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Kultur: Harry Potter: Auf dem Scheiterhaufen

Einen fanatischen Eindruck macht der Geistliche nicht. Eher wirkt George Bender wie der liebe Onkel Bill, der für alle seine Zöglinge nur das Beste will.

Einen fanatischen Eindruck macht der Geistliche nicht. Eher wirkt George Bender wie der liebe Onkel Bill, der für alle seine Zöglinge nur das Beste will. Der Mann im mittleren Alter ist Pastor einer kleinen protestantischen Kirchengemeinde in der Nähe von Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania. Jeden Sonntagabend ruft Bender die Gläubigen zum Gottesdienst. Dieser Termin hat Tradition, doch unlängst hatte er sich etwas Besonderes einfallen lassen. "In der Bibel lesen wir, dass Menschen, die Jesus Christus als ihren Erlöser erkannt haben, nach Hause gingen und Dinge verbrannten, die ihnen unrein erschienen", sagt Bender. Diesem Beispiel wolle er folgen. Also lud er die Gemeinde zu einer öffentlichen Bücherverbrennung ein.

"Wir wollten kein Geheimnis aus der Aktion machen, damit eine Diskussion über unsere Motive einsetzen kann", freut sich Pastor Bender über die nationale Aufmerksamkeit, die ihm ein 10-Sekundenclip in mehreren US-Nachrichtensendern bescherte. Disney-Videos landeten ebenso auf dem Scheiterhaufen wie Black-Sabbath-CDs. Am häufigsten jedoch wurden "Harry Potter"-Bücher in die Flammen geworfen. Denn um Harry Potter schwelt in den USA ein neuer Glaubenskrieg.

"In diesen Büchern geht es um Zauberei, Hexen, das Okkulte und Paranormale - all das ist konträr zu unseren Überzeugungen", sagt Bender. Zum Beweis zitieren er und andere gottesfürchtige Christen nicht nur entsprechende Text-Passagen aus den vier Bänden der beliebtesten Jugendbuchserie aller Zeiten, sondern auch das 5. Buch Mose. "Dass nicht jemand unter dir gefunden werde, der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen lasse, oder ein Weissager oder einer, der auf Vogelgeschrei achte, oder ein Zauberer, oder Beschwörer oder Wahrsager oder Zeichendeuter, oder einer, der die Toten frage. Denn wer solches tut, der ist dem Herrn ein Gräuel." Mit ähnlichen Worten verdammt auch die Katholische Kirche jegliche Form des Aberglaubens. "Hinter Horoskopen, Astrologie, Handlesen, Deuten von Vorzeichen und Orakeln, Hellseherei und dem Befragen eines Mediums verbirgt sich der Wille zur Macht über die Zeit, die Geschichte und letztlich über die Menschen", heißt es warnend im Katechismus. Kein Zweifel: Auf Harry Potter, dessen Abenteuer weltweit in fast 100 Millionen Exemplaren nachzulesen sind, treffen einige dieser Beschreibungen zu. Denn Harry ist bekanntlich ein Zauberer und seine beste Freundin eine (gute) Hexe.

Die ersten religiösen Einwände gegen Joanne K. Rowlings Helden und seine Welt wurden in den USA bereits Ende 1999 laut. Seitdem schwillt der Chor der Fundamentalisten immer lauter und bedrohlicher an. Sie wittern subversives Gedankengut hinter dem Erfolg des kleinen Zauberers. Priester wettern von den Kanzeln, die Bekehrten schließen sich zusammen. Ihre Organisationen, mit deren Hilfe sie die Bücher aus öffentlichen Bibliotheken und Schulen verbannen wollen, tragen so unverfängliche Namen wie "Concerned Women for America", "Focus on the Family", "American Family Association" oder "Citizens for Excellence in Education". Allein im vergangenen Jahr gab es 26 Versuche, in 16 US-Bundesstaaten "Harry Potter" verbieten zu lassen.

In der Stadt Zeeland, im Bundesstaat Michigan, hatte der Protest kurzzeitig Erfolg. Auf Intervention einiger Lehrer untersagte ein Schuldirektor, aus J. K. Rowlings Büchern im Unterricht vorzulesen oder die Bände an Kinder auszuleihen. Dieses Urteil aber rüttelte die Liberalen wach. Die geißeln seitdem ihrerseits jene "religiöse Hysterie, mit der harmlose Kinder-Phantasien dem Verdacht ausgesetzt werden, böse und gefährlich zu sein". Man solle doch froh sein, dass Kinder durch die Werke der britischen Autorin wieder lesen, statt nur in den Fernseher zu glotzen oder vor Computerspielen zu veröden. Wolle man alle (Kinder-)Bücher verbieten, in denen Hexen, Geister oder Gespenster vorkämen, bliebe nicht mehr viel an Literatur übrig. Der Harry-Potter-Verteidigungsliga schlossen sich der "National Council of the Teachers of English", die "Freedom to Read Foundation", die "National Coalition against Censorship", das amerikanische PEN-Zentrum und die amerikanische Buchhändler-Vereinigung an. Der Schuldirektor aus Zeeland gab dem Druck schließlich nach - zum Teil wenigstens. Jetzt ist es nur noch untersagt, aus "Harry Potter" in der Grundschule vorzulesen.

Zwei Strömungen kommen in dem Protest zusammen. Zum einen hat die Religion (und hat die Bigotterie) in keinem anderen westlichen Land einen derart hohen Stellenwert wie in den USA. Etwa 95 Prozent aller US-Bürger sagen, sie glauben an Gott, 40 Prozent gehen mindestens einmal pro Woche in die Kirche. Seit den Gründungstagen verstehen sich die Amerikaner als eine "Nation unter Gott". Ein Atheist könnte hier nie Präsident werden. Darum lacht auch niemand über George W. Bush, der jeden Tag kniend im Gebet beginnt. Als den US-Präsidenten unlängst sein Amtskollege Boris Trajkowski aus Mazedonien besuchte, kauerten sich die beiden Staatsmänner wie selbstverständlich nebeneinander auf den Boden des Weißen Hauses - Trajkowski ist wie Bush Methodist.

Zum anderen hat die religiöse Rechte in den USA mittlerweile Methoden von jenen Agitatoren übernommen, die sich auf der politischen Linken für die Political Correctness einsetzen. Unliebsame Bücher aus dem Lehrplan zu verbannen, ist von jeher eines der Hauptziele der politisch Korrekten. Auf ihr Betreiben hin wurden vielerorts die Werke von toten, weißen Männern durch die Bücher von lebenden, schwarzen Frauen ersetzt. Den Kulturkampf ins Klassenzimmer tragen: Das können religiöse Fundamentalisten genauso gut.

In ihrem Eifer scheuen sie auch nicht davor zurück, sich in ihren Verbotsanträgen auf die verfassungsmäßig garantierte Trennung von Staat und Kirche zu berufen. Harrys Gegner glauben nun nachweisen zu können, dass bestimmte Rituale, die in den Büchern vorkommen, sich aus dem neo-heidnischen Glauben der Wicca-Sekte speisen. Das ist eine obskure Gruppe, die in den USA allerdings den offiziellen Religions-Status hat. Wer also in einer öffentlichen Schule aus "Harry Potter" liest, der werbe insgeheim für die Wicca-Sekte, was wegen der Trennung von Staat und Kirche verboten sei.

Eric Poliner ist zehn Jahre alt und geht in die fünfte Klasse der "Ledgeview Elementary School" in einem Vorort von Buffalo. Seine Eltern sind wiedergeborene Christen und haben für ihr Kind eine Ausnahmeregelung durchgesetzt. Wenn Erics Lehrerin aus "Harry Potter" vorliest, darf der Junge die Klasse verlassen. "Am Anfang fühlte ich mich isoliert", sagt Eric, "aber jetzt ist das normal für mich. Es ist ja nur zu meinem Besten. In den Büchern kommen Hexerei, Magie und das Böse vor." Eric zieht sich während der Vorlesestunde in die Bücherei zurück.

Wie groß die Anti-Harry-Potter-Bewegung in den USA ist, weiß keiner genau. In Umfragen unter amerikanischen Eltern kommt sie mit ihren Anliegen selten auf mehr als sieben Prozent. Aber diese Minderheit setzt sich oft spektakulär in Szene. Elizabeth und Steven Mounce aus dem Bundesstaat South Carolina gehören zu den Wortführern. Sie machen Harry Potter für fast jedes Übel auf der Welt verantwortlich. "Wie viele Schießereien an unseren Schulen muss es denn noch geben, in denen die Kinder ihre grausamen Phantasien ausleben, bevor solches Material nicht mehr benutzt werden darf?", rief Steven Mounce vor kurzem vor dem Erziehungsausschuss seiner Heimatstadt Columbine aus.

Ganz frei von Potter-Besorgnissen sind freilich auch Europäer nicht. In einer englischen Grundschule dürfen die Kinder die Bücher über den kleinen Zauberer ebenfalls nicht mehr lesen, weil deren Inhalt, wie die Dirketorin meint, im Gegensatz zur biblischen Lehre steht. Und selbst in Deutschland rühren sich einige Fromme. Aus der evangelischen Gemeindebücherei Münsingen-Rietheim auf der Schwäbischen Alb wurden Ende vergangenen Jahres sämtliche "Harry Potter"-Bände entfernt. Eine Mehrheit von fünf zu zwei Gemeinderäten war der Überzeugung, der zaubernde Held könne zu okkulten Praktiken verführen. Anders entschied sich der benachbarte Gemeinderat Münsingen-Dottingen.

Sogar eine kleine Bücherverbrennung gab es schon im Schwabenland. In der Gemeinde Schramberg steckte eine evangelische Jugendgruppe einen Band "Harry Potter" wegen angeblicher Verbreitung schwarzer Magie in Brand. Aus höherer Einsicht aber wurde die Aktion von der Evangelischen Kirche sogleich verurteilt.

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