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Kultur: Hart sein in Wacken

Testlauf für die Berlinale: Auf dem Filmfestival von Saarbrücken gewinnt erstmals ein Dokumentarfilm

Als Birgit Johnson, die neue Leiterin des Filmfestivals Max Ophüls Preis in Saarbrücken, im Vorjahr den Wettbewerb erstmals für Dokumentarfilme öffnete, mäkelten viele Fachbesucher herum und sagten vorher, Dokumentarfilme hätten im Wettrennen um den Hauptpreis ohnehin keine Chance gegen Spielfilme. Die südkoreanische Regisseurin Sung-Hyung Cho, die seit 20 Jahren in Deutschland lebt, bewies mit „Full Metal Village“ prompt das Gegenteil. Ihr Porträt eines schleswig-holsteinischen Dorfes war die große Entdeckung des Festivals und gewann den Max Ophüls Preis.

Mit dem Scharfsinn einer ethnographischen Forscherin begibt sich die Filmemacherin in das 1800-Seelen-Dorf Wacken, wo die bäuerliche Bevölkerung sich auf das Heavy-Metal-Open-Air-Festival vorbereitet, zu dem alljährlich 40000 Rockmusik-Fans anreisen. Für knapp eine Woche herrscht dann Ausnahmezustand. Sung-Hyung Cho gelingen wunderbare Beobachtungen und intensive Gespräche mit den Dorfbewohnern, die sich der Fremden öffnen und mit staubtrockenem Humor erzählen, wie sie das Beste aus der Lage machen. Selten hat man in einem Dokumentarfilm so gelacht wie in „Full Metal Village“. Die subtile Studie, deren lakonischer Humor an die frühen norddeutschen Komödien von Detlev Buck erinnert, wurde übrigens von der Berlinale gerade abgelehnt, wie die 40-jährige Regisseurin am Samstag- abend auf der Preisverleihung sagte. Sung-Hyung Cho lässt sich von dieser Fehlentscheidung nicht entmutigen, sie will den Film mit ihrer Produktionsfirma im April selbst in die Kinos bringen. Dafür kann sie die Verleihförderung von 18 000 Euro gut brauchen, die zum gleich hohen Preisgeld hinzukommt.

Der Erfolg von „Full Metal Village“ ist bezeichnend für den Befund, dass die fünf Dokumentarfilme im Wettbewerb des Festivals, das als wichtigstes Forum des deutschsprachigen Nachwuchsfilms gilt, im Schnitt einen stärkeren Eindruck hinterließen als die elf Spielfilme. So zum Beispiel auch die österreichische Produktion „Exile Family Movie“ des gebürtigen Iraners Arash T. Riahi. Auf der Basis eigener Erfahrungen beschreibt er eine iranische Großfamilie, die über die ganze Welt verstreut lebt. Als sich der Clan in Mekka trifft, bringt das nicht nur Wiedersehensfreude, sondern auch allerlei Konflikte zwischen dem islamischen und dem westlichen Lebensstil. Zwischendurch glücken Riahi immer wieder skurrile Szenen aus dem Emigrantenalltag, etwa wenn sein Vater mit einem Messer versucht, ein Glas mit Weichselkirchen zu öffnen: „Ich werde mit Dir kämpfen, so wie ich mein Leben lang für meine Ideale gekämpft habe.“ In Saarbrücken gewann „Exile Family Movie“ den Dokumentarfilm- und den Interfilmpreis.

Migrantenschicksale standen diesmal im Mittelpunkt etlicher Filme des Wettbewerbs. So etwa in Nora Hoppes bitterem Flüchtlingsdrama „La fine del mare“ über einen serbischen Zigarettenschmuggler, der in Triest eine betäubte junge Muslimin findet, die Menschenhändler in die Prostitution verkaufen wollen. In extrem ruhigen Kameraeinstellungen voller Poesie beschreibt die gebürtige US-Amerikanerin die schrittweise Annäherung zwischen zwei Außenseitern mit geringen Überlebenschancen.

Ein sensibles Drama, das von der Jury ebenso übersehen wurde wie der beste Spielfilm des Wettbewerbs: die deutschbritisch-irische Koproduktion „True North“ des Autors und Regisseurs Steve Hudson. Darin geht es um schottische Fischer, die kurz vor dem Bankrott stehen und mit ihrem Schiff 20 chinesische Flüchtlinge illegal nach Schottland bringen wollen. Allein schon wegen seiner imposanten Kinobilder und seines deutlich höheren Budgets spielt dieses erschütternde Drama in einer anderen Liga als fast alle anderen Wettbewerbsfilme, die weitgehend einer biederen TV-Ästhetik verhaftet sind.

Das Paradebeispiel für den starken Einfluss, den die TV-Sender auf viele Nachwuchsarbeiten haben, stellt „Reine Geschmackssache“ von Ingo Rasper dar, die einzige echte Komödie im Wettbewerb. Das TV-Lustspiel über einen hoch verschuldeten Handelsvertreter für Damenoberbekleidung strotzt nur so vor Klischees über bornierte Provinzschwäbinnen mit Problemzonen, serviert aber genug Anlässe für Lachsalven im TVAbendprogramm. Das Saarbrücker Publikum amüsierte sich denn auch köstlich und gewährte den Publikumspreis. Wie bei einem solchen Format zu erwarten, gewann „Reine Geschmackssache“ auch den SR/ZDF-Drehbuchpreis. Außerdem zeichnete die Jury den Hauptdarsteller Florian Bartholomäi als besten Nachwuchsdarsteller aus. Zur besten Nachwuchsdarstellerin wurde Gabriela Hegedüs gekürt, die in dem Frauendrama „Fallen“ der Österreicherin Barbara Albert eine redselige Freigängerin spielt.

Apropos Problemzonen. Als sozio-ökonomische Problemzonen präsentierten sich in mehreren Filmen Städte in Deutschland-Ost. Tristesse und Langeweile, Frust und Perspektivlosigkeit prägen das Leben der Protagonisten. In der Doku „Preußisch Gangstar“ protokollieren Irma-Kinga Stelmach und Bartosz Werner in ruppigen Videobildern den deprimierenden Alltag von drei jungen Männern in Brandenburg, die ihre Zeit mit HipHop, Kickboxen und Drogenhandel totschlagen, vom Aufbruch träumen, aber nicht von der Stelle kommen.

Gleich doppelt trifft es Karger, den Protagonisten in Elke Haucks gleichnamigem Sozialdrama „Karger“. Der Stahlarbeiter verliert in der sächsischen Kleinstadt Riesa nicht nur seinen Job, sondern auch seine Frau, die ihn mit der kargen Begründung verlässt, man habe sich „auseinandergelebt“. Mühevoll versucht Karger, die Kurve zu kriegen, doch dann verlässt er Riesa, um anderswo einen Neuanfang zu wagen. Auch wenn die Laiendarsteller nur ein begrenztes Ausdrucksvermögen zeigen und die zweite Filmhälfte etwas ausfranst, gelingen Hauck dichte Stimmungsbeschreibungen, die die Zuschauer mit einem Hoffnungsschimmer entlassen. Der Jury war das den Filmpreis des Saarländischen Ministerpräsidenten wert.

Reinhard Kleber

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