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Kultur: Heil Lore! Heil Susi! Heil Anneliese!

Sie sind zusammen zur Schule gegangen.In Ulm.

Sie sind zusammen zur Schule gegangen.In Ulm.Auf den ersten Klassenfotos sind sie zehn Jahre alt, später vielleicht 14.Natürlich liebe sie Ulm, sagt eine heute über 70jährige Frau, und die Donau auch, aber vor den Menschen habe sie noch immer Angst.

Irgendetwas muß Lore, Susi, Fanny, Anneliese und die anderen damals auseinandergebracht haben.Dabei war alles so schön zuerst.Wie sie hinter den Fenstern standen und Tausende Fackeln sahen in den Straßen.Nie hat Ulm so geleuchtet, nicht mal Weihnachten.Klar, man mußte plötzlich auch komische Sachen machen wie zum Beispiel "Heil Hitler!" rufen.Das sollte "Guten Tag!" bedeuten.Aber "Heil Hitler!" sei eigentlich viel lustiger gewesen.Sie hätten sich dann öfter so begrüßt, Füße zusammen, Arm schräg nach oben geschnellt: "Heil Lore!" - "Heil Susi!".Daß die Juden schlimm seien, hätten sie natürlich auch gehört.Aber dafür haben sie Fanny aus ihrer Klasse dann immer gleich getröstet: "Na, du doch nicht, Fanny, du bist doch nicht gemeint!" So war das am Anfang.

Am Ende des Films stehen alle noch einmal zusammen.Ein Klassenfoto wie vor sechzig Jahren.Ja, sie gingen zusammen zur Schule wie andere Kinder auch.Nur daß die einen plötzlich nicht mehr mit ins Kino gehen durften und ins Schwimmbad auch nicht.Und was fühlt man, wenn die beste Freundin plötzlich vor einem ausspuckt? - Sibylle Tiedemanns und Ute Baduras eindrücklicher Dokumentarfilm holt die Augenblicke zurück, als die Kinderwelt auseinanderbrach.Er tastet die Bruchlinien ab.

"Es läuft sich auch besser im Gleichschritt, mit Singen, man wird nicht so müde und keiner trottet hinterher!", sagt eine Frau und ist wieder das BDM-Mädchen von einst.Nur daß man das Vernichtende dieses Tritts heute gleich mitspürt.Nichts anderes ist historische Erfahrung.Erfahrung, also ein Zwischenreich von Gedanke und Gefühl, beide verändernd.Diese Frau ist dem BDM-Mädchen, das sie einmal war, nie wirklich begegnet."Auf alles konntest du stolz sein damals!" Ungebrochene Erinnerung.Und Fanny? "I wär au gern i so aner Uniform rumglaufe, you know?" Dieses Amerikanisch zu hören, in dem Satzfetzen von reinstem Schwäbisch irrlichtern - mehr läßt sich nicht mitteilen über Fremde und Heimat, über Heimat und Fremde.

"Kinderland ist abgebrannt" ist gemacht aus den Erinnerungen der alten Frauen, aus alten Fotos und Filmen.Er brauchte nicht mehr.

Im Klick; auch in den Hackeschen Höfen (dort heute nach der 20-Uhr-Vorstellung Gespräch mit den Regisseurinnen)

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