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Kultur: Hauptsache Abenteuer

Stadt der Frauen: Zwei Spanierinnen leiten die 51. Venedig-Biennale, die am Wochenende eröffnet wird

Als kürzlich jemand von ihr wissen wollte, was es ihr bedeute, dass sie die erste Frau an der Spitze der Biennale Venedig sei, tat Maria de Corral einen Moment lang so, als habe sie nicht recht gehört. Kühl entgegnete sie, ihre berufliche Eignung und nicht ihr Geschlecht habe bei der Wahl der Kuratoren den Ausschlag gegeben. Erst als Ko-Kuratorin Rosa Martinez zu einer unmissverständlich feministischen Antwort anhebt, taut de Corral auf. Natürlich hofft sie, künftig mehr Frauen in solch wichtigen Positionen zu begegnen. Trotzdem ist sie gegen Quoten – bei Personalentscheidungen wie in der Kunst selbst. Bei der Organisation von Ausstellungen habe sie die Werke immer „nach ihrer Intensität“ ausgesucht, nicht nach anderen Kriterien.

Die jüngere kämpferisch, die ältere abgeklärt: Die interne Aufteilung haben die beiden Kuratorinnen der 51. Biennale di Venezia, die am Sonnabend für das Publikum geöffnet wird, inzwischen so nachhaltig verinnerlicht, dass keine der anderen in die Quere kommt. Vielleicht ist das ihre Art, damit umzugehen, dass sie tatsächlich Geschichte schreiben. Nie zuvor lagen die Geschicke der weltweit ältesten, renommiertesten Biennale so sehr in den Händen von Frauen – in einem Land mit ausgeprägter Macho-Tradition.

Dass sich die beiden in einem solchen Umfeld zu behaupten verstehen, haben sie hinlänglich bewiesen. Vor allem Maria de Corral genießt in Kunstkreisen einen beinahe legendären Ruf als Ausstellungsmacherin und Museumsgründerin: Nicht selten wird sie als die „spanische Antwort auf Kasper König“ bezeichnet. 1981 organisierte sie für die spanische Sparkassenstiftung La Caixa Foundation, die größte private Kunststiftung des Landes, Ausstellungen sowie ab 1985 deren Sammlung zeitgenössischer Kunst. Später war sie Direktorin des Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia in Madrid und machte sich zuletzt als Gründungsdirektorin des neuen Museums für moderne Kunst in Santander einen Namen. Auch Venedig kennt de Corral bereits: 1988 war sie Kommissarin des spanischen Pavillons. Und mit Ko-Kuratorin Rosa Martinez arbeitete de Corral schon bei der La Caixa Foundation zusammen.

1996 gehörte Rosa Martinez zum Kuratorenkollektiv der ersten Manifesta in Rotterdam, ein Jahr darauf leitete sie die aufstrebende Biennale von Istanbul. 2004 kehrte sie in die Zwölfmillionen-Stadt zurück, als Direktorin des Istanbul Modern, dem kürzlich eröffneten Museum für zeitgenössische Kunst. Auch Martinez hat Venedig-Erfahrung: Bei der Biennale 2003 zeichnete sie verantwortlich für eine Aktion von Santiago Sierra, der die Besucher mit einer vermeintlichen Passkontrolle am Eingang des spanischen Pavillons provozierte.

In diesem Jahr organisiert Maria de Corral die große Retrospektive im italienischen Pavillon und in den Giardini, während Rosa Martinez die Nachfolge des kürzlich verstorbenen Harald Szeemann antritt und im Arsenale die Ausstellung „Immer etwas ferner“ präsentiert. Das Motto hat Martinez einem CortoMaltese-Comic von Hugo Pratt entlehnt: der „romantische Wanderer zwischen den unterschiedlichen Kulturen“ – für die Kuratorin eine Symbolfigur. Wie Pratt seinen Helden ständig Grenzen überschreiten lässt, so sind laut Martinez auch Künstler stets bemüht, „Widerstände zu überwinden und über äußere und innere Barrieren hinauszugehen“.

Wie immer kommen die Künstler aus aller Welt nach Venedig, Martinez hat dabei aber auch periphere Regionen im Blick: Palästina, Kolumbien und Guatemala, Kuba, Indien und Korea, Türkei und Albanien, natürlich auch Europa und die USA. Alle Künstler verbindet ihre Patchwork-Biografie, ähnlich setzt sich Martinez’ Gedankengebäude wie ein Patchwork zusammen: vom Comic über den Feminismus bis zur Hochkultur.

Maria de Corral vertritt dagegen eher das klassische Genre. Ihre Ausstellung „Kunsterfahrung“ soll die „Wünsche, Emotionen, Beziehungen zwischen den Menschen und ihre Zerbrechlichkeit“ offenbaren. Hier sind Künstler vertreten, die man bereits aus anderen großen Ausstellungen kennt, Klassiker der Moderne: Francis Bacon, Bruce Nauman, Dan Graham, Jenny Holzer, Rachel Whiteread, Agnes Martin, Gabriel Orozco. Gemeinsam ist den Kuratorinnen der Wunsch, den Besucher in geistige „Abenteuer zu verwickeln“. Genau wie Corto Maltese, der verwegene, ewig jugendliche Held.

Ulrich Clewing

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