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Haus der Kulturen der Welt: Ferner Westen, Naher Osten

Als im März 1989 das sogenannte Haus der Kulturen der Welt aufmachte, verstand niemand so recht, was damit gemeint war. Nächste Woche wird es wiedereröffnet. Wozu wir es brauchen.

Eine Anmaßung, was sonst. Als im März 1989 das sogenannte Haus der Kulturen der Welt in der zum Postkartenmotiv heruntergekommenen Kongresshalle aufmachte, verstand niemand so recht, was damit gemeint war. Zu jenem Zeitpunkt – heute würde man sagen, es war die Ruhe vor dem Sturm – existierte in West-Berlin nicht einmal ein ausgeprägtes Bewusstsein für die epochalen Veränderungen, die sich ein paar hundert Meter weiter östlich ankündigten. Das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking, man schrieb den 4. Juni 1989, schien die alte Weltordnung zu zementieren.

11. September, Golf- und Irakkrieg, Huntingtons „Clash of Civilizations“, Afghanistan-Einsatz, Chinas wirtschaftlicher Aufstieg, Internet, kurz, die Globalisierung: Von alldem gab es noch keine Ahnung, als die schwangere Auster kreißte und eine graue Maus gebar, mit elefantösem Anspruch und diesem etwas trampeligen Namen mit dem doppelten Genitiv. Haus der Kulturen der Welt, kurz HKW.

Was sollte das sein? Ein intellektuelles Reisebüro? Die Geschichte dieser lange im Schatten arbeitenden Berliner Institution spiegelt auch die Mentalitäten der Stadt und der Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung. Berlin war in den neunziger Jahren mit sich selbst beschäftigt, mit Ost-West-Spannungen und dem süßen Schrecken der Vereinigung. Wozu da noch Lateinamerika, Asien, Afrika?

Im Übrigen hatte sich der Kulturbetrieb im Westteil schon immer international verstanden. Dafür gab es, damals noch exklusiv, die Berliner Festspiele, die seit 1979 immer mal wieder ambitionierte, von Exotismus nie ganz freie „Horizonte-Festivals der Weltkulturen“ veranstalteten. Hier hat das HKW seinen Ursprung, man wollte den erweiterten Horizont fest installieren.

Danach passierte in dem Haus mit dem langen Namen lange Zeit nichts, was heute noch erwähnenswert wäre. Die fabelhafte Idee eines Zentrums der Weltkulturen in Berlin war implodiert. Erst mit dem Regierungsumzug änderte sich die Wahrnehmung. Kanzleramt und Parlament zogen in unmittelbarer Nachbarschaft des HKW ein. Und in Deutschland wuchs die Einsicht, dass die Globalisierung nicht an Westmitteleuropa vorübergeht. Kultur schien plötzlich ohne ökonomisch-politische Prozesse kaum mehr darstellbar: fast schon wieder eine Binsenweisheit, ohne die kein Biennale-, Documenta-, Film- oder Theaterfestival-Kurator mehr auskommt.

Nach Jahren leidenschaftlich betriebener und beschriebener Kulturpolitik, vom Schiller-Theater zur Opernstiftung, dominiert jetzt die Politikkultur, am liebsten immer im Weltmaßstab, von Kassel bis zur Berlinale. „Lettre international“ – die deutsche Ausgabe wurde 1988 gegründet, fast zeitgleich mit dem HKW – galt einmal als Avantgarde internationaler Intellektualitäten und Strategien. Längst ist die „Lettre“-Kultur im Mainstream angekommen. Ihre globale Ethnografie, ihre analytische Performance, ihre verschrobene Radikalität, die Rückkehr religionsorientierter Geschichtsbetrachtung – das Hintergrundrauschen der aktuellen internationalen Kunstproduktion. Publizisten, Künstlern und Kunstvermittlern geht es in einer durchmedialisierten Welt vor allem um eins: um die Durchbrechung der westlichen Zentralperspektive. Als sei der Kolonialismus des 19. Jahrhunderts erst jetzt richtig ins Bewusstsein getreten.

Was damals, im Vormärz 1989, eine Vision war, ein früher Versuch, Kulturen der Welt anders zu verstehen, ist im Jahr 2007 marktgängige Übung. Nun ist klar: Was mit dem Fall der Mauer begann und mit 9/11 nicht vorüber ist, hat den Kulturbetrieb in einem Maße aufgescheucht und verändert, wie man es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt hat.

Wenn nach einjähriger Renovierung am Dienstag das neue Haus der Kulturen der Welt wiedereröffnet wird, mit dem neuen Intendanten Bernd Scherer, steht es nicht mehr allein. Während sich die Berliner Festspiele weitgehend auf Europa konzentrieren, konkurrieren eine Reihe hauptstädtischer Kulturinstitutionen um die Ressource „Diskurs“ und „Dialog“. So lädt, ein Beispiel von vielen, Anfang November das Hebbel am Ufer, das sich unter der Leitung von Matthias Lilienthal zum HAU der Kulturen der Welt entwickelt hat, zu den „Meeting Points 5“: ein „multidisziplinäres Festival zeitgenössisscher Kunst, das zeitgleich in neun arabischen Städten stattfindet“. Im Dezember stellt das HKW, kuratiert von Catherine David, sein „Projekt Naher Osten“ vor. Rabih Mroué, ein Regisseur aus Beirut, wird dann in beiden Häusern arbeiten.

Sechs Jahre nach 9/11 und dem US-Angriff auf die Taliban, vier Jahre nach der von den USA angeführten Invasion des Irak beschäftigt sich der Kulturbetrieb mehr denn je mit dem Islam, der Chiffre für das Unbekannte, Verdrängte, Bedrohliche schlechthin. Wer befürchtet hatte, es handele sich bei dem Interesse am Orient um ein kurzlebiges Phänomen, sieht sich getäuscht. Vertiefen und Beharren gehört in einem Haus der Kulturen der Welt zur Arbeitsgrundlage.

Wie holt man sich die Welt ins Haus? So einfach geht das auch nicht. Das zeigt die schleppende Debatte um das geplante Humboldt-Forum im Zentrum der Hauptstadt. Auch dort soll einmal der universelle Geist wehen, museal verankert in den außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Eine schlagende Parallele: So wie der polyglotte Humboldt’sche Gedanke gebraucht wird, um die schlappe Schlosshülle zu beleben, erfüllt das HKW die funktionslos gewordene Kongresshalle mit interkultureller Aktivität. Die westliche Kultur genügt sich nicht mehr selbst. Orientalische Einflüsse gab es immer in Europa. Jetzt aber sind die Prozesse des Austauschs und der Grenzziehung selbst zum zentralen Thema der Zukunft geworden.

Eine Notwendigkeit, was sonst. Aber auch mit der Gefahr verbunden, dass Kunst und Diplomatie einander zu ähnlich werden. Was ist der berühmte Diskurs oft anderes als laue oder heiße Luft, zumal wenn falsche Rücksicht waltet (wie bei der vorübergehenden „Idomeneo“-Absetzung der Deutschen Oper) und man mit Traditionen wie der arabischen oder chinesischen zu tun hat, die von Höflichkeitsformeln und Gesichtswahrungsstrategien leben? Im Westen wird der Dialog der Kulturen gelegentlich überschätzt. Es ist manchmal produktiver, die kulturellen Unterschiede zu betonen und auszuhalten, wie in den transatlantischen Verhältnissen.

Bernd Scherer beginnt mit einer großen New-York-Schau. Das liegt nahe, und doch wieder nicht. Es wird zum einen daran erinnert, dass die Kongresshalle anno 1957 – vier Jahre vor dem Bau der Mauer, der Krieg der Systeme wurde allmählich kalt – eine Gabe der Amerikaner an West-Berlin war, ähnlich wie 1954 der Henry-Ford-Bau der Freien Universität und die Amerika-Gedenkbibliothek. Zum anderen zeigt das Haus der Kulturen der Welt ein New York der Migration, der ungebremsten Globalisierung. Auch eine Dritte-Welt-Metropole. New York, chaotisch wie Mumbai oder Schanghai. Amerika ist uns fremd geworden, bei vielen weckt es kaum mehr Sehnsucht, sondern Furcht. Vor einem halben Jahrhundert war die Kongresshalle – John F. Kennedy sprach hier bei seinem Berlin-Besuch – Symbol des Demokratie-Exports. Und das ist heute der entscheidende Punkt – ob das westliche Modell übertragbar ist auf orientalische Länder.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier und der Publizist Jeremy Rifkin werden im September die „Transatlantischen Gespräche“ eröffnen. Es schadet nicht, wenn das Haus am Rande des Regierungsviertels Kontakt zur Politik aufnimmt. Bisher herrschte da eher Distanz – auch wenn das Leitungspersonal des HKW sich stets aus den Reihen des Goethe-Instituts rekrutierte. Bernd Scherer ist, wie sein Vorgänger Hans-Georg Knopp, ein Goethe-Mann.

In der Münchner Goethe-Zentrale wird heftig über die Zukunft der auswärtigen Kulturarbeit debattiert. Wohin soll man gehen, wo soll man weggehen, wo die Anstrengungen verstärken? Das HKW in Berlin ist keine inländische Außenstelle des Goethe-Instituts. Aber es steht vor ähnlichen Fragen: Mit wem soll man reden, worüber, zu welchem Zweck? Auch Scherer zitiert gern die Humboldt-Brüder: den reisenden Alexander und den zu Hause lehrenden Wilhelm. Wird Berlin, in zehn oder zwanzig Jahren, sein HKW im Humboldt-Forum ansiedeln? Der Komplex der außereuropäischen Kulturen hat kräftige Wachstumsraten. Das HKW setzt im richtigen Moment zum Neustart an.

„Insbesondere aber soll gezeigt werden, warum die Griechen und Nichtgriechen in eine kriegerische Auseinandersetzung miteinander geraten sind.“ Der im Januar dieses Jahres verstorbene polnische Weltenentdecker und Reporter Ryszard Kapuscinski stellt diesen lapidaren Anfangssatz aus den antiken „Historien“ des Herodot ins Zentrum seiner Betrachtungen. Warum Krieg zwischen den Kulturen? Die Griechen, das sind wir. Der Westen. Woher die ewige Konfrontation? Eine schrecklich einfache Frage. Vielleicht können Kulturwissenschaftler und Künstler sie besser beantworten oder präziser stellen als Politiker und Militärs.

Das Haus der Kulturen der Welt ist vom Rand ins Zentrum geschoben worden, städtebaulich wie thematisch. Auch eine Form von Migration: Themen und Geschichten wandern, man kann sie auf Dauer ebenso wenig aussperren wie Menschen. Kultur war immer schon Konfliktbeschreibung. Zu sagen, dass HKW sei auch ein Haus der Kulturen der Weltkriege, ist hart und zu viel verlangt. Aber im Kern geht es darum.

Rüdiger Schaper

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