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Kultur: Hausfrauen im Blutrausch

Leander Haußmann inszeniert „Elektra“ am Berliner Ensemble

Wieder mal eine Orestie-Variation: Nachdem beim Theatertreffen Kriegenburgs Orestie-Polit-Kabarett und Castorfs Südstaaten-Blues über Eugene O´Neills „Trauer muss Elektra tragen“ zu sehen waren, ein Stück, das Konstanze Lauterbach bereits zu Beginn der Spielzeit am Deutschen Theater als bunten Folklore-Abend verkitscht hat, zeigt Leander Haußmann jetzt Hugo von Hofmannsthals „Elektra“ am Berliner Ensemble. Hofmannsthal psychologisiert die antike Tragödie. Seine Sophokles-Bearbeitung kappt das Motiv des Schuldzusammenhangs, in dem es keine Unschuldigen oder Schuldigen, sondern nur in den Automatismus der fortgesetzten Rache Verstrickte gibt. Bei Hofmannsthal stattdessen: Eine fiebernde, in sexuell aufgeladenen Mordphantasien delirierende Elektra, eine von Alpträumen zerfressene Klytämnestra. Ein Nachtsstück, „Elektra“ aus dem Geist einer somnambul überreizten Jahrhundertwende, die Rächerin als todessüchtiges Dekadenz-Gespenst. Eine „exakte Blutraserei mit Stil“ hat das Alfred Kerr bei Max Reinhardts Uraufführung vor ziemlich genau hundert Jahren spöttisch genannt.

Bei Leander Haußmann ist von der Blutraserei wenig, von Stil und Exaktheit nichts übrig geblieben. Steffi Kühnert, eine Schauspielerin von sehr herbem Charme und trockener Komik, bleibt als Elektra noch in den grauenvollsten Wahnzuständen eine patent bodenständige Erscheinung. Klytämnestra, ihre Mutter, die den aus den Krieg heimkehrenden Vater vor zwanzig Jahren ermordet hat, begegnet diese Elektra mit Ironie und trockenem Spott. Kein fiebriges Aus-der Welt-Stürzen, kein den Verstand zerreißendes Entsetzen, stattdessen: Berliner Hinterhof-Chuzpe. In der Begegnung der Protagonistinnen zitiert die Inszenierung die Entstehungszeit von Hofmannsthals Bearbeitung: Eine Tafelszene wie im gutbürgerlichen Salon. Klytämnestra (Silvia Rieger), die Herrin des Hauses, ist keine irr-redende, archaische Herrscherin, sondern eine großbürgerliche Diva, die es noch einmal mit der missratenen Tochter versucht. Das könnte komisch sein, wenn Haußmann nicht dauernd die szenischen Mittel verrutschen würden. Gerade scheint sich die Szene noch über Hofmannsthals leicht gestelztes Pathos lustig zu machen – da färbt sich das Tischtuch blutrot, eine effektselige Überbietung der blutigen Reden der beiden Tischdamen. Später wird das Gründerzeit-Porzellan von Blut überlaufen und Asche aus der Blumenvase fallen. Dieses zufällig und unsicher wirkende Pendeln zwischen Ironie und Pathos, zwischen Kalauern und abgestanden erhabenen Tonfällen prägt die gesamte Inszenierung. Der erste Auftritt: Kühnert beklagt mit monotoner Grabesstimme den ermordeten Vater – und plötzlich spricht einer aus dem Chor der alten Diener im Falsett. Die Rückkehr des Bruders Orest, der den ermordeten Vater rächen wird: Plötzlich steht, niedlich, niedlich, ein kleiner Junge auf der Bühne. Das ist lustig, vielleicht sogar poetisch – und verpufft als leerer Effekt sofort. Das ist das Problem mit Haußmanns Einfällen: Sie erzählen nichts und haben nur eine Halbwertzeit von Sekunden. So entstehen keine Figuren, sondern Ansammlungen von Posen – selbst bei zwei so fraglos starken Darstellerinnen wie Silvia Rieger und Steffi Kühnert. Eine Ausnahme ist Annika Kuhl in der Rolle von Elektras Schwester Chrysothemis, ihr gelingen berührende, auf naive Weise wahrhaftige Momente.

Am Ende des Abends bleibt vor allem das Rätsel, was die BE-Dramaturgen geritten haben mag, ausgerechnet Leander Haußmann, dem charmanteste Luftikus des deutschen Theaters, mit einem derart düsteren Stück das Leben schwer zu machen.

Wieder am 30.5.

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