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Kultur: Heiliges Haschisch

Eine

von Marius Meller

Mache sich nur niemand leichtfertig lustig über das Schweißtuch der Veronika, über die Sandalen Jesu in Prüm, SEINE Windel in Chartres, SEINEN heiligen Rock in Trier, SEINE Haare und Fingernägel, SEINE Nabelschnur, SEINE Vorhaut etceteraetcetera in unzähligen Altären des katholischen Erdenkreises. Mache sich nur niemand lustig über all das Reliquiengewese, das Luther rabiat als Teufelszeug beiseite fegte, und von dem man heute postmodern-ironisch durchgezwirbelt in Horst Herrmanns „Lexikon der kuriosesten Reliquien – vom Atem Jesu bis zum Zahn Mohammeds“ erfährt (Rütten & Loening, 9,90 €), oder aber religionswissenschaftlich-seriös in „Heilige und Reliquien“ von Arnold Angenendt (C. H. Beck, 19,90 €). Denn wir leben in unseren poppigen Zeiten in einer Hochphase des Reliquienkults! Vergleichbar allenfalls mit den Tagen Kaiser Konstantins, dessen Mutter um 325 post Christum natum das heilige Marterkreuz von Jerusalem nach Rom bringen ließ, splitterweise verkaufte und dabei so wundersam vermehrte, dass der große Erasmus von Rotterdam später frech behauptete, aus all den heiligen Holzstückchen hätte man gewiss ein ganzes Schlachtschiff erbauen können.

In London steht zurzeit das Taufkettchen John Lennons zur Versteigerung, sowie ein Schulheft, in das der hoch begabte 12-Jährige Zeichnungen kritzelte. 350 000 Euro Erlös werden erwartet. Das Haschischdöschen des zum Beatle gereiften Genies kam schon vor einigen Jahren unter den Hammer, wie auch verschiedenerlei Haarlocken des mitunter hippiehaft ungepflegt herumlaufenden Ausnahmemusikers. Auch Haarlocken von Elvis Presley und Bob Dylan werden bereits reliquiengleich von stolzen Besitzern gehütet, so wie auch abgespielte Mundharmonikas des Letzteren. Hippie-Legende Jerry Garcia, Kopf der Grateful Dead, besaß einst ein rosarotes Klosett, das bei einer Versteigerung immerhin 2550 Dollar brachte – und letzte Woche gestohlen wurde. Aber auch Heroen wie Beethoven und Goethe sind haarlockenmäßig immer wieder im Angebot.

Kurz und gut: Die Moderne scheint sich hinsichtlich der Reliquienverehrung kaum von früheren Epochen zu unterscheiden. Nur dass an die Stelle der Anbetung des Heiligen die Verehrung des Berühmten getreten ist. Der Unterschied? Säkulare Reliquien wirken keine Wunder. Oder vielleicht doch? Was wäre, wenn zum Beispiel George W. Bush einmal den grünen Libanesen aus John Lennons Haschischdöschen probierte? Zweifellos ein Wunder, das selbst die Ungläubigen zum Beten brächte.

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