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© PETERSBILD

Haus der Kulturen der Welt: Luftschloss und Staatsbrücke

„Rasende Heimat“: China im Haus der Kulturen der Welt – und Japan im Tiergarten

Die Verheißung hängt in den Bäumen. Gemacht ist sie aus ein paar Latten, die Tadashi Kawamata roh und dennoch ästhetisch zusammengenagelt hat – wer sich die Baumhäuser des japanischen Künstlers näher anschaut, der entdeckt bald den stimmigen, formalen Rhythmus ihrer Kompositionen. Viel wichtiger aber ist das Versprechen, das diese Hütten in luftiger Höhe geben. Sie raunen von Freiheit und erzählen von Abenteuern aus Kindertagen. Bloß erobern lassen sich die „Tree Huts“ nicht. Kawamata zimmert keine Leitern, seine temporären Bauten bleiben unerreichbar. Und eigentlich sind sie auch ein Schwindel. Ohne ausreichend Raum in ihrem Innern, viel zu klein für Menschen und deshalb unbewohnbar. Aber das sieht man erst auf den zweiten Blick.

Über 400 solcher architektonischen Illusionen hat der Künstler in den vergangenen Jahrzehnten weltweit errichtet. Neun davon hängen nun im Tiergarten, in seinen Bäumen und an der Fassade des Hauses der Kulturen der Welt. Ein weiteres halbes Dutzend verteilt sich über die Säulen des Foyers. Und dann hat Kawamata noch die Bänke im Eingangsbereich mit splitternden Brettern vernagelt, so dass es sich garantiert unangenehm auf ihnen Flächen sitzt. Was er selbst mit seinen Hütten assoziiert, ist nämlich nicht halb so gemütlich: Mitte der Achtziger war der Künstler als Artist in Residence zu Gast in New York und schuf dort unter dem Eindruck der zahllosen Obdachlosen in ihren Pappverschlägen ein Projekt aus Kartons. Seine Objekte im Madison Square Park verschwanden damals allerdings genau so rasch, wie sie errichtet wurden. Als Konsequenz verlegte Kawamata seine Arbeit in die Luft.

In Berlin sind die „Tree Huts“ ein Teil der Veranstaltungsreihe „Rasende Heimat“ und als solche unter dem Hut der Asien-Pazifik-Wochen 2009 versammelt. Das Haus als stabiler Rückzugsort hat dort als Metapher längst ausgedient – zumindest in den Augen jener Künstler, die aus Metropolen wie Jakarta, Osaka oder Peking kommen. Aus Städten, deren Tempo gesellschaftlicher Veränderungen dem Begriff „Rasende Heimat“ konkreten Inhalt verschafft.

Diese Geschwindigkeit manifestiert sich auch in den Arbeiten, deren Thema bei Tadashi Kawamata eben nicht das romantische Refugium im Baum ist. Sondern die Auswirkung der Globalisierung auf Lebensgewohnheiten und den urmenschlichen Wunsch nach Schutz und Individualität, für die sein von Hand gemachtes Lufthaus eben auch steht. Kawamatas Arbeit wurzelt in der Streetart, seine „Tree Huts“ begreift er als plastische Skulpturen, die ebenso den Dialog mit ihrer Umgebung suchen wie mit den Menschen, die die fragilen „Berliner Baumhäuser“ in den Kronen entdecken. Ob sie im Tiergarten noch als jene „Nester des zivilen Ungehorsams“ funktionieren, wie sie das Haus der Kulturen beschreibt, sei dahingestellt. Schließlich brauchte der Künstler, der zweimal auf der Documenta in Kassel vertreten war, für jeden Baum eine offizielle Genehmigung. Dennoch irritieren sie, allein durch ihre Anwesenheit, und erinnern nicht zuletzt an jene Wohnungslosen, die man vor wenigen Wochen noch in den umliegenden Gewässern bei der täglichen Körperpflege beobachten konnte. Ihnen scheint Kawamata seine flüchtigen, fragilen Häuser zu widmen.

Wie ein Kontrast nimmt sich die zweite Ausstellung von „Rasende Heimat“ in der großen Halle des Hauses aus. Für „Götzendämmerung“ hat der chinesische Künstler Qiu Zhijie zusammengetragen, was ihm zur Geschichte der Nanjing- Yangtse-Brücke untergekommen ist: Fahnen, Propagandafilme und Postkartengrüße mit dem kitschigen Motiv eines Bauwerks, das seit Maos Zeiten für Fortschritt und höchste Ingenieurskunst steht. Zugleich aber hat sich die 1968 errichtete Brücke zur ersten Adresse unter Selbstmördern entwickelt. So schließen an den Ufern des Yangtse zwei Gegensätze auf – der unbedingte Glaube an die Moderne und die Verzweiflung jener, denen diese Zeit zu schnell und zu kalt geworden ist.

Zhijie, dessen Arbeiten in jüngerer Zeit ebenso auf der Shanghai-Biennale wie im Londoner Victoria & Albert Museum zu sehen waren, hat aus diesem Clash ein gewaltiges Bild gemacht. Zentrales Motiv sind die Bögen der Brücke und ihre gemauerten Zinnen an beiden Enden. Sie tauchen in der Ausstellung als riesige, hängende Quader auf, über denen Schuhpaare aus Pappmaché schweben. An den Wänden der Halle lehnen Spiegelobjekte in Form der Zinnen, auf denen Krähen sitzen. Und in der Mitte liegt ein Teppich aus aufgeschlagenen Büchern, deren Seiten vom Wind mehrerer Ventilatoren hin- und hergeblättert werden. Einige Bücher sind schwarz gefärbt, gemeinsam bilden sie ebenfalls die Silhouette der Brücke ab.

Ein schönes, poetisches Bild für die Leere, die diese überhöhte Inszenierung bloßer Architektur beim westlichen Betrachter hinterlässt. Dem kollektiven Bauwerk steht das individuelle Schicksal gegenüber, der puren Größe des Bauwerks die kleinen Schuhe der Selbstmörder. Komplett wird das Arrangement durch ein imposantes Schattenspiel. Und dennoch zündet Zhijies Ausstellung am Ende nicht. Zu disparat ist das Material, zu fremd auch der Kult, den Chinas Staat um die Brücke macht. Es lässt sich nüchtern nachvollziehen, empfinden kann man es nicht.

Haus der Kulturen der Welt, beide Ausstellungen bis 10. Januar.

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