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Kultur: Heim ins Dorf

Karg und streng: Nuri Bilge Ceylans „Bedrängnis im Mai“ übt sich in der Ästhetik des iranischen Meisters Kiarostami

Wenn bei uns von Anatolien gesprochen wird, dann ist meist vom „hintersten Anatolien“ die Rede. Und während Berta Normalberlinerin bei diesen Stichworten vielleicht Hammelfüße und Kopftuchträgerinnen am inneren Auge vorbeiparadieren lässt, assoziieren Cineasten wohl eher die öd verschneiten Berglandschaften, die uns die klassischen türkische Regisseure der letzten Generation als Erbe vermacht haben.

Eine einprägsame Kulisse. Auch die Kleinstadt – oder ist es ein großes Dorf?–, in der Nuri Bilge Ceylan seine „Bedrängnis im Mai“ ansiedelt, liegt in Anatolien. Doch die freundliche Hügellandschaft könnte gut auch ein zentraleuropäisches Mittelgebirge sein. Selbst die Probleme sind ähnlich: Die lichten Laubwälder der Hügel sollen abgeholzt werden. Den meisten im Dorf scheint das egal, weil sie mit wichtigeren Dingen beschäftigt sind. Nur ein alter Mann ist besessen von dieser Bedrohung, denn er lebt räumlich und seelisch mit dem Wald.

Eines Tages bekommt der alte Mann Besuch von seinem Sohn – der lebt als ambitionierter Filmregisseur in Istanbul, hat jedoch nicht einmal das Geld für Schauspielergagen. Auch der Istanbuler Filmregisseur Nuri Bilge Ceylan hat seinen Film mit bescheidenen Produktionsmitteln gedreht, doch künstlerisch ist er auch international längst kein Unbekannter mehr. 1997 war sein Spielfilmdebüt „Kasaba“ in Berlin auf dem Forum zu sehen; sein jüngster Film „Uzak“ wurde unlängst in Cannes mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Nun bringt das fsk-Kino mit leichter Zeitverzögerung jenen Film ins Kino, der die beiden genannten Werke wie ein Scharnier verbindet. Schon „Kasaba“ verführte sein Publikum mit einer ähnlichen Dorflandschaft, damals noch in malerischem Schwarzweiß. Und mit „Uzak“ verbinden „Mayis Sikintisi“ (wie „Bedrängnis im Mai“ im Original heißt) nicht nur die beiden Hauptdarsteller, sondern auch zentrale Elemente der Handlung, der man – auch dort geht es um einen mittelalten Filmemacher mit künstlerischer Ambition – autobiografische Bezüge zumindest unterstellen darf. Dabei ist Ceylans filmisches Alter Ego, gespielt von Muzzafer Özdemir, wahrlich kein Sympathieträger. In „Bedrängnis im Mai“ kehrt der noch recht unbedarfte Regisseur für ein Filmprojekt in seine ländliche Heimat zurück und drängt den dortigen Freunden und Verwandten aufdringlich sein Künstler-Ego auf. Aus Geldmangel werden die Eltern als Darsteller engagiert, die sich widerwillig in ihre Rollen fügen.

Zwischendrin trägt ein kleiner Junge ein rohes Ei umher. Sonst passiert nicht viel. Und es sei hier nicht verschwiegen, dass einige Kollegen die Pressevorstellung vorzeitig verließen, weil die vielen ruhigen – und manchmal doch zu redseligen – Einstellungen allzu heftig an ihrer professionellen Ungeduld zerrten. Die Berichterstatterin ist geblieben, wenn auch nicht mit heißem Herzen, und hat redlich nachgegrübelt. Denn auch dieser Film wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet und – etwa in der US-Presse – zum Teil enthusiastisch gefeiert.

Immer wieder fällt dabei vergleichsweise der Name von Abbas Kiarostami: die Film-im-Film-Geschichte, ähnlich auch die Kargheit der ästhetischen Mittel. Doch die Parallele stimmt nur an der Oberfläche. Denn der Kurzschluss des Unscheinbaren mit den großen Lebensfragen, der bei Kiarostami immer wieder so betört, bleibt hier uneingelöstes Postulat. Auch der lakonische Humor des iranischen Meisters scheint in einigen Episoden mehr schlecht imitiert als wirklich aufgehoben. Irgendwann verfestigt sich das traurige Gefühl, dieser Film sei vielleicht vor allem das Ergebnis eines allzu eifrigen Nachfolgeversuchs in Richtung cineastischer Größe. Doch die Schuhe passen – noch – nicht. Und. Regisseur Nuri Bilge Ceylan ist seinem eitlen Helden vielleicht näher, als er und wir es uns wünschen mögen.

fsk am Oranienplatz (OmU)

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