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Spätzeit der Erde. Naturkatastrophen, sind sie heutzutage oft menschengemacht? Das Ausstellungsfoto zeigt einen Sturm vor der italienischen Insel Pantelleria, 2007.

© Armin Linke

Haus der Kulturen der Welt: Wir Weltuntergänger

Mit einem Ausstellungstrio beschließt das Berliner Haus der Kulturen der Welt sein Anthropozän-Projekt. "The Dark Abyss of Time" heißt die aktuelle Schau. Es geht um die Frage, was der Mensch dem Planeten Erde so alles antut.

Das Missverständnis hat eine lange Geschichte. Auch wenn im Haus der Kulturen der Welt (HKW) kein Turm gebaut wird und die Protagonisten auf den Projektionsflächen in der Ausstellungshalle ein sauberes Englisch sprechen, herrscht babylonische Verwirrung: Jeder hat seine Disziplin. Und seine Ansichten. Im Foyer geht es weiter, der bildgewaltige Teil kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im „Anthropozän-Projekt“ vorrangig um sprachliche Phänomene geht. Wie sonst ließen sich jene 90 Minuten erklären, die HKW-Direktor Bernd Scherer und sein beeindruckend vielköpfiges Team brauchen, um zur Eröffnung zu umreißen, was sie in den vergangenen zwei Jahren untersucht haben? „Das Anthropozän-Projekt: Ein Bericht“, steht denn auch über der gesamten Veranstaltung – wohlweislich nicht Ausstellung.

Das Anthropozän-Projekt fragt: Ist der jüngste Abschnitt der Erdgeschichte vom Menschen gemacht?

Drei Ausstellungen gibt es dennoch in der breit angelegten Bilanz, die bis Ende des Jahres auch ein Diskursprogramm und im November einen Campus für 100 junge Wissenschaftler aus diversen Disziplinen bietet, die sich wiederum auf Englisch gedanklich nähern sollen. Mehr lässt sich fürs Erste kaum tun. Die Aufgabe ist schlicht zu umfangreich: der Hypothese ein Gesicht zu geben, wonach der Planet aus dem Holozän und damit dem jüngsten Abschnitt der Erdgeschichte in ein „vom Menschen gemachtes Zeitalter“ geglitten sei. Ganz wie zu Beginn des Projekts, als in der Stadt zahllose Plakate mit weiß geschminkten Gesichtern hingen, über denen Fragen prangten wie: „Ist das Anthropozän schön?“

Eine Antwort darauf sucht man auch jetzt vergeblich. Die vorläufige Schlussveranstaltung bietet allenfalls Annäherungen, wie sie schon die früheren Ausstellungen „The Whole Earth“ oder „Forensis“ artikulierten. Die aktuelle Schau „The Dark Abyss of Time“ steht in derselben Reihe, wird ebenfalls von Anselm Franke als Leiter des Kunstsektors im HKW verantwortet und versammelt vor allem allerlei digitales Material, das vom Fleiß und der Neugier der Projektgruppe Anthropocene Observatory zeugt.

Klimawandel, Urbanisierung, darum geht es in zahlreichen Projektionen

Zwei Jahre lang hat sie weltweit mehr als 50 Institutionen aufgesucht und Wissenschaftler wie Politiker darüber sprechen lassen, was das Anthropozän für die Zukunft bedeutet. Welche Aufgaben der Umbau des Planeten mit sich bringt, den Klimawandel, Urbanisierung und der Abbau von Rohstoffen längst in Gang gebracht haben. Nun mag man Stunden im abgedunkelten Ausstellungssaal wandeln, von Projektion zu Projektion wechseln und den klugen Monologen der Interviewten lauschen. Oder sich fragen, was das alles noch mit einer vermittelnden Ausstellung gemein hat.

Die Vorgänger wurden immerhin noch von anschaulichem Material flankiert. Filmsequenzen, Dokumente und künstlerische Arbeiten wechselten sich ab. Diesmal erhebt allenfalls das Setting einen Anspruch auf Ausstellungsqualitäten. Der Aufbau der Projektionen im Raum, ihre Sichtachsen und die textile Qualität der Vorhänge, die so etwas wie Videoräume suggerieren, genügen aber nicht. Tatsächlich ließen sich all die Vorträge auch im Fauteuil oder in einem Kinosaal anschauen. Oder wäre das zu viel Bequemlichkeit mit Blick auf die drängenden Fragen der Zukunft?

Die größte Ausstellung in der Bilanz des „Anthropozän-Projekts“ enttäuscht, weil sie Teilhabe verspricht und nicht hält. Die benachbarte Schau von Adam Avikainen „CSI Department of Natural Resources“ versucht diesen Mangel auszugleichen, indem sie auf riesigen Leinwänden Ansichten aus dem nahen Tiergarten liefert. Der Künstler bildet sichtbare Strukturen ab und interpretiert sie malend in fiktionale Landschaften um. Unklar bleibt, aus welcher Perspektive man auf seine geologischen Formationen schaut, die plötzlich Figuren oder ganze Szenerien zeigen. Die dritte Schau „Medium Earth“, eine Untersuchung des Londoner Kollektivs The Otolith Group, ist ähnlich konkret. Akustische Aufnahmen aus kalifornischen Wüsten werden von Aufzeichnungen begleitet, in denen für Erdbeben sensibilisierte Menschen beschreiben, wie sie diese Erschütterungen im Voraus wahrnehmen.

Ihre Skizzen und Notizen erinnern an die originäre Aufgabe, der sich das HKW stellen muss – auch und gerade mit dem herkulischen Anspruch, eine Zukunft darzustellen, für die es bislang weder adäquate Bilder noch eine verbindliche Sprache gibt. Schade, dass nach den ungezählten theoretischen Diskursen der vergangenen Jahre hier nicht noch sichtbarer an der Praxis gearbeitet wird, bevor es ans Bilanzieren geht. Wer nicht innig mit dem Anthropozän-Projekt vertraut ist, kann kaum durchdringen, was das HKW hier aktuell leistet. Dabei müsste das Haus bloß auf sein Potenzial vertrauen und neben der wissenschaftlichen Arbeit den Austausch mit Künstlern forcieren, denen sinnliche Umsetzungen gelingen. Selbst wenn damit das nächste Missverständnis droht.

Bis 8. Dezember im Haus der Kulturen der Welt, Mi bis Mo 11–19 Uhr.

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