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Kultur: Hatte mal ein Mädchen

Im Kino: Tran Anh Hung verfilmt Haruki Murakamis Roman „Naokos Lächeln“

I once had a girl, or should I say, she once had me? – Der in Paris lebende Vietnamese Tran Anh Hung hat sich auf ein transkulturelles Wagnis eingelassen und aus dem Roman des Japaners Haruki Murakami „Noruwei no mori“ einen Film gemacht. „Noruwei no mori“ heißt der Beatles-Song „Norwegian Wood“ auf Japanisch. In Murakamis Weltbestseller trifft dieses Lied den 37-jährigen Erzähler, soeben im trüben Hamburg gelandet, noch im Flugzeug, in einer dünnen Instrumentalversion: I once had a girl, or should I say, she once had me? Die Folge ist ein Jetlag, viel größer als ihn ein Flug von Tokio nach Hamburg hervorbringen könnte. Der Name des Mädchens ist Naoko; Toru hat ihr einmal versprochen, sie nie zu vergessen. Kein Groschenroman-Versprechen wollte sie, sondern es war ihr tiefster Ernst, den er verstand, den er teilte. Weil er schon damals wusste, dass diese Naoko ihn nie geliebt hat. Und weil er jetzt weiß, dass es immer länger dauern würde, bis sein Gedächtnis das unaufhaltsam unschärfer werdende Bild Naokos freigibt.

Diese Ebene hat Tran Anh Hung gestrichen. Seit „Der Duft der grünen Papaya“ ist er ein Meister darin, Filme fast ganz aus Sehnsucht zu machen, aus der seltsamen Verwandtschaft von Melancholie, Schmerz und Schönheit. Vielleicht hat er geglaubt, dieses Können werde ihn auch hier tragen, selbst wenn er auf der traumlosesten Ebene bleibt: der des alltäglichen Geschehens, eines Studentenwohnheims im Tokio der späten Sechziger Jahre, als die Jugend weltweit meinte, zum ersten Mal entdeckt zu haben, was das wirklich ist: Jugend.

Und weil das wohl zugleich eine sehr irritierende Erfahrung ist, bleiben die Gesichter von Kenichi Matsuyama, Rinko Kikuchi und Kiko Mizuhara eigentümlich verschlossen – oder sind sie zu gleichgültig schön, um Spiegel werden zu können?

In der Tat befindet sich die Hauptperson Toru Watanabe (Kenichi Matsuyama) nach dem Selbstmord seines besten Freundes Kizuki in einem Zustand größtmöglicher Gleichgültigkeit – gegen sich, gegen andere, gegen alles. Zu jäh war die Erfahrung, dass der Tod nicht mehr wie bisher jenseits des Lebens beginnt, sondern in allem anwesend sein kann, in Briefbeschwerern ebenso wie in den Kugeln auf einem Billardtisch. Torus Welt hat keinen Geschmack mehr.

Manchmal hat das, was so einer denkt, dann umso mehr Gewicht, und ein Roman kann es aussprechen. Aber dem Film bleibt nichts, als in das selbst- und weltverlorene Gesicht Torus zu blicken. Und auch das Naokos (Rinko Kichuchi), nachdem er sie zufällig in Tokyo wiedertrifft, ist nicht viel beredter. Naoko war Kizukis Freundin.

Es ist noch nicht lange her, da haben sie ihre Tage zusammen verbracht, immer zu dritt, und Kizuki war die Mitte. Sobald die beiden anderen allein waren, wussten sie nicht mehr, worüber sie sprechen sollten. Jetzt ist das anders. Die beiden Hinterbliebenen ahnen, dass das Leben auch für sie schon zuende sein könnte, bevor es richtig begann.

Der Tod wird Naoki nicht mehr freigeben, Toru aber lernt ein junges Mädchen kennen, das von den dunklen Seiten nichts zu wissen scheint … Leben oder Tod? Das eine ist immer schon im anderen, und doch ist es zuletzt eine Gleichgewichtsfrage. Genau wie im Film. Trotz der Schwebebilder des Kameramann Mark Lee Ping Bin wird „Naokis Lächeln“ nie wirklich lebendig. Es ist, als spiele er hinter Glas. Wie Naokos Leben seit Kizukis Tod. Kerstin Decker

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