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Haruki Murakami

© picture alliance / dpa

Haruki Murakami übers Schreiben: Das Einfache ist das Raffinierte

Zwischen Autobiografie und Schreibanleitung: Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami und sein Essayband „Von Beruf Schriftsteller“.

Wenn Haruki Murakami sein Tagwerk beschließt, blickt er in der Regel auf zehn vollgetippte Seiten von jeweils 400 japanischen Zeichen, schnürt seine Turnschuhe und geht vor die Tür. Was sich Tag für Tag, unabhängig von Musenkuss und Runner’s High des Marathonläufers, im Leben des Tokioter Autors wiederholt, führt zu fantastischen Büchern in schnörkelloser Sprache, die weltweit Begeisterung auslösen. „Von Beruf Schriftsteller“ gibt nun in elf Essays Einblick in seine Arbeitsweise. In ihnen schreitet man mit dem Meister die Stationen seines Wirkens ab und lernt seine Ansichten über den Literaturbetrieb kennen.

Er berichtet auch noch einmal von der schicksalhaften Wendung, die ihm im April 1978 widerfuhr. Im selben Moment, in dem er bei einem Baseball-Spiel im Tokioter Jingu-Stadion verfolgte, wie im Rund „der schöne satte Ton“ eines auf den Schläger treffenden Balls widerhallte, trifft ihn ein Gedanke, der sein Leben in ein Vorher und Nachher teilen wird: Er beschließt, einen Roman zu schreiben.

Noch am selben Abend setzt er sich an den Küchentisch und schreibt die ersten Zeilen von „Wenn der Wind singt". Kurz darauf verkauft er die Jazzbar, die er zehn Jahre betrieben hat und widmet sich bald nur noch der Literatur. Die neu entdeckte Leidenschaft, erinnert sich Murakami, liefert auf Anhieb keineswegs überzeugende Ergebnisse. So führte die eigene Unzufriedenheit über erste Texte dazu, dass er Geschriebenes ins Englische und dann wieder zurück ins Japanische übersetzt. Was überflüssige Worte sichtbar machen soll, entwickelt sich zu seinem reduzierten Schreibstil. In seiner Heimat, wo Murakami mittlerweile wie ein Popstar verehrt wird, sah man darin zunächst den Untergang der sprachlich ornamental orientierten Literaturtradition heraufdämmern. Obendrein strotzten die Texte vor ungern gesehenen westlichen Einflüssen.

Haruki Murakami ist sonst nicht gerade bekannt dafür, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Er gibt selten Interviews und lebt ein zurückgezogenes Leben: „Einen Schriftsteller, der in einer ruhigen Vorstadt lebt, ein solides Leben führt, früh zu Bett geht, früh aufsteht, an keinem Tag sein Lauftraining versäumt, gern Salate macht und jeden Tag in seinem Büro einer geregelten Arbeitszeit nachgeht, will wahrscheinlich niemand. Ich ertränke die lang gehegten romantischen Vorstellungen nur in unnötig kaltem Wasser.“ Wer sich allerdings auf seine Arbeitstemperatur einlässt, kann die Essays auch als Gebrauchsanweisung zum Selberschreiben lesen.

Murakami ordnet beim Schreiben sein "inneres Chaos"

Beim Blick über seine Schulter tut man auch den einen oder anderen Blick in die Trickkiste, aus der er sich beim Erschaffen der surrealen Welten bedient. Kaum jemand beherrscht es so virtuos, seine oft einsamen Figuren aus Alltagssituationen über Autobahntreppen und Brunnenschächte hinab unvermittelt in surreale Parallelwelten voller Liebe und Schmerz zu führen, von wo aus sie als andere wiederkehren.

Murakami liebt Vergleiche mit Filmen. Besonderen Aufschluss gibt Spielbergs „E.T.“. So, wie es dem Wesen vom anderen Stern gelingt, mit Teilen aus der Rumpelkammer ein funktionstüchtiges Funkgerät herzustellen, darf man sich auch den Beruf des Schriftstellers vorstellen: „Auch wenn man nur alltägliche, einfache Materialien, also ungekünstelte, schlichte Worte verwendet, können daraus mit etwas Magie erstaunlich raffinierte Konstruktionen entstehen.“ Beim Schreiben gehe es letztlich darum, ein „inneres Chaos“ in Worte zu fassen, das jeder in sich trägt.

Zu diesem Zweck kann jede noch so kleine Beobachtung von Bedeutung sein. Es sind sorgsam abgespeicherte Details, die Figuren und Szenen zum Leben erwecken: „Ganz gleich wie viel Magie wir einsetzen, aus dem Nichts lässt sich keine Substanz hervorbringen. Für E.T. musste ja erst einmal ein entsprechender Vorrat an ‚Gerümpel’ im Wandschrank bereitstehen, damit er sich bedienen konnte.“

Murakami beschreibt genau, wie er auf das gigantische Archiv in seinem Kopf zugreift und wie Erzählungen ab einem gewissen Punkt manchmal eine Eigendynamik entwickeln. Sara in „Die Pilgerreise des farblosen Herrn Tazaki“ dirigierte den Roman etwa nach Finnland: „Wirklich lebendige Figuren trennen sich an einem gewissen Punkt von ihrem Autor und beginnen eigenständig zu agieren.“

„Von Beruf Schriftsteller“ ging in Japan mit 100 000 Exemplaren in die erste Auflage und verkaufte sich in Windeseile. Und das, obwohl man ausgerechnet im technologieverliebten Japan nicht per Klick bestellen konnte, sondern in die nächste Buchhandlung gehen musste. Online-Händler wie Amazon gingen bei der Erstauflage auf Wunsch des Autors leer aus: Als Schriftsteller setzt Haruki Murakami auch jenseits der Buchdeckel die Zeichen an der richtigen Stelle.

Haruki Murakami: Von Beruf Schriftsteller. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Dumont Literaturverlag, Köln 2016. 240 Seiten, 23 €.

Lucia Schöllhuber

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