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Kultur: Heißkalt ist die Nacht

Sex, Lügen und Videokameras: „Katze im Sack“ von Florian Schwarz

Komische Leute. Bewegen sich wie im Käfig, dauerträge, blitzwach. Umlauern sich. Bestehlen sich. Zocken sich gegenseitig ab. Machen Beute.

Zum Beispiel das Kindertagebuch mit schlimmen Schmollesonnen, das Doris im Zug dabei hat nach Mamas Beerdigung: so ein Beutestück. Karl sackt es einfach ein. Vorher hat er einem Gelegenheitsschwulen den Perso weggenommen, und weg ist er über die Landstraße unter den hohen weißen Windrädern. Oder die Marlboro-Stange, die angebrochene, die ein-, zwei-, dreimal den Besitzer wechselt. Hier, fang auf, schenk ich dir, hab ich gerade erst geklaut!

Nicht einfach, hier zurechtzukommen. Schön, dass man nicht gleich zurechtkommt in einem Film, der, noch ein kleines Rätsel, „Katze im Sack“ heißt, in viel zu vielen Filmen kommt man schließlich gleich zurecht. Schön, da selber Beute zu machen, indem man sieht. Schön, selber einer von diesen komischen Leuten zu sein, die auf die nächste Wendung lauern, unsichtbar dabei in eines kurzen Tages Reise in die Nacht.

Wo sind wir? In Leipzig, das immerhin ist klar. Es gibt den Hauptbahnhof, Taggelärme und großleere Nachtwelt, es gibt das „Lavozza“, die Karaoke-Bar, in der Doris arbeitet. Und in der ihr alternder Verehrer Brockmann mit schönem Bariton traurige Lieder singt, wenn er nicht gerade ihren seltsam exhibitionistischen Anfällen ausgesetzt ist. Oder ist er ein Voyeur? Und dann ist da von Anfang an Karl, der Streuner, den Doris im Zug kennengelernt hat, achwas, kennengelernt. Sie wird ihn, vielleicht, kennenlernen, aber da, Leute, das geht ganz schnell, da ist der Film schon zu Ende.

Oder auch: langsam. Guck nur genau hin, und die Zeit dehnt sich dir wie ein zitterndes Glück. Niemand erklärt hier, kein Voice Over spielt Reiseführer, alles passiert. Reim dir was zusammen, nur Vorsicht, gleich stimmt’s schon wieder nicht mehr. Hier eine Finte, da eine Lüge. Ein Irrgarten, dieser Film. So durchsichtig seine Bilder, und schon stößt du an die nächste Scheibe.

Karl also, der Austrickser, der Abzocker, findet eine Art Gefallen an Doris. Doris hat ihren Brockmann ein bisschen satt, aber fällt deswegen noch lange nicht auf Karl rein. Sie kennt diese Typen, sie kennt sich selbst. Keine Trauer, keine Tränen. Sie kennt nur verbrauchte Menschen: Menschen, die mal ein Wetteinsatz sind und mal bloß Tauschwertstoff für Körperlust, Menschen, die Material sind für andere und sonst gar nichts.

Kleines Elend, große Szenen. Brockmann hinterm vergitterten Klofenster unten im „Lavozza“, während die masturbierende Doris ihn von draußen fixiert: sein abwehrender, sein sich ergebender Blick. Oder Doris später in der Nacht, als sie mit einem lächerlichen Fremden roh an eine Grenze geht und drüber weg. Oder Karls Abstecher zu zwei putzigsüßen Schwestern, aber sind die überhaupt putzigsüß? Geständnisse, mit einem Hohnlachen dementiert. Sehnsucht, geschreddert. Ein Feel-Bad-Movie, ja, sehr, und auch wieder nicht. Denn in guten Filmen kann man sich gar nicht schlecht fühlen.

Doris: eine Wucht. Die Theaterschauspielerin Jule Böwe erstmals im Kino, schon das lohnt. Karl: Christoph Bach ist eine Wucht von jungem Mann, lonely macho, klar, aber dann wieder still, abwartend, verletzlich sogar. Brockmann: eine Wucht von verlorenem Mittfünfziger, Sicherheitstechniktyp in Sicherheitsleipzig, Walter Kreye gibt dem Augen und Stimme, das vergisst du nicht. Die Dialoge (von Michael Pröhl): einschneidend geschliffen, manchmal funkeln sie bloß – na und? Stumpfes gibt es genug. Dazu die Musik von 2raumwohnung, von Slut: das zaubert sich rein in die Nacht. Die meiste Zeit ist sowieso Nacht, die Philipp Sichlers Kamera zu wunderbar krankem Leuchten bringt.

Handlung? Auflösungen? Moral? Keine Moral. Keine Unmoral. Einer bleibt auf der Strecke. Stark, wie die Kamera sich hocharbeitet, hochrobbt an den Totenklamotten, trauriges, unendliches Grün und Anthrazit und Grau, irgendwann ist auch sie eine der seltsamen Menschenmaschinen im Käfig. Nach diesem Tod ist ein Weg frei, oder ein paar mehrere, nur stand der Typ niemandem im Weg. Wer sich nachher findet oder auch nicht, weiß nicht mal, dass da einer tot ist. Noch so ein Witz, wie er auch vorkommen könnte im sogenannten Leben, noch so’ne Lücke. Wen’s stört. Aber wen stört’s.

Florian Schwarz heißt der Regisseur dieses überaus bemerkenswerten Films, und es ist sein erster. Um so besser. Jetzt die Höhe halten, den Ehrgeiz, und vielleicht nur ein ganz klein bisschen weniger absichtsvoll werden. „Katze im Sack“ ist seine Abschlussarbeit an der Filmakademie Ludwigsburg, und Preise gab’s dafür noch und noch. Und mit diesem heißkalten Knaller wagt ein neuer Berliner Verleih, jetfilm, seinen Start: Besser geht’s nicht. Immer wieder erneuert sich das deutsche Kino, mit Leuten, die nicht einfache, dafür kluge, herzensbös nachhaltige, souverän ausgespielte Filme machen. Schönschwarze Nacht in Leipzig und anderswo, schön hell.

Central und Kulturbrauerei

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