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Starke Stimmen. Die von Ante Bagaric (2. v. r.) geleitete Klapa gehört zu den 13 Chören und Gruppen, die bei den „Heimatliedern“ mitwirken.

© Robert Sokol

Heimatlieder: Du klingst so wunderbar, Berlin

Gastarbeiter brachten neue Lieder in die Stadt. Diese Volksmusik sammelt das Projekt „Heimatlieder aus Deutschland“. Eine Spurensuche.

Volksmusik liegt gerade stark im Trend. Deutsche Volksmusik wohlgemerkt. Gemeint ist dabei nicht der pappige Frohsinn, den die Amigos und Florian Silbereisen im „Musikantenstadl“ verbreiten, sondern echte volkstümliche Musik, die im Angloamerikanischen Folk heißt. Aktuell läuft im Kino der Film „Sound of Heimat“, der auf die Suche nach dieser deutschen Folkmusic geht und zeigt, zu welcher Kunstfertigkeit es Jodelgruppen im Allgäu oder Wirtshausblaskapellen im Bayrischen bringen können.

„Alle reden gerade wieder von deutscher Volksmusik“, findet auch Jochen Kühling, fügt aber hinzu: „Dennoch findet die volkstümliche Musik von in Deutschland lebenden Migranten wieder nicht statt. Dabei ist diese Musik schon seit fünf Jahrzehnten hier.“ Genauso wie plötzlich neu erkannt wird, wie berührend Weihnachtslieder aus dem Erzgebirge klingen können oder Zithermusik aus Süddeutschland, will Kühling im Rahmen seines vom Hauptstadtkulturfonds unterstützten Projekts „,Heimatlieder’ aus Deutschland“ die musikalischen Schätze der hier lebenden Migranten bergen und diese raus aus den diversen Kulturvereinen holen.

13 Chöre und Gruppen mit Migrationshintergrund aus Ländern, mit denen die BRD oder die DDR einen Anwerbevertrag für Gastarbeiter geschlossen hatten, hat er bereits aufgenommen. In mehrmonatigen Recherchen hat er sie gefunden, in Folklore- und Kulturvereinen. Alles Laiengruppen, aber von der Qualität, auf die er überall gestoßen ist, kann Kühling, der einmal ein deutschtürkisches Musiklabel betrieben hat und als Musikproduktionsleiter arbeitet, gar nicht genug schwärmen. „Manche dieser Gruppen könnten“, so meint er, „richtig Geld verdienen mit der Musik, die sie machen.“

Die Aufnahmen werden gerade fertigproduziert und demnächst im Netz unter www.heimtaliederausdeutschland.de zu hören sein. Als nächstes entstehen Remixe von sämtlichen Stücken, von DJs, die möglichst selbst einen Migrationshintergrund haben. Und im Juni nächsten Jahres treten alle Beteiligten gemeinsam in der Komischen Oper auf.

Ante Bagaric ist begeistert von Kühlings Initiative. Er ist Mitte 30 und leitet eine kroatische Klapa-Formation. Klapen singen mehrstimmig und A-Capella. „Würden wir auf deutsch singen“, so Bagarik, „klängen wir wie eine Mischung aus den Comedian Harmonists und Die Prinzen.“ In Kroatien ist der Klapengesang ein ganz großes Ding, so mancher Klapa-Sänger wird dort verehrt wie ein Popstar. Ante Bagaric hat in Deutschland Musik studiert, ist bewandert in allen musikalischen Formen zwischen Pop und Klassik.

Vor sieben Jahren stieß er auf die Klapa-Musik, die vor allem in kirchennahen kroatischen Vereinen in Berlin gepflegt wird. „Dabei spreche ich besser Deutsch als Kroatisch und bin eher mit der Musik der Neuen Deutschen Welle aufgewachsen“, sagt er. „Ich weiß noch genau, wie ich im Treppenhaus immer ,Sternenhimmel’ von Hubert Kah gesungen habe.“

Bagaric ist mit seiner Klapa bereits vor dem kroatischen Staatspräsidenten aufgetreten und in der kroatischen Botschaft in Berlin, doch die Teilnahme an Kühlings „Heimatlieder“-Projekt hält er für „mit das Größte, was wir bisher hatten.“ Weil seine Klapa-Combo plötzlich den Weg raus aus der kroatischen Kommune in Berlin findet. „Wir sind gerade dabei, etwas Eigenes zu schaffen, die Musik der Eltern mit dem Leben in Berlin zu verbinden“, erklärt er.

„Die Idee ist“, so Initiator Kühling, „die Folklore der hier lebenden Leute mit den unterschiedlichen Migrationshintergründen zu zeigen“. Und der Migrationsforscher Mark Terkessidis, der Kühling beratend zur Seite steht und auf dessen Idee das Projekt zurückgeht, ergänzt: „Dabei soll gesagt werden, dass das jetzt auch deutsche Musik ist.“ Die Liedersammlung soll verdeutlichen, dass die hier lebenden Italiener, Spanier oder Griechen eigene, schöne Volksweisen mitgebracht haben. Und dass die hier lebenden Südkoreaner gar nicht unbedingt eine für hiesige Ohren schwer verständliche Musik aus ihrer Heimat importiert haben, die mit bizarr anmutenden fremden Instrumenten intoniert wird, sondern eine, die, so Kühling, „ein wenig klingt wie Beethoven mit südkoreanischen Lyrics.“

Ausgerechnet an den Nationalkomponisten der Deutschen hat er jedenfalls denken müssen, als er auf einen südkoreanischen Chor gestoßen ist, den er für Aufnahmen in ein Kreuzberger Studio geholt hat. Jochen Kühling kann unzählige solcher Geschichten erzählen, davon, wie sehr er selbst davon überrascht war, welche Musiktraditionen in den migrantischen Kommunen Berlins, also direkt in seiner Nachbarschaft, denn wirklich gepflegt werden.

Es geht um Erinnerung und Traditionspflege bei Kühlings Projekt, das vor allem von einer entscheidenden Frage angetrieben wird: Welche Bedeutung hatte die Musik ihrer Heimat für die ins fremde Deutschland eingewanderten Gastarbeiter? Kühling will sie hören, die Lieder, ob fröhlich oder traurig, die für die Neuankömmlinge in Deutschland ein Stück bewahrte Heimat bedeuteten, die eine Brücke schlugen zwischen altem und neuem Leben. „Gesungen wurden dabei“, so Kühling, „nicht irgendwelche Hymnen, sondern regionale Lieder, die man halt kannte.“

Außerdem interessiert den „Heimatlieder“-Organisator wie die zweite Generation, die Gastarbeiterkinder, die musikalische Heimatverbundenheit ihrer Eltern in der Diaspora fortführt. Wie gehen die hier Geborenen mit den Liedern ihrer Eltern um, die für sie vielleicht noch schön klingen, aber wohl nur noch entfernt so etwas wie ein Heimatgefühl transportieren?

Und letztlich ist das Projekt auch ein Experiment, das überraschende Folgen verspricht. Das Interesse an seiner Klapa-Musik von so unerwarteter Seite hat Ante Bagaric und seiner Combo jedenfalls einen ganz neuen Schub verliehen, erzählt er. Jüngst sind sie spontan in einem Biergarten aufgestanden und haben gesungen, ebenso in der U-Bahn. „Zuerst haben die Leute erstaunt geschaut“, sagt Bagaric lachend, „dann haben sie aber laut geklatscht.“

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