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„Diamante“ ist eine kapitalistische Dystopie.

© Ruhrtriennale/ A. Hauschild

Haus der Berliner Festspiele: Telenovela im Dschungel

Begehbare Installation mit Schauspiel, Musik und viel Tamtam: „Diamante“ von Mariano Pensotti und seiner Grupo Marea im Haus der Berliner Festspiele.

Wenn Konzerne zu viel Einfluss auf Städte nehmen, wird's meistens unerfreulich. In San Francisco zum Beispiel können sich die Normalsterblichen nur noch Hundehütten zum Wohnen leisten, weil das nahe Silicon Valley die Immobilienpreise in Mondhöhen geschraubt hat. Ausgerechnet Google will nun „ein guter Nachbar“ sein und eine Milliarde Dollar aus der Portokasse in bezahlbare Apartments investieren.

Wenn Konzerne anfangen, ihre eigenen Städte zu bauen, sieht die Lage kaum rosiger aus. Ein historisches Beispiel mit Strahlkraft ist Fordlândia, dieses recht überambitionierte Werks- und Wohnprojekt, das der Autobauer Henry Ford in den 1920er Jahren mitten in den brasilianischen Regenwald pflanzen ließ, um im großen Stil Kautschuk zu produzieren. Was ziemlich schiefgegangen ist.

Musste ja so kommen, denkt man heute, weil man gleich die irrlichternde „Fitzcarraldo“-Hybris eines Klaus Kinski vor Augen hat. Und weil die Zeiten glücklicherweise passé sind, in denen die Schlagzeilen jubelten, Ford bringe „die Magie des weißen Mannes“ in den Dschungel.

Trotzdem, Lehren scheinen aus der Geschichte nicht wirklich gezogen worden zu sein. Denn das Modell einer „Free Private City“, einer Privatstadt in Unternehmenshand entspricht ja perfekt dem Campus-Geist der Tech-Giganten. Klar ist, dass solche Städte dann auch den eigenen Gesetzen der Companys folgen.

Das kapitalistische Dystopia, das sich der Theatermacher Mariano Pensotti mit seiner Grupo Marea ausgedacht hat, heißt Diamante und liegt irgendwo im argentinischen Misiones-Dschungel. Gegründet wurde sie von einem Deutschen namens Emil Hügel, gerade laufen die Vorbereitungen zur Feier ihres 100-jährigen Bestehens. Betreiber ist eine Company namens Goodwind, die früher irgendwas mit Öl gemacht hat und heute als IT-Pionier zum Beispiel das Leben blinder Frösche studiert, um daraus smarte Software-Anwendungen zu basteln. Wie auch immer das funktioniert.

Mit den armen Leuten nebenan will man nichts zu tun haben

Goodwind bietet seiner überwiegend deutschen Mitarbeiterschaft ein privilegiertes Leben in schönen Häuschen skandinavischen Stils (Hügel war Schweden-Fan), verpflichtet sie zum Gemeinschaftssport sowie zum Erlernen eines Instruments (Hügel war frustrierter Musiker) und verspricht Sicherheit durch Abschottung (Hügel war vielleicht Faschist, das erfährt man nicht). Jedenfalls ist diese Dschungel-Enklave eine Art Gated Community, die mit den ringsum lebenden Armen nichts zu tun haben will. Man ahnt schon: das geht nicht gut.

Die Inszenierung „Diamante“ – uraufgeführt bei der Ruhrtriennale 2018 und nun im Haus der Berliner Festspiele in der berühmten Reihe „Immersion“ zu sehen – funktioniert als begehbare Installation mit Schauspiel, Musik und viel Tamtam. Bühnen- und Kostümbildnerin Mariana Tirantte hat zehn Häuschen mit gläserner Front ins große Haus an der Schaperstraße gebaut, in denen sich jeweils knapp zehnminütige Szenen abspielen.

Fünfeinhalb Stunden dauert die Performance

Die Zuschauerreihen sind entfernt, man schnappt sich am Eingang einen Hocker und durchwandert dann die Kunststadt in beliebiger Reihenfolge. Jede der Mini-Performances wird so oft wiederholt, dass einem garantiert keine entgeht. Aus drei Teilen besteht der fünfeinhalbstündige Abend (inklusive zweier Pausen), was für alle Beteiligten einen ziemlichen Kraftakt bedeutet.

Die verschiedenen Erzählstränge sind alle irgendwie miteinander verlinkt. Auf ein Rechtsanwalts-Paar ist ein Überfall verübt worden, der unbekannte Täter hat die Noten einer Partitur und eine defäkierende Micky Mouse an die Wand gemalt (später kommt noch ein urinierender Donald Duck vor, Pensotti hat offenbar ein Disney-Trauma).

Der Vorfall heizt die ohnehin grassierende Paranoia an. Derweil bewirbt sich eine Goodwind-Managerin als Gouverneurin, kann sich aber nur mit schmutzigen Methoden gegen die linke „Revolutionäre Arbeiter Partei“ durchsetzen. Die Firma selbst steht vor der Fusion mit einem norwegischen Erdöl-Unternehmen.

In diese zentralen Narrative sind unter anderem ein Barmann involviert, der sich die Öffnung der Grenzen wünscht, ein Regisseur, der ein ganzes Jahr im Leben der Diamante- Bewohner auf die Bühne bringen will, ein Security-Guard, der vom Actor's Studio in Los Angeles träumt. 23 deutsche und argentinische Schauspielerinnen und Schauspieler plus eine Schar Kinder werden dafür aufgeboten. Schon beachtlich.

Die Botschaft bleibt plakativ und hohl

Manche Motive erkennt man dabei aus Mariano Pensottis Arbeit „Wenn ich zurückkomme, bin ich ein Anderer“ wieder, die sich mit Argentiniens Militärdiktatur auseinander setzte und vor ein paar Jahren im HAU lief. Das Problem ist nur, dass die einzelnen Episoden, die von Affären, verdrängter Schuld, Vater-Tochter-Konflikten oder spirituell verirrten Jugendlichen erzählen, blanke Telenovela sind. Der Regisseur gibt sich unheimliche Mühe, seiner Inszenierung den großen philosophisch-politischen Überbau zu verpassen. Der bleibt aber so plakativ wie hohl.

Während die Szenen hinter Glas laufen, flimmern als Übertitel auf den Häusern unentwegt Meta-Kommentare. „Die schlimmste Zuflucht ist der Gemeinplatz des Denkens“, „Das Erschreckende ist nicht, jemanden zu vermissen, sondern sich an seine Abwesenheit zu gewöhnen“, und so fort. Pensottis Best-of der Aphorismen. Die gesamte Private- City-Kapitalismus-Neoliberalismus-Abschottungs-Systemkritik hat man indes schon kapiert, bevor die Vorstellung überhaupt losgeht.

Am Ende soll aus Diamante ein Themenpark werden, in dem die Bewohner sich selbst spielen. In den Häusern stehen schon Pappaufsteller von ihnen. Kein großer Unterschied zu vorher (wieder am 20., 22., 23. und 24. 11.).

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