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Haus der Kulturen

© David Heerde

Haus der Kulturen der Welt: Die Kompromisshalle

Das Haus der Kulturen der Welt ist wieder da. Jetzt sucht es nach Sinn. Eindrücke vom Eröffnungsmarathon.

Donnerstagabend, 19 Uhr 20: Sardinenartig quetschen sich die Menschen auf der Dachterrasse im neu eröffneten Haus der Kulturen der Welt und lauschen einem Mann, der sich Reverend Billy nennt. In seinem weißen Anzug, den er zu blond gefärbtem Haupthaar trägt, versprüht Reverend Billy zwar eher den Charme eines abgehalfterten TV-Showmasters, stellt sich dann aber überraschenderweise als Prediger der Konsumverweigerung vor und lässt seine Backgroup, einen Gospelchor, zum Beweis immer wieder in den höchsten Tönen den beseelten Refrain „Stop shopping!“ schmettern. „In unserer Kirche sind alle Sünder“, ruft Reverend Billy fröhlich in die Sardinenmenge, und die Backgroup nickt eifrig dazu, „denn wir sind alle Konsumenten!“

Diese bemerkenswerte Erkenntnis bricht in Minute siebenundzwanzig der 72-stündigen Nonstop-Eröffnungsparty über uns herein, mit der Intendant Bernd Scherer das geschichtsträchtige Haus der Kulturen der Welt, kurz HdKdW, zu dessen 50. Jahrestag nach längerer Renovierungsphase „den Berlinern zurückgeben“ will, wie es in seiner Auftaktansprache heißt. Und die Inbesitznahme scheint tatsächlich schon zu diesem Zeitpunkt bestens zu funktionieren: Die Mittzwanziger in Reverend Billys Publikum zoomen begeistert mit Handys, die Mittdreißiger mit (den Ausstattungsmerkmalen nach zu urteilen recht frisch ershoppten) Digitalkameras auf den Enthaltsamkeitsprediger. Kinder verschütten ihre Fruchtsaftgetränke auf fremden Hosen und Schuhen, während sie sich rotwangig zum Mitswingen in die vordersten Reihen drängeln. Und die Seniorin mit dem weißen Rüschenkragen vorn links ist bei Weitem nicht die Einzige, die rhythmisch in die Hände klatscht und dazu im Rahmen der begrenzten Bewegungsmöglichkeiten von einem Fuß auf den anderen und gelegentlich auch auf einen Fremdfuß tritt. Die Volksfeststimmung könnte, kurzum, nicht besser sein.

Eine halbe Stunde später brilliert die Rüschendame sogar mit formvollendeter Oberkörper-Choreografie; nunmehr aus der fünften Reihe im großen Saal, den der New Yorker Star-Percussionist Luisito Quintero mit seiner Band aufmischt. Neben ihr hüpft eine jugendliche Groupie-Formation Richtung Bühnenrampe, um die Bodenplätze vor der ersten Sitzreihe zu okkupieren: Solche Fan-Bewegungen sah man in den letzten Jahren tatsächlich selten an diesem Ort, der allen künstlerischen Bemühungen zum Trotz seinen Kongresshallen-Charme in der Regel nicht verhehlen konnte.

Wahrscheinlich hätte man gut daran getan, bei Luisito Quintero und seinen Groupies zu verweilen. Aber Müßiggang kann man sich nicht leisten bei „72 Stunden New York“. Wir schreiben die Stunde drei der Endlosparty, und der Kulturflaneur muss sich jetzt unverzüglich entscheiden zwischen „Live Tattooing mit Norbert“ im „Café Global“ (wofür insbesondere das Motto „No pain no brain“ spricht), der Vernissage zur großen New-York-Schau „New York States of Mind“ in der Ausstellungshalle, Swing im Restaurant, einem privaten Nickerchen auf einer zusammengeschobenen Stuhlgruppe mit dem etwas irreführenden Namen „Shelter Room“ in der Südhalle, Stummfilmen im Theatersaal oder dem „Tanz ohne Körper“ im Konferenzraum eins.

„Tanz ohne Körper“ klingt verheißungsvoll. Schade bloß, dass Koosil-jas Performance dann gar keine zwingenden Rückschlüsse auf den Veranstaltungstitel zulässt – abgesehen davon, dass im Programmzettel Gilles Deleuzes Vorstellung vom „organlosen Körper“ bemüht wird. Immerhin tritt, wie man es seit geraumer Zeit von allen möglichen Bühnen kennt, der durchaus leibhaftig vorhandene Körper in diverse Dialoge mit Monitoren und Videos und bestätigt den Zuschauer einmal mehr in seiner Ahnung, dass nicht überall, wo Deleuze draufsteht, auch Deleuze drin ist. Scherers diskursives Konzept fürs HdKdW, „die Bewegung nach außen“, zielt darauf ab, „das Eigene besser zu verstehen“. Hier allerdings erschöpft sie sich im bloßen ästhetischen Wiedererkennungswert – ein Befund, der an den ersten beiden Tagen für das Performance-Programm insgesamt gilt.

Dessen Kurator André Lepecki hat den französischen Philosophen Gilles Deleuze, der ein „nomadisches Denken der Zerstreuung“ propagierte, generell als konzeptionellen Paten des Eröffnungsprogramms auserkoren: Unter dem Motto „nomadic new york“ soll hier „Performancekunst, die sich dem Spektakulären verweigert und politisch ist, indem sie temporäre Kollektive bildet, Räume umwidmet und Zeit entschleunigt“, dargeboten werden. So verständlich und auch löblich der Ansatz sein mag, Entwürfe abseits des Mainstreams und jenseits gängiger New-York-Klischees zu suchen: Augenfällig wird hier, mit Verlaub, noch am ehesten der Aspekt, der da „Verweigerung des Spektakulären“ lautet.

So sieht man in der siebten Party-Stunde die Performerin Julie Tolentino in einer Glasbox im Foyer mit verbundenen Augen tanzen. Wer bereitwillig seine Schuhe auszieht, darf zu ihr aufs Rasengeviert treten und mitmachen – eine Allianz, die oft nach Kuschelfrieden gegen die viel beschworene anonyme Weltkälte mit hippieskem Einschlag aussieht. Mag sein, dass die Performerin selbst interessante Trance-Erlebnisse und Selbsterfahrungen macht: 24 Stunden nonstop dauert ihr Einsatz. Aber für die Zuschauer wirkt das nicht viel mehr als sympathisch, süß und easy – ähnlich wie der Ortstermin in Prenzlauer Berg in der fünfundzwanzigsten Party-Stunde: Die New Yorker Choreografin Edisa Weeks lud hier – ein in Berlin ebenfalls alles andere als neues Konzept – zur Performance in eine Privatwohnung. Man durfte mittanzen und hinterher in einer Art Stuhlkreis mit den Performern darüber sprechen, wie sich das angefühlt hat – und ob man selbst auch mal zu Hause im eigenen Wohnzimmer das untrainierte Tanzbein schwinge. Oberstes Gebot der ganzen Veranstaltung: „Einander beschenken“ und bloß niemandem zu nahe treten!

Da hätte man sich, gerade im Hinblick auf die von Scherer in seiner Auftaktrede versprochene „Vielstimmigkeit“, schon ein breiteres Spektrum gewünscht; ein bisschen mehr Verstörung, vor allem auch – ja, bitte – gern etwas explizit politischere Diskurse.

Andererseits haben solche Eröffnungsmarathons es natürlich zwangsläufig an sich, dass die erschlagende Quantität nicht unbedingt den differenzierten Blick zulässt. Vielleicht war man ja auch einfach nur in fünfzig Prozent der Fälle am falschen Ort. Das ist künftig, nach dem regulären Programmstart, besser zu überprüfen.

Nach dreißig Party-Stunden zeigt sich immerhin: Die Kongresshalle tanzt. Überall rocken Menschen unterschiedlicher Generationen zu jeweils altersgerechter Musik. Das Haus ist wieder im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Keine schlechte Basis für Scherers ambitioniertes Programm.

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