht ohne Kultur.

Warum zahlt Bayern eigentlich so wenig für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz? Am Länderanteil von 60 Millionen Mark beteiligt sich Bayern nur mit 300 000 Mark. Dass die SPK eine Kultureinreichtung von überregionalem Rang ist, bestreiten Sie wohl kaum.

Aber das ist die Alte Pinakothek in München auch. Ich habe nach der Wiedervereinigung selbst dafür plädiert, dass wir uns weiter beteiligen. Es geht nicht um die Summe, sondern darum, dass wir symbolisch dabei bleiben. Wenn Herr Naumann sagt, Bayern soll sich mal nicht so haben und mehr zahlen, dann muss ich klar sagen, Bayern hat historisch mit Preußen nicht viel zu tun. Wir haben die preußische Erbschaft nicht zu verwalten und auch nicht zu finanzieren. Wir zahlen ja auch für das Wittelsbacher Erbe, für die Alte Pinakothek, die Neue Pinakothek, das ist unser Erbe. Aber für den Preußischen Kulturbesitz sind andere Länder stärker in die Pflicht zu nehmen als Bayern. Dennoch zahlen wir aus Loyalität mit.

Sie haben ja gedroht, dass Bayern sich ganz aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zurückzieht.

Nein, das war eher Geplänkel. Selbstverständlich stellen wir das derzeit nicht ernsthaft in Frage.

Mit Kultursenator Christoph Stölzl haben Sie

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