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Kultur: Hat der Frieden noch eine Chance, Herr Kaniuk?

Yoram Kaniuk, Schriftsteller TAGESSPIEGEL: Israel ist 50 Jahre alt.Warum fällt es Ihren Landsleuten schwer, dieses Jubiläum zu feiern?

Yoram Kaniuk, Schriftsteller TAGESSPIEGEL: Israel ist 50 Jahre alt.Warum fällt es Ihren Landsleuten schwer, dieses Jubiläum zu feiern? YORAM KANIUK: Vor 50 Jahren gab es nichts, da war Wüste.Wir errichteten einen Staat, eine schlagkräftige Industrie.Wir sind heute nicht 500 000 Israelis, sondern fünf Millionen.Wir haben ein schönes Land, eine wundervolle Agrarwirtschaft.Warum denken wir nicht daran? Alles, was uns momentan durch den Kopf schießt, ist Bibi Netanjahu und was er nun wieder anrichten könnte.Manchmal glaube ich, daß wir das ausgeprägte Talent haben, uns selbst ins Unglück zu stürzen.Und immer wenn ich unsere Orthodoxen sehe, habe ich das Gefühl, daß wir in zwei Welten, in zwei sehr verschiedenen Staaten leben.Unser Land ist gespaltener denn je - ein eigenartiges Fazit nach 50 Jahren.Viele denken so.Warum sollten wir also feiern? Wir haben so viele Probleme und keine Antworten.Oder: Jede Antwort, die wir geben, wirft fünf neue Fragen auf. TAGESSPIEGEL: Seit Jahrzehnten engagieren Sie sich nun für den Frieden zwischen Israel und den Palästinensern.Glauben Sie noch an das Friedensabkommen von Oslo, an eine gemeinsame Lösung mit den Palästinensern? YORAM KANIUK: Ein Kompromiß ist noch möglich.Aber das muß bald sein, sehr bald, sonst gibt es ein Desaster, einen endlosen Krieg.Dabei bin ich mir sicher, daß es noch einmal 30, 40 Jahre dauern wird, bis Israel einigermaßen fähig sein wird, mit seinen Problemen erwachsen umzugehen.Diese Rechnung kann eigentlich nicht aufgehen.Was immer wir jetzt mit den Palästinensern tun - ich mag es nicht und kann es nicht nachvollziehen.Unser Land ist von Millionen von Arabern umgeben - und wir machen sie uns gedankenlos zu Feinden.Ich glaube, die Palästinenser werden uns nie vergeben, nie verzeihen können. TAGESSPIEGEL: Ihr neues Buch - ist es ein Appell an die junge Generation? YORAM KANIUK: Schon meine Kinder interessieren sich nicht mehr für die Politik.Wenn niemand mehr die Vergangenheit kennt, kennen will - wie soll man dann anständige Lösungen in der Gegenwart finden? Und da meine Bücher bisher immer vom Holocaust erzählten, wollte ich diesmal ein israelisches Buch über junge Menschen schreiben, die einmal nicht Adam, Moses oder Isaak heißen, sondern Phantasienamen wie Hadar, Muki oder Uri tragen. TAGESSPIEGEL: Welche der Geschichten in Ihrem Buch ist die wichtigste? YORAM KANIUK: Ich glaube, die verqueren Verwicklungen unseres Geheimdienstes in den Mord an Rabin.Denn zwei Sachen haben mich mein ganzes Leben immer schon interessiert und verfolgt: Verrat und Wut.Es geht daher auch um diese Art Rache, die ich verstehe, aus der ganzen Tiefe meiner schwarzen Seele heraus.Das Schlimme an Rabins Mord war ja, daß er nicht von einem einzelnen Menschen ermordet wurde, sondern von einer entsetzlichen Idee. TAGESSPIEGEL: Das tönt sehr pessimistisch. YORAM KANIUK: Ich war nie ein sehr optimistischer Mensch.Für viele dieser orthodoxen Juden, die hinter dieser unglückseligen Idee stehen, die zum Mord an Rabin führte, ist Israel nicht viel mehr als eine kurze Episode in der 2000jährigen jüdischen Geschichte.Warum also sollten sie sich für diesen Staat einsetzen? Eine perverse Logik. TAGESSPIEGEL: Vermissen Sie Ihren arabischen Mitstreiter Emil Habibi? YORAM KANIUK: Sehr.Vermissen ist gar kein Ausdruck.Vergessen Sie mich, er war einzigartig.Er lebte mit all seinen Widersprüchen und Verletzungen und war dennoch fähig, zu lieben, zu vergeben und zu verstehen.Ich habe mit ihm ganze Nächte durchdiskutiert.Er war der größte Friedenskämpfer, den ich je getroffen habe.Er kämpfte für die Koexistenz - und er bezahlte dafür bitter und schwer.Als er einen israelischen Preis bekam und ihn auch noch annahm, wurde er von seinen arabischen Kollegen schärfstens dafür verurteilt.Selbst wenn wir lange miteinander sprachen, kamen wir immer zum gleichen Punkt: Sein Großvater war gegen meinen Großvater und konnte nie verstehen, was diese verdammten Juden in seinem Land wollten.Und ich war der Jude, der nicht verstehen konnte, warum man nicht ein wenig Platz machen konnte und zehn Kilometer weiter ziehen kann. TAGESSPIEGEL: Es ist doch verständlich, daß man nicht gern freiwillig seine Heimat verläßt, oder? YORAM KANIUK: Natürlich.Deswegen dachten Habibi und ich auch immer, daß man etwas tun muß.Die Araber wissen bis heute kaum etwas vom Holocaust - das war auch Thema in unserem Buch "Das zweifach verheißende Land".Spielbergs Film "Schindlers Liste" darf in den arabischen Ländern bis heute nicht gezeigt werden.Manchmal denke ich, die Araber schützen sich in ihrem Leid, verstecken sich dahinter. TAGESSPIEGEL: Würde es denn helfen, wenn Sie vom Holocaust wüßten? YORAM KANIUK: Das weiß ich bis heute nicht.Vielleicht wäre es einfacher, miteinander zu reden, wenn man wenigstens die Beweggründe des anderen versteht.Aber dann? Soll man das Leid des einen gegen das des anderen aufwiegen? Das kann nicht funktionieren und wird die Ansichten der vertriebenen Palästinenser auch nicht ändern.Genauso, wie viele Juden heute die Wut von Arabern, die einst in Akko, Haifa oder Jaffa lebten und nun im Libanon oder in der Westbank hausen müssen, offenbar auch nur schwer nachzuvollziehen können. TAGESSPIEGEL: Wenn Sie glauben, daß man die Meinung eines Arabers nicht ändern kann - was treibt Sie dann an, dennoch immer wieder mit Ihnen zu reden? YORAM KANIUK: Was ist besser - schlecht zu leben oder entschieden zu sterben? Es würde wohl jeder das Leben vorziehen.Ich kann mich doch nicht einfach selbst aufgeben, und auch die Sache nicht.Ich glaube immer noch an die Koexistenz.Wie Habibi. TAGESSPIEGEL: Wie fühlen sie sich heute in Israel? Ist Israel Ihr Heimatland? YORAM KANIUK: Ich lebe als ein jüdischer Autor in Israel, nicht als Israeli.Dieser Unterschied ist mir wichtig.Aber es ist eine Heimat, und das nicht nur, weil ich hier geboren bin.Die Sprache, das Klima, meine Freunde - alles, was das Leben lebenswert macht. TAGESSPIEGEL: Und wie fühlen Sie sich, wenn Sie durch Deutschland reisen? YORAM KANIUK: Das ist eine schwierige Angelegenheit.Deutschland ist ein Ort, den ich sehr liebe, schließlich kommt mein Vater aus diesem Land.Es ist ein Land, das ich zugleich auch hasse.So wie ich mich selbst liebe und hasse.Es ist für mich immer noch der Ort, wo die beste jüdische Kreativität, die es je in der Moderne gab - in der Physik, in der Literatur, im Theater, im Film - zugleich ihr Grab fand.Und manchmal habe ich heute das Gefühl, daß der israelisch-palästinensische Konflikt für die Deutschen eine Art Entertainment ist.Und bis heute liebt in diesem Land niemand die Juden.Obwohl sie seit hunderten von Jahren so viel zur Kultur beigetragen haben.Aber ich verlange nichts mehr.Obwohl es eine Zeit gab, da ich diesen Dialog verlangt, ja eingefordert habe. TAGESSPIEGEL: Gab es keine Antworten? YORAM KANIUK: Doch, aber sie kamen Jahrzehnte zu spät.Es ging um meine Generation, deren Eltern mit dem Holocaust zu tun hatten, deren Väter bei der SS und Wehrmacht waren.Diese Menschen führten Juden in den Wald, zwangen sie, sich auszuziehen, erschossen sie und fotografierten sie.Dann fuhren sie zu ihren Familien zurück, Familien, die sie sicher liebten.Sie waren wahrscheinlich keine bösen Menschen, aber was waren sie? Das wollte ich verstehen, kann es aber bis heute nicht. TAGESSPIEGEL: Lesen Sie deutsche Schriftsteller? YORAM KANIUK: Oh ja.Dafür hat schon mein Vater gesorgt.Ich kenne das Berlin der Jahrhundertwende besser als so manche israelische Stadt.Auch die deutschsprachigen Autoren dieser Zeit.Karl Kraus verehre ich geradezu.Ich lese und treffe auch Schriftsteller wie Günter Grass.Aber es ist schwierig, mit ihnen einen echten Dialog zu führen.Sie wissen wenig über uns, interessieren sich auch nicht so sehr dafür. TAGESSPIEGEL: Schmerzt Sie das? YORAM KANIUK: Eher etwas anderes.Sehen Sie, ich habe nie einen SS-Offizier kennengelernt, wußte von dieser Spezies Mensch nur aus Erzählungen und war trotzdem fähig, eine solche Figur schreibend zu imaginieren.Aber warum finden sich bei den deutschen Autoren keine jüdischen Figuren? Nicht bei Böll, nicht bei Grass, der immerhin mit jüdischen Mitschülern aufwuchs.Wo sind sie geblieben? Sie starben nicht nur im Holocaust, sie sind auch in den deutschen Büchern nicht mehr vorhanden.Das ist das Schreckliche und Unverständliche.

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