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Kultur: Held der leisen Töne

Marcelo Alvarez singt in der Berliner Philharmonie von der Liebe

Marcelo Alvarez ist ein südländischer Genussmensch durch und durch, ein leidenschaftlicher Romantiker und vor allem: ein Bühnentier. Was der argentinische Tenor braucht, ist ein roter Vorhang, hinter dem er auftauchen kann, das weite Halbrund eines traditionellen Logentheaters, den Scheinwerfer, der seine Gestalt aus dem Dunkel heraushebt. Seinen ersten Berliner Arienabend gibt er in der Philharmonie, Hans Scharouns kühnem, kühlem Bau. Nicht das ideale Ambiente für einen wie ihn.

Als Held der leisen Töne präsentiert sich der Tenorstar aus Südamerika: Alvarez ist keiner, der billige Effekthascherei betreibt. Am Ende einer Melodiephrase zoomt seine warme, leuchtkräftige Stimme immer wieder ins feinste Pianissimo zurück, sogar bei Zugabe-Krachern wie „O sole mio“. Selbst in der Konzertsituation identifiziert er sich vom ersten Takt an hundertprozentig mit den Charakteren, gestaltet Rezitative plastisch und packend, geht auf die Zehenspitzen, wenn die Gefühle dem Siedepunkt zustreben. Besonders das französische Fach ist für seinen lyrischen Tenor ideal. Makellos die Diktion, herrlich die Geschmeidigkeit der vokalen Linien – betörende Eleganz gepaart mit kernig-virilem Timbre. Nach der „Blumenarie“ aus Bizets „Carmen“ kommen die ersten Bravos. Alvarez strahlt dankbar übers ganze Gesicht: „Diese Arie habe ich heute zum ersten Mal öffentlich gesungen. Youpie!“

Don Josés glühendes Verlangen nach Carmen steht allerdings schon an vorletzter Stelle im offiziellen Programm. So wunderbar nuanciert und klangschön Alvarez jede einzelne Nummer von Gounod bis Puccini gestaltet, der Saal wird nur langsam warm. Denn wie so oft bei den Recitals der ganz großen Interpreten gibt es jede Menge orchestralen Füllstoff zwischen den Auftritten des Stars: die Ouvertüren zu Bellinis „Norma“, Hérolds „Zampa“, Verdis „Luisa Miller“ und „Macht des Schicksals“, das „Cavalleria rusticana“-Intermezzo und Ponchiellis „Tanz der Stunden“. Die Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz zeugt zwar vom hohen Niveau der deutschen Provinzorchester, und Angelo Cavallaro erweist sich als detailgenau arbeitender Maestro, doch Alvarez’ durchweg sehr kurze Arien wirken da letztlich wie Sahnekleckse auf einem bunten Obstkuchen. So funktioniert der Klassikbetrieb: Verknappung macht die Ware nur noch begehrenswerter. Immerhin: Der Künstler spendiert drei Zugaben.

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