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Kultur: Hartmut Schoen dreht die besseren Filme

Für seine Dokumentarfilme hat er dreimal den Adolf-Grimme-Preis gewonnen, einmal den Bundesfilmpreis.Dem Publikum ist Hartmut Schoen weit mehr durch Fernsehspiele und "Tatorte" bekannt.

Für seine Dokumentarfilme hat er dreimal den Adolf-Grimme-Preis gewonnen, einmal den Bundesfilmpreis.Dem Publikum ist Hartmut Schoen weit mehr durch Fernsehspiele und "Tatorte" bekannt.So dreht er derzeit in Berlin und Brandenburg einen Zweiteiler für das ZDF: "Blutsbrüder".Wie alle seine Filme hat er auch diesen selbst geschrieben, Ulrich Tukur, Jörg Schüttauf, Henry Hübchen und Barbara Auer sind seine Protagonisten, angepeilt ist für die Ausstrahlung der jeweils 90 Minuten langen Teile die beste Sendezeit sonnabends.Was will man mehr? Die Arbeit mache Spaß, das Team sei hervorragend, sagt er, reichlich müde nach einem zwölfstündigen Nachtdreh.Aber dann scheint das plötzlich alles weit weg."Der Dokumentarfilm", sagt er, "ist eigentlich der bessere Film."

Da geht der Blick zurück.Um "Sieger und Verlierer" sei es ihm immer gegangen in seinen Dokumentarfilmen.Oder, genauer, um "Helden und andere Verlierer".Zum Beispiel Gustav Messmer und sein Traum vom Fliegen, über den er 1982 einen Film drehte: Messmer galt als geistig behindert, lebte in einem Pflegeheim und konstruierte absonderliche Flugmaschinen."Er kann so tiefe Glücksgefühle haben wie kaum einer von uns", sagt Schoen.Oder: Der amerikanische Kriegsveteran, der Jahrzehnte später nach Vietnam reist, um die Menschen dort um Verzeihung zu bitten ("Jenseits der Schattengrenze", 1995) - ein Verlierer auch er, auf andere Art.Die Mexikaner, die versuchen, die schwer bewachte Grenze zur USA zu überwinden, um dort Arbeit zu finden - Verlierer der Weltwirtschaftsordnung.In "Jenseits der Schamgrenze", dem dritten Teil der Trilogie, begleitet Schoen eine junge Frau aus Rußland, die nach Deutschland verkauft wird, um in einem Bordell zu arbeiten.Hartmut Schoen beobachtet Lebenssituationen, genau, ohne vorschnelles Urteil.Dabei gelangen ihm immer wieder anrührende Schilderungen.Warum da überhaupt die Hinwendung zur Fiktion?

"Wie jeder Pfarrer predige ich gerne vor einer vollen Kirche", sagt er und lacht."1,5 Prozent Marktanteil für einen Dokumentarfilm im Fernsehen - das ist doch zu wenig, oder?" Dokumentarfilme, die diesen Namen wirklich verdienten, würden im Fernsehen immer mehr auf späte Sendetermine verschoben.Nur die bessere Quote für Spielfilme aber ist für Schoen nicht entscheidend.Auch der Spielfilm könne "Wahrheit" transportieren."Ich habe immer nach starken Bildern gesucht.Und irgendwann wollte ich der technischen Beschränkung des Dokumentarfilms entfliehen.Ich wollte spannende Situationen nicht mehr abwarten müssen, sondern sie selbst herbeiführen können." Auch im Spielfilm aber bleiben seine Figuren gesellschaftlich eingebunden, mit klar gezeichneter Herkunft und Geschichte.Sein Thema: die echten und falschen Ziele im Leben; auch die Sehnsucht des Menschen, in Würde wahrgenommen zu werden.

In "Blutsbrüder" zum Beispiel müssen drei ehemalige Jet-Piloten nach der frühen Pensionierung damit fertigwerden, keine bewunderten "Kerle" mehr zu sein.Der Film ist inspiriert durch Erfahrungen bei der Produktion des Dokumentarfilms "Phantom-Fieber" (1989), wo Schoen zwei Kampfflugzeug-Piloten beobachtet hatte.In "Blutsbrüder", wo die drei Ausgemusterten durch einen Überfall ans große Geld zu kommen suchen, variiert Schoen einmal mehr sein Generalthema - von "Helden und anderen Verlierern".

Zwischen diesen Welten - er spricht vom "Übersetzen" des Dokumentarischen in die Fiktion - bewegt sich Schoen mit großem Ernst, ohne Verbissenheit.Und er kann auch lässig sein - etwa, wenn er in seinem Charlottenburger Miet-Appartement die Füße über die Sessellehne legt und sich an das Dreivierteljahr mit seiner Familie in den USA erinnert.Dort entwarf er in aller Ruhe die Drehbücher, die er jetzt verfilmt - einer, der morgens um fünf anfängt zu schreiben, ohne Frühstück.Und ohne Kompromisse.Derzeit arbeitet er auch an einem Spielfilm fürs Kino.Wie war das, der Dokumentarfilm als der "bessere Film"? Eine kleine Provokation: Hartmut Schoen scheint angetreten, um sich selbst das Gegenteil zu beweisen.

ECKART LOTTMANN

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