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Eine Aufnahme von Helwine Roth 1947 im Braunschweiger Studio Five.

© Heidersberger

Heinrich Heidersbergers Aktfotos in Berlinr: Das Ornament der Brüste

Vor 65 Jahren experimentierte der Fotograf Heinrich Heidersberger mit Lichtkanonen. Jetzt werden seine Bilder in der Galerie Petra Rietz wieder entdeckt.

Für Aktfotos Modell stehen? Ja, wieso denn nicht! Helwine Roth zuckt die Achseln. „Ich war schon immer FKK und bin viel ohne Unterhose rumgerannt.“ Genierlichkeit, die gab es bei ihr nicht. Was für eine 23 Jahre alte Frau im Jahr 1947 keineswegs üblich war. Offensichtlich auch in ihrer Familie nicht. „Die wissen bis heute nichts davon“, sagt die lakonische Dame und bestaunt mit hochgezogenen Augenbrauen das plötzliche Interesse an ihrer Person.

„Kleid aus Licht“ heißt die Ausstellung mit Aktfotos von Heinrich Heidersberger, zu deren Eröffnung in der Galerie Rietz Helwine Roth aus Sonneberg in Thüringen angereist ist. Mit 88 Jahren.

Der Titel der im prüden Nachkriegsdeutschland durchaus gewagten Fotoserie stammt von Henri Nannen, mit dem der 2006 im Alter von 100 Jahren in Wolfsburg verstorbene Fotograf bekannt war. Einige der 60 Aufnahmen veröffentlichte Nannen 1949 im „Stern“. Natürlich garniert mit einem neckischen Onkeltext über „sparsam und praktisch mit Licht angezogene Mädchen“, der die sachlich-ästhetischen Schattenspiele „Stern“-typisch erotisiert. Prompt folgt ein moralischer Aufschrei der Leser, der die jetzt in einer kleinen Auswahl in Berlin gezeigten Fotos erst so richtig bekannt macht. Völlig ungeachtet der Tatsache, dass Heidersberger, einer der bedeutendsten deutschen Industrie- und Architekturfotografen, mit seinen Aufnahmen keinen feuchten Traum, sondern nur experimentelle Kunstfotografie im Sinn hat.

„Die da mit dem schönen Rücken ist Linda“, sagt Roth und zeigt auf einen der mit Punkten, Linien, Gittermustern verhüllten Frauenkörper an der Wand. „Und links daneben, die mit dem hellen Haar, das bin ich, das Zebra.“ So wurde sie wegen der Streifen, die Heidersberger ihren Brüsten, Beinen, Bauch vorzugsweise verpasst hat, seinerzeit genannt.

Über ihre Freundin Linda habe sie damals den Fotografen in Braunschweig auch kennengelernt, erzählt sie. Da war sie frisch geschieden und arbeitete in Hannover als Mannequin. Posieren kannte sie also schon. Als Gage für die Fotosession hat Roth zwei Aufnahmen aus der Serie bekommen. „Außerdem hat mir ,Kleid aus Licht‘ leider auch einen weiteren Ehemann eingebracht.“ Wie das? Ganz einfach, erzählt sie kühl. Nach der ersten Ausstellung der Fotos im Braunschweiger Nachtclub „Strohhalm“ seien alle Männer wild darauf gewesen, sie zu bekommen. Auf die blumigen Avancen eines Herrn ist sie dann reingefallen. „Gott sei Dank hat er sich nach anderthalb Jahren wieder davongemacht.“ Roth hat später keine verruchte Karriere als Nacktmodell hingelegt, sondern 45 Jahre als Pharmareferentin in München gearbeitet. Im Alter ist sie wieder in ihre thüringische Geburtsstadt zurückgekehrt. Nackt fotografiert zu werden war – trotz der Aufregung der Zeitgenossen – für sie nur eine Episode.

Für Heidersberger selbst gilt das genauso, wenn auch auf der anderen Seite der Kamera. Seine fotografische Versuchsanordnung, mit einer aus einem alten Kochtopf und einer Kondensorlinse gebastelten Lichtkanone mittels verschiedener Schablonen grafische Muster auf wellige Körperlandschaften zu projizieren, hat er wohlweislich nur in dieser Serie ausgeführt. Das Ergebnis ist visuell reizvoll, aber trägt als künstlerisches Konzept nur begrenzt.

Der 1906 in Ingolstadt geborene und in Linz aufgewachsene Heidersberger war einer, der ständig neue Ausdrucksformen und Interessensfelder erkundete. Das 2002 in Wolfsburg gegründete Institut seines Namens arbeitet eine Sammlung von 60 000 Negativen des Mannes auf, der sich auch als Astronom, Konstrukteur und Orchideenzüchter betätigt hat.

Seine abstrakten Akte sind deutlich von Man Ray beeinflusst, dessen Fotografien Heinrich Heidersberger begeisterten und den er im surrealistisch erblühenden Paris der Zwanziger selbst kennengelernt hat. Da studiert der spätere Fotograf zuerst Malerei bei Fernand Léger an der Académie Moderne und freundet sich mit Jean Cocteau, Yves Tanguy und Ernest Hemingway an. In den Dreißigern arbeitet er dann in Berlin als Fotoreporter für Ullstein und Scherl. Ein Auftrag des Architekten Herbert Rimpl, 1937 das Heinkel-Flugzeugwerk in Oranienburg zu dokumentieren, wird seine erste große Arbeit als Architekturfotograf.

In „Kleid aus Licht“ dienen ihm Frauenkörper nicht als Leinwand für Fantasien, sondern als Leinwand für das Phänomen Licht. Das fasziniert Heidersberger so, dass er nach der in der Ausstellung gezeigten Kochtopflichtkanone in den Fünfzigern sogar eine Monstermaschine aus Aluminium baut, um feine Lichtlinien auf Fotoplatten zu bannen. Eins dieser „Rhytmogramme“ soll Jean Cocteau als Geschenk für Pablo Picasso gekauft haben.

Namensgeklingel dieser Art perlt am einstigen Aktmodell Helwine Roth aber so was von ab. Sie hat sich über die Intentionen und Methoden des berühmten Heidersberger keine Gedanken gemacht. Er sei ein bekannter Fotograf gewesen und damit gut. „Ich dachte mir, der wird schon wissen, was er tut.“

Galerie Petra Rietz, Koppenplatz 11a, Mitte, bis 20.7., Mi-Sa 14-18.30 Uhr

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