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Lars Eidinger auf einer Berlinale-Party.

© dpa

Harald Martenstein zur Berlinale 2016: Lars Eidinger - der deutsche Depardieu

Die Achte: Harald Martensteins tägliche Kolumne zur Berlinale. Heute über die Verbindung zwischen Lars Eidinger und Gérard Depardieu. Und warum Kunst und Leben nicht zusammenpassen.

Vor ein paar Tagen machte ein Jurymitglied, der wunderbare Schauspieler Lars Eidinger, auf der Berlinale von sich reden, weil er bei einer Party die Hose herunterließ und mit nacktem Hintern auf einem Tisch tanzte. Ich dachte: „Es fehlen noch ein paar Kilo, aber Lars Eidinger hat das Zeug, der deutsche Gérard Depardieu zu werden.“ Nun hat Eidinger, auf der Bühne des Hebbel-Theaters, jungen Menschen einen Karrieretip gegeben, im Gewand einer Metapher: „Du musst so lange in die Ecke pinkeln, bis es alle riechen.“ Das stimmt, oder? Ganz klar – Eidinger wird der deutsche Depardieu.

Ich bin relativ oft im Kino. Aber erst in „Kollektivet“ von Thomas Vinterberg ist mir bewusst geworden, dass ein relativ häufiger Charakter im Kino fast nie vorkommt, nämlich der Choleriker. In diesem Film gibt es einen Kommunarden, der bei jedem Anlass anfängt, zu brüllen und zu toben. Der Einzige, der in der bisherigen Filmgeschichte nach Herzenslust toben und brüllen durfte, war Adolf Hitler. Vinterberg hat einen Beitrag zur Entnazifizierung der Tobsucht geleistet.

Der Film Valentina

Am Donnerstag wurde bei der Berlinale ein Wettbewerbsfilm gezeigt, der 485 Minuten lang ist. Alle haben es gerochen. Noch länger ist „Chamissos Schatten“ von Ulrike Ottinger, 709 Minuten in der beeindruckenden Landschaft von Alaska und Umgebung. Bestimmte Personenkreise sind von solchen Filmen ausgeschlossen, zum Beispiel Kranke oder Alte, die halten das körperlich nicht durch. Berufstätige müssten freinehmen. Das Gleiche gilt für Eltern von Kleinkindern. Welcher Babysitter hat, im Falle von Ottinger, 14 Stunden Zeit? Man muss An- und Abfahrt einrechnen. Solche Filme richten sich an ein gesundes, nicht berufstätiges, finanziell versorgtes Publikum, ich denke an ehemalige Manager des Berliner Flughafens.

Wenn ich mit einer Kolumne von 150.000 Zeichen ankomme und den Redakteuren sage, ihr dürft nicht kürzen, es ist künstlerisch wertvoll, lachen die mich aus. Wenn sie gut drauf sind, fragen sie immerhin: „Worum geht es denn?“ Dann sage ich: „Die Kinder einer Roma- Familie spielen mit den noch blutenden, gerade erst abgehackten Köpfen zweier Hühner.“ Das ist der Inhalt des Berlinalefilms „Valentina“! Spätestens dann werfen sie mich raus. Kunst und Leben passen einfach nicht zusammen.

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