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Gott sieht rot. Wotan (Tuomas Pursio) im „Rheingold“, Regie: Rosamund Gilmore. Foto: dpa

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Kultur: „Heil Leipzig, meiner Vaterstadt“

Der „Ring“, zwei Ausstellungen, ein Denkmal: Wie Wagner an seinem Geburtsort gefeiert wird.

Leipzig, das ist die Stadt Johann Sebastian Bachs. Wie ein Gebirge überragt der Thomaskantor alles in der sächsischen Musikmetropole, in der die Nachfahren seiner Chorschüler mit gestärkten Kragen durch die Frühlingssonne eilen. Auch die Romantiker trafen sich in Leipzig, im „Haus zum arabischen Coffe Baume“, im Alten Gewandhaus. Schumann und Mendelssohn Bartholdy publizierten, diskutierten und musizierten hier.

Der große eingeborene Sohn der Stadt hingegen, weltweit verehrt, geliebt und gehasst, hatte es schwer, hier ganz angenommen zu werden. Das soll sich zum 200. Geburtstag ändern. „Richard ist Leipziger …“ hat sich der örtliche Wagner-Verband auf seine Flyer geschrieben, während sich die Leipziger Wagner-Stiftung mit Urenkelin Nike einer prominenten Fürsprecherin versichert: „Die Stunde Leipzigs ist gekommen. Mit dem Jubiläumsjahr 2013 muss es gelingen, dass auch Leipzig als deutsche Wagner-Stadt angesehen wird.“ Das Leitmotiv: Der magische Dreiklang der Wagner-Orte Bayreuth, Venedig und Leipzig möge nimmer verhallen.

In Sachsen will man vollenden, was kurios und vielsagend liegen blieb. Zum 200. Geburtstag soll Wagner ein Denkmal erhalten, dessen Grundstein bereits zum 100. gelegt wurde. Nicht nur der Erste Weltkrieg verhinderte die Fertigstellung der Entwürfe von Max Klinger. Später scheiterten die Nazis mit ihrem monumentalen Versuch, „den deutschen Geist“ (Wagner über Wagner) zu ehren. Zurück blieben Fragmente, Bruchstücke und Versprengtes aus Gips, Marmor oder Bronze, dokumentiert in der Ausstellung „Wagnerlust & Wagnerleid“ im Stadtgeschichtlichen Museum (bis 26.5.).

Klingers Sockel hat die Irrungen des Jahrhunderts überdauert. Den Marmorblock zieren drei nackte Damen als aufreizende Zutaten zu Wagners Gesamtkunstwerk : Musik, Dichtung, Schauspiel. Vielleicht handelt es sich aber auch um die Rheintöchter. Hinter ihnen erhebt sich ein Plattenbau, der unter anderem das Jobcenter der Stadt, das Team „Bildung und Teilhabe“ beherbergt. In diese Blickachse will der Bildhauer Stephan Balkenhol den jungen Wagner in Lebensgröße auf den vom Volksmund „Pornowürfel“ getauften Klinger-Sockel stellen. Dahinter montiert er einen gewaltigen Schlagschatten, der Nachwirkung und Mythos verkörpern soll – die Einweihung steht am 22. Mai auf dem Kalender (9.30 Uhr). Das Denkmal am Promenadenring, unweit von Wagners Geburtshaus am Brühl 3, soll auch ersetzen, was Leipzig nicht mehr besitzt. Das Haus zum Roten und Weißen Löwen, in dem der Komponist am 22. Mai 1813 das Licht einer Welt im Kriegszustand erblickte, wurde 1886 abgerissen. Auch die Oper versucht, an ein Leipzig-Erbe anzuknüpfen: 1878/79 war die Stadt Schauplatz der ersten „Ring“- Aufführung außerhalb Bayreuths. Schulden hatten Wagner zur Zustimmung gedrängt, später telegrafierte er dem Impresario Angelo Neumann: „Heil Leipzig, meiner Vaterstadt, die eine so kühne Theaterdirektion hat!“

Von 1973 bis ’76 inszenierte Joachim Herz gegen viele Widerstände seinen „Jahrhundert-Ring“ am Augustusplatz, nun treibt Intendant und Generalmusikdirektor Ulf Schirmer ein neues Nibelungen-Abenteuer voran. Zur Regisseurin hat er Rosamund Gilmore erkoren, die Gründerin der Laokoon Dance Group. Verschlungen geht es auch los mit dem Leipziger „Rheingold“: Tänzer bevölkern als „mythische Elemente“ eine Bühne, der mit einiger Anstrengung Ewigkeitscharakter eingehaucht werden soll. Dabei läge mit Auerbachs Keller der ideale „Ring“-Raum nur wenige hundert Meter entfernt. Hier wird seit Urzeiten über die eigenen Verhältnisse gelebt – und die Beleuchtung erinnert sogar ein bisschen ans Festspielhaus in Bayreuth.

Reflexives, gar Wirkungslinien Nachzeichnendes findet in Gilmores Regie kaum Platz. Schließlich müssen die Tänzer beschäftigt werden, und sei es als Wischtrupp, der das verkleckerte Rheinwasser von der Bühne wringt. Man erkennt einen Wunsch nach Leichtigkeit am Vorabend zum großen Bühnenfestspiel, nach bonbonbuntem Theatertreiben ohne die Last des Mythos. Sollen sich andere daran abarbeiten, etwa die Künstler Lüpertz, Kiefer und Meese, die ihre Wagner-Beiträge in der Klinger-Villa am verträumten Elsterbecken zeigen (bis 7. Juli). „Kack Esoterik verpiss dich“, skandiert Meese in dickem Öl, während Henning von Gierke bei seiner Rauminstallation „Fundstellen Archäologie“ im geöffneten Erdreich der „Rheingold“-Senke zielsicher die Entsagung herauspräpariert.

So knackig geht es im Opernhaus leider nicht voran, auch wenn Schirmer im Graben dem edel timbrierten Gewandhausorchester Schärfen abtrotzt, die als Handlungsmotor durchaus zu gebrauchen wären. Trompeten schneiden in „das Wiegenlied der Welt“, aufwachen will trotzdem keiner, schon gar nicht der desorientiert Grimassen schneidende Göttervater Wotan (auch stimmlich nicht ganz sicher: Tuomas Pursio). Sein unsauber finanzierter Ruhesitz sieht aus wie die unteren Etagen des Turmbaus zu Babel. Da wäre selbst ein Modell der Elbphilharmonie beziehungsreicher gewesen. Die Rheintöchter sind harmlose Zicken (wenn Klinger das sehen könnte!), der nach ihnen gierende Alberich bietet sein Gemächt feil und wandelt sich zum ohnmächtig Gold raffenden Kapitalisten.

So wird überdeutlich, was ohnehin jeder sieht, und unsichtbar, was sonst noch sein könnte. Selbst Loge, den flammend umherschweifenden Halbgott und Spielmacher, trifft der Fluch von Gilmores Zeige- und Verberge-Arrangement, auch wenn Thomas Moor erkennen lässt, wie faszinierend und klug Wagner-Gesang sein kann. Der Einzug der Leipziger Götter nach Walhall klirrt wie ein später Frosteinbruch im Frühling.

Oper Leipzig. Wieder am 18. 5., 8. + 16.6. Infos: www.richard-wagner-leipzig.de

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