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Kultur: Heiliger Krach

ALL THAT JAZZ Christian Broecking über die Ankunft eines OstHeroen im Westen Während im norddeutschen Salzau am kommenden Wochenende das „Jazzbaltica“-Festival über die Bühne geht, gibt es in Berlin eine ganz besondere Festivalpremiere. Im Kesselhaus findet von Freitagabend bis Sonntagfrüh das Internationale interdisziplinäre Sergey-Kuryochin-Festival statt.

ALL THAT JAZZ

Christian Broecking über die

Ankunft eines OstHeroen im Westen

Während im norddeutschen Salzau am kommenden Wochenende das „Jazzbaltica“-Festival über die Bühne geht, gibt es in Berlin eine ganz besondere Festivalpremiere. Im Kesselhaus findet von Freitagabend bis Sonntagfrüh das Internationale interdisziplinäre Sergey-Kuryochin-Festival statt. Kuryochin war der führende russische Crossover-Musiker der Achtzigerjahre. Er starb 1996 im Alter von 42 Jahren, seitdem gibt es in seiner Heimatstadt Sankt Petersburg das ihm gewidmete Festival. Im Januar 1997 organisierte der Cellist Boris Rayskin das erst Kuryochin-Festival in New York, in zwei Jahren soll die Veranstaltung auch in Paris stattfinden. Bei einem seiner letzten Berlin-Besuche sprach Kuryochin auch über seine Arbeitsweise. „Auf mein Programm konzentriere ich mich drei Tage vorher, ich spiele nie dasselbe. Alles kann sich kurzfristig ändern, wie im richtigen Leben.“ Die wesentliche Veränderung, seitdem Leningrad wieder Sankt Petersburg heißt, war für ihn, dass die Grenzen geöffnet wurden. Die anderen Veränderungen waren für ihn kaum übersetzbar: „Wir wissen nichts über die Zukunft unseres Landes, wir kennen kaum die Namen der fast monatlich wechselnden Regierungsmitglieder, wir wissen nichts über die Mechanismen der Macht. Wir spüren, dass sich das Leben ändert. Täglich.“

So war das für Kuryochin 1994: eine Zeit voller Fragen und Veränderungen. „Früher war es für uns Künstler das Wichtigste, mal nach Europa, Amerika oder Japan reisen zu können, um dort Erfahrungen zu machen und auszutauschen. Jedoch brauchte man früher als Künstler bei uns kaum Geld, jetzt verdient man nichts mit Kunst. Das hat alles mit der Frage zu tun, was die Lebensqualität ausmacht. Ist es denn wirklich so wichtig, das schnelle Geld zu machen, um nach Hawaii fliegen zu können?“ In den letzten Jahren arbeitete Kuryochin hauptsächlich als Schauspieler und Filmmusikkomponist. Früher wollte er unbedingt ein Jazzmusiker werden. Das gab er auf, nachdem er Platten von Sonny Clark und Thelonious Monk gehört hatte. „Ich weiß analytisch über ihre Musik Bescheid, und ich hätte auch technisch kein Problem damit“, resümierte er, „nur: Ich werde nie so swingen können wie sie. Die Schwarzen haben Recht, wenn sie von Great Black Music sprechen. Und ich bin ein Russe und habe aufgehört, ein Jazzmusiker zu werden.“ Kuryochin wollte nicht einsehen, dass man als Avantgardekünstler nicht mehr über die Melodie sprechen darf. „Die russische Klassik, gemischt mit ein wenig Provokation, das ist meine Welt. Man müsste heute in einem kleinen Dorf leben, abseits der Welt, um die kleinen, zerbrechlichen Melodien noch spielen zu können.“

Das Kuryochin-Festival im Kesselhaus beginnt Freitag um 18 Uhr, zwischen 4 und 19 Uhr ist Siesta, und Sonntagfrüh so gegen 5 Uhr ist Schluss. Zwischen Punk-Jazz und Avantgardebands aus Sankt Petersburg gibt es Auftritte von John Cale (Fr, 23.15 Uhr), Peter Brötzmann (Sa, 21.30 Uhr) und Fred Frith (Sa, 22.30 Uhr). Weiter Highlights der Woche: Heute spielt Eddie Palmieri im Quasimodo (22 Uhr) High Energy Latin Jazz mit New York Spirit, und im Tränenpalast startet morgen die Sommerkonzertreihe Blue Nites mit einem Sechs-Wochen-Mix aus World, Latin, Brasil und Jazz (20 Uhr).

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