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Alter Ego: Jean-Pierre Léaud in "Liebe auf der Flucht" von 1978, einem von fünf Filmen, die Regisseur Francois Truffaut mit dem Schauspieler drehte.

© picture alliance

Held der Nouvelle Vague: Jean-Pierre Léaud zum 70.: Der Mann aus Vergangenheit

Er ist eine Legende der Nouvelle Vague und war Truffauts Alter Ego: Zum 70. Geburtstag des französischen Filmschauspielers Jean-Pierre Léaud.

Ab und zu taucht er noch auf der Leinwand auf, dunkles Phantom, um gleich wieder zu verschwinden, gerade so wie ein Buckelwal vor der Felsküste von Big Sur. „Guck mal, Jean-Pierre Léaud!“, heißt es dann auf den Parkplätzen im Hochparterre, von denen aus man in die pazifischen Tiefen der Filmgeschichte schaut, „das war doch der Léaud!“ Ja, das war er, aber da ist der Meeresspiegel schon wieder friedlich glatt, als hätte man diesen Léaud da eben nur geträumt.

In Aki Kaurismäkis „Le Havre“ zum Beispiel, auch schon wieder drei Jahre her, hatte er eine winzige Rolle als böser Nachbar und Denunziant, ein Schattenmann im Staubmantel, ein Staubgeschöpf am Telefon, und am anderen Ende der Leitung ist bitte schön die Polizei. Genau so hätte Kaurismäki ihn 2002 als „Mann ohne Vergangenheit“ besetzen können, nur dass dem stillfinsteren Léaud vielleicht das Glück nicht so gut stehen mag, das den Mann ohne Gedächtnis am Ende ereilt. Andererseits: Hatte er solch einen Pechpilz nicht längst für Kaurismäki gespielt – vor fast einem Vierteljahrhundert, als Selbstmordlustigen in „I Hired a Contract Killer“, der sich in eine Blumenverkäuferin verliebt?

Léaud war Truffauts Lieblingsheld Antoine Doinel, in fünf Filmen

„Der Mann mit Vergangenheit“: Eher so könnte man den Lebensfilm des Jean-Pierre Léaud titeln, oder sogar „Der Mann aus Vergangenheit“. Am heutigen Montag wird der scheue Schauspieler 70, und wenn er, Ikone und Legende und Archetyp, sich denn mal irgendwo materialisiert, dann spielt er am liebsten einen wie nicht mehr von dieser Welt. Oder noch lieber, als sei er lebenslang eher aus jener Welt gewesen, jener des Kinos, und steige nur, zwecks Eröffnung einer Retrospektive oder Gewährung eines Interviews, ausnahmsweise hinüber in die, die wir sicherheitshalber die unsere nennen.

Zwei oder drei Dinge, die man von ihm weiß: Ja, Léaud hat, jung, in einigen Godard-Filmen mitgespielt. Vor allem aber war er François Truffauts Lieblingsheld Antoine Doinel, fünf Filme und zwanzig Jahre lang. Zuerst mit 14, in „Sie küssten und sie schlugen ihn“, gleich ein Tripel-Durchbruch: für den Debütanten Truffaut, der mit Mitte zwanzig in Cannes die Regie-Palme holte, für den widerspenstigen Internatszögling Jean-Pierre und für die Nouvelle Vague überhaupt. So viel plötzlicher Ruhm, der ein Legendenleben lang halten sollte und den der Halbwüchsige 1959 in Cannes so feierte: „Das ist alles Wahnsinn hier, ich weiß schon gar nicht mehr, wie mein Leben ausgesehen hat vor dem Festival.“

Und wie lebte Léaud nachher? So unstet vielleicht wie der narzisstische Frauennichtversteher Antoine Doinel, den Truffaut als sein Alter Ego erfand. So filmverrückt und filmverschlungen wie der intellektuell versponnene Jungregisseur, der in Bernardo Bertoluccis „Letztem Tango in Paris“ die Welt ausschließlich durchs Objektiv wahrnimmt und doch unbedingt die ungemein physische Maria Schneider heiraten will. So nervtötend auch wie der brüllend komische, komisch brüllende Starschauspieler in Truffauts „Amerikanischer Nacht“, der mitten im Identitäts- und Liebeschaos schon mal Kollegenseelen wie Hotelzimmer zertrümmert.

Zorn, Zweifel und Zynismus

Vage Vermutungen, genährt durch Léauds lebenslanges Mantra, recht eigentlich nur in seinen Filmen zu existieren. Verbürgt immerhin ist eine manifeste Lebenskrise, nach François Truffauts frühem Tod 1984. Und, auch diese düstergroteske Anekdote gibt es, für zwei Wochen die unangenehme Bekanntschaft mit Pariser Gefängnissen (er hatte mit einem Blumentopf nach einer Nachbarin geworfen). Vermischte Nachrichten sind das aus einer Biografie, die sich ganz aufs Verwischen verlegt; die Jugend hingegeben als Projektionsfigur der vergötterten Regisseure, als Gesicht, in das sich deren Zorn und Zweifel und Zynismus einschrieben – und irgendwann legt man eine denn doch eigene, etwas wächserne Schicht drüber.

Letztes Jahr immerhin, das Berliner Kino Babylon Mitte feierte ihn mit einer Reihe, war Jean-Pierre Léaud sehr wirklich da: etwas gebrechlich, augenblicksweise zart abwesend, aber grundfreundlich, ja, heiter. Weil ein Gespräch verabredet war, waren Wörter nicht zu vermeiden, manchmal sprudelten sie sogar hervor. Um zwischendurch immer wieder dem eigentlichen Zuhause Raum zu geben, dem Schweigen, dem endlich still gewordenen Ozean.

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