zum Hauptinhalt
Klimawandel.

© REUTERS

Haus der Kulturen der Welt: Und der Mensch machte sich die Erde untertan

Das Haus der Kulturen der Welt beginnt sein auf zwei Jahre angelegtes „Anthropozän-Projekt“. Es will die Intuitionen von Ordnung und Unordnung dieser Welt neu kalibrieren.

Von Gregor Dotzauer

Bis zur Jahrtausendwende war das Anthropozän ein Gespenst. Ein paar Chemiker, Physiker und Geologen sahen es vielleicht schon durch eine sich erwärmende Welt geistern, die heute unter sieben Milliarden Menschen ächzt. Doch ihnen fehlte noch der Begriff für die dramatisch beschleunigten Wandlungen eines Planeten, der über 11 000 Jahre lang in einem ungewöhnlich stabilen erdgeschichtlichen Zustand verharrte: dem Holozän. Erst der Süßwasserbiologe Eugene Stoermer und der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Ozonspezialist Paul Crutzen gaben ihren Forschungen und ihrem Gefühl einen Namen. Das „Anthropocene“ war geboren. Schnell fand es Eingang in die scientific community, schaffte es zuletzt sogar auf die Titelseiten von „Economist“ und „Le Monde“-Magazin, setzte sich allerdings in der breiten Öffentlichkeit nicht durch.

Völlig rätselhaft blieb es noch in den Kinospots, mit denen das Berliner Haus der Kulturen der Welt für sein „Anthropozän-Projekt“ wirbt, das in den nächsten beiden Jahren durch alle intellektuellen und künstlerischen Disziplinen dekliniert wird. Wenn es aber weiter so anregend debattiert wird wie beim donnerstäglichen Auftakt mit über zwölf Stunden Vorträgen und Workshops, dann steht ihm auch hierzulande eine glänzende Karriere bevor. Einerseits ist das Anthropozän ein strikt geologischer Terminus, der noch – mit besten Chancen – darauf wartet, für wissenschaftlich verbindlich erklärt zu werden. Andererseits bündelt er einen Diskurs, unter dessen Dach viele, bisher oft getrennte Themen verhandelt werden: Ökologisches und Ökonomisches, Demografisches und Klimatisches, Politisches und Philosophisches, ja sogar Religiöses. Eine kompakte Einführung in englischer Sprache bietet ein Aufsatz von Haupteröffnungsredner Will Steffen, Paul Crutzen und anderen finden Sie unter hier.

Der Ruf nach fächerübergreifenden Fragestellungen gehorcht dabei nicht jener Mode, die Winfried Löffler treffend „Nice-to-know-Interdisziplinarität“ genannt hat. Man findet einander irgendwie interessant, spricht aber nicht dieselbe Sprache und geht wieder auseinander. Im Zeichen des Anthropozän wird die Überwindung von Wissensgrenzen überlebensnotwendig. Die starren Dualismen von Natur und Kultur, Objekt und Subjekt, Körper und Geist funktionieren nicht mehr, weil das Anthropozän die Idee einer Natur auflöst, die dem Menschen als Naturwüchsiges gegenübertritt. Sie wird in allem von ihm geformt und überformt. Indem die Natur künstlich wird, bekommt die Erde ein durch und durch menschliches Gesicht. An die Stelle der Biome sind, wie der Berliner Geologe Reinhold Leinfelder erklärt, Anthrome getreten. 90 Prozent der Pflanzendiversität gehen heute auf Zucht zurück, 90 Prozent der Biomasse gehören Haus- und Nutztieren. Oder bildhaft: Auf einen Tiger kommen 100 000 Hauskatzen.

Wir müssen aufhören, fordert der schwedische Umwelthistoriker Sverker Sörlin, uns eine Natur im Singular vorzustellen, die sich politischen Verhandlungen entzieht. Im Spannungsfeld widersprüchlicher Prognosen ist Natur selbst etwas Ungewisses geworden. Wir sind am Ende eines naturwissenschaftlichen Monopols, das darauf dringen kann, zuerst die Fakten zu erheben und dann über Werte zu reden. Denn während die Fakten weich geworden sind, haben sich die Werte verfestigt. Hätten, so Sörlin, um 1900 schon Computer zu Verfügung gestanden, die die Sozialdaten zur europäischen Industrialisierung einfach fortschreiben, so wären düstere Befunde entstanden. Die staatliche Wohlfahrtspolitik hat ihnen den Schrecken genommen.

Durch solche Prozesse sind, wie Jürgen Renn, Direktor der Berliner Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte, sagt, ganz neue Forschungsfelder entstanden, für die nicht mehr eindeutig Natur-, Geistes- oder Sozialwissenschaften zuständig sind. Insbesondere die Hermeneutik von Modellen steht heute zur Debatte. Was heißt es, sie zu interpretieren? Aus welchen Daten entstehen welche Narrative? Welche Faktoren lassen sich wie visualisieren? Wie sehr darf man Extrapolationen vertrauen?

Wolfgang Lucht, Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung und HU-Professor für Nachhaltigkeitswissenschaft, legt Wert darauf, dass sich die Zukunft der Erde nicht einfach aus Klimadaten berechnen lässt. Man kann höchstens Makrotrends kartografieren. So sicher ein massiver Artenverlust und eine Verödung von Landschaften bevorstehen, so fragwürdig ist die Behauptung, dass ein planetarer Temperaturanstieg von mehr als zwei Grad Celsius zwangsläufig in die Katastrophe führt. Selbst in Afrika könnten neue Grünflächen entstehen. Die Frage ist für ihn nicht, ob ein Weg zurück ins Holozän führt, das vielen als ein sicherer Menschheitshafen erscheinen mag, sondern welche sozialen und technischen Innovationen nötig sind, um mit den Konsequenzen einer auf Dauer umgestalteten Erde zu leben.

Dazu ist für Bernd Scherer, den Leiter des HKW, auch Mut zur Demut erforderlich: eine Einstellung, die die Phänomene des Anthropozän an eine dem Menschen angemessene Endlichkeit koppelt. Denn das Anthropozän ist, wie die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston weiß, auch anthropophobisch. Das heißt: Der Mensch, der angetreten ist, die totale Herrschaft über die Natur zu übernehmen, rückt mit jedem Schritt, den er in die Mitte des Geschehens tut, zugleich einen Schritt weiter an den Rand.

Die Drohung, dass die Krone der Schöpfung früher oder später aus eigener Schuld den Hut nehmen muss, ist seit den Diskussionen um die Grenzen des Wachstums vertraut. Doch die Dimension, in der sich die Gattung den Gefahren der Selbstauslöschung aussetzt, rechtfertigt es gerade mit Blick auf die Möglichkeiten, ihnen durch Erfindungsgabe und Anpassung zu entgehen, sie neu zu untersuchen. Denn das Anthropozän hat im Unterschied zu den Umweltdebatten der vergangenen Jahrzehnte, die vor allem auf Zerstörungs- und Verfallsszenarien beruhen, nicht die reine Konservierung des Bestehenden im Sinn.

Es geht dabei, wie die Literaturwissenschaftlerin Ursula K. Heise betont, nicht um die Rache der Natur, sondern um Geschichten wie die des red crowned parrot, eines aus Mexiko nach Kalifornien ausgewanderten Papageienvogels, der exemplarisch für die Annäherung einst strikt getrennter Lebensräume steht, für Zwangsumsiedlung im 19. Jahrhundert und spätere Migration. Eine vom Menschen unterstützte Anpassungsleistung, die auch an dessen eigene Fähigkeiten erinnert.

Lorraine Daston hat dem Publikum ein 200 Millionen Jahre altes Stück Granit von Cape Cod mitgebracht und eine 20 Jahre alte Floppy Disk. Zwei Objekte aus unversöhnlichen Weltzeiten, die für sie eine Allegorie dessen sind, was die Herausforderung des Anthropozän darstellt. Es geht darum, die Intuitionen von Ordnung und Unordnung dieser Welt neu zu kalibrieren.

Weitere Veranstaltungen am heutigen Sonnabend und Sonntag ab 11 Uhr. Infos: www.hkw.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false