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Die Schauspielerin Helen Schneider, 63, lebt seit 2007 in Berlin.

©  Anatol Kotte

Helen Schneider im Porträt: Ihr Lächeln, fein gefältelt

Die Sängerin Helen Schneider ist in vielen Musikstilen zu Hause. Jetzt spielt sie in „Der Ghetto Swinger“ am Ku’damm-Theater. Eine Begegnung.

Ihr erster Stoßseufzer war, oh nein, nicht schon wieder! Bloß keine weitere Rolle in einem Stück, in dem es um das Deutschland der Nazizeit, um den Holocaust geht. Wo Intendant Helmut Baumann die Sängerin und Schauspielerin doch schon 1987 nach Berlin holte, um sie als Sally Bowles in „Cabaret“ am Theater des Westens zu besetzen.

„Mich hat mein Part in Joshua Sobols ,Ghetto’ am Broadway 1989 halb umgebracht.“ Ja, Helen Schneider stammt aus einer jüdischen Familie. Ihre Stiefmutter hat das Warschauer Ghetto überlebt. Aber sie selbst ist kein bisschen religiös und 1952 in New York City geboren. Doch als Regisseur Gil Mehmert, den sie von anderen Musiktheaterproduktionen kennt, ihr die Autobiografie von Coco Schumann zu lesen gibt, da hat sie sie sofort geliebt. „Weil sie von der Macht der Musik erzählt, die ein Scheinwerfer in dunklen Zeiten ist.“

Das 1997 erschienene Buch und das darauf fußende, nur einen Teil von Schumanns Lebens thematisierende Stück erzählen von dem jüdischen Berliner Gitarristen, der schon als Kind vom Swing fasziniert ist, sich im Nationalsozialismus der verbotenen Swingjugend anschließt und 1943 mit 19 Jahren nach Theresienstadt deportiert wird. Als Mitglied der Ghetto Swingers überlebt er hier wie auch in den Konzentrationslagern Auschwitz und Dachau. Im Jahr 1945 kehrt er in seine Heimatstadt zurück und nimmt – nur durchbrochen von einer glücklos verlaufenen Auswanderung nach Australien – die Musikerkarriere wieder auf.

2012 hatte Gil Mehmerts Bühnenadaption „Der Ghetto Swinger – Aus dem Leben des Jazzmusikers Coco Schumann“ Premiere in den Hamburger Kammerspielen. Und nun sei es endlich soweit, stellt Helen Schneider befriedigt fest, dass das Stück auch dort länger zu sehen sei, wo es spiele und hingehöre – in Berlin.

Coco Schumann wird zur Premiere erwartet

Hier lebt der 1924 geborene und auch bei der Premiere am kommenden Mittwoch erwartete Jazzgitarrist heute noch. Und hier wohnt seit 2007 auch Helen Schneider, die auf Berliner Bühnen zuletzt 2010 im Renaissance-Theater als June Carter in Volker Kühns Theaterstück über Johnny Cash zu sehen war.

Helen Schneider. Das ist ein Name im Showgeschäft, in der Musikbranche, den es irgendwie schon immer gegeben zu haben scheint. Die Amerikanerin, die in Alfred Bioleks Fernsehshow „Bio’s Bahnhof“ ihren Durchbruch in Deutschland hatte. Die ein Rollschuhe tragender Udo Lindenberg dann im Lone Star Café in New York gefragt hat, ob sie 1980 mit ihm auf große Deutschland-Tour gehen will. Die danach den Hit „Rock’n’Roll Gypsy“ hatte. Die als erste westliche Künstlerin überhaupt in Ost-Berlin im Palast der Republik auftreten durfte. Die nach dem Musicaldebüt am Theater des Westens dann von „Evita“ über „Victor/Victoria“ bis zu „Sunset Boulevard“ unzählige Musicalrollen gesungen und über die Jahre immer wieder musikalisch sehr facettenreiche Alben eingespielt hat.

Ihr Repertoire reicht von Kurt Weill über Stephen Sondheim bis zu Bert Kaempfert oder einem von Till Brönner produzierten Album mit Jazzstandards. Das jüngste Werk trägt den Titel „Collective Memory“ und vereint zwölf Songs in gepflegt-melancholischem Singer-Songwriter-Pop, obwohl Helen Schneider erklärtermaßen Interpretin und keine Schreiberin ist. Singen könne sie einfach besser, sagt die schöne Frau und lächelt fein gefältelt. Ihr Denglisch ist so nett wie das französische Bistro in Wilmersdorf, in dem sie eine Creme brulée löffelt. Die Wohnung hat sie häufig gewechselt, seit sie mit ihrem Mann und Manager George Nassar aus dem heimischen New England – genervt von der Stimmung in den Staaten unter Präsident George W. Bush – erst nach Südfrankreich und dann nach Berlin gezogen ist, aber nicht den Kiez. Der weckte Heimatgefühle in ihr, dort wohnte sie schon in den achtziger Jahren.

Auf dem aktuellen Album geht es um Verlust und Trauer

Den Gefährten von 40 gemeinsamen Jahren hat sie unterdessen an den Tod verloren, wovon auch das Album „Collective Memory“ erzählt. Die den Verlust umkreisenden Texte schrieb ihr ihre alte Freundin Linda Uruburu auf den Leib. „Ich habe sonst einfach keine Lieder gefunden, die die Erfahrungen meines Lebensalters ausdrücken.“ Das im kommenden Jahr erscheinende Album werde aber eins, dass vom Aufbruch, vom Vorwärtsgehen nach dem Überwinden der Trauer handele.

Das leuchtet ein: Die Flamme der Lebensfreude, von der Helen Schneider sichtlich beeindruckt in Bezug auf ihre Treffen mit Coco Schumann erzählt, glüht auch in ihren kohlschwarzen Augen. Im „Ghetto Swinger“, wo sie mit sechs Kollegen auf der Bühne steht, die in einem minimalistischen Bühnenbild und in fließenden Übergängen sowohl Instrumente spielen als auch Schauspielern, verkörpert sie mit ihrer wandlungsfähigen Gesangsstimme gleich mehrere Charaktere – darunter die Erzählerin, eine Mutter, eine Liebhaberin, einen Schutzengel. Sie singt Gassenhauer wie Willi Kollos „Es gibt nur ein Berlin“ und Friedrich Hollaenders bitterböses Couplet „An allem sind die Juden schuld“.

Helen Schneider hofft auf Bernie Sanders

Dass Stück sei für sie ein Augenöffner gewesen, sagt Helen Schneider, auch musikalisch. „Ich wusste vorher nicht, wie Jazz und Schlager sich im Berlin der Dreißiger überkreuzt haben.“ Und den Musiker und Menschen Coco Schumann habe sie zuvor auch nicht gekannt. Und dass, obwohl sich die als klassische Pianistin ausgebildete Amerikanerin mit den europäischen Wurzeln gerade kulturell in Europa viel wohler fühlt. „Die Ausnahme ist New England, das hat nach wie vor einen großen Platz in meinem Herzen.“

Das passt, wo Connecticut, New Hampshire, Maine und Vermont doch die europäische Ecke der Vereinigten Staaten sind. Und außerdem das Revier von Bernie Sanders, dem linken demokratischen Präsidentschaftskandidaten, dessen Fan Helen Schneider ist. Zwar glaubt sie nicht an seine Nominierung und will ersatzweise für seine Konkurrentin Hillary Clinton stimmen, aber dass sich die amerikanische Gesellschaft reformieren muss, hält sie für unerlässlich.

„Ich bin ein Kind der Sechziger, wir brauchen einen neuen ,New Deal’, um die Schere zwischen Arm und Reich zu verringern und die ausgebluteten Sozialsysteme neu aufzubauen.“ Sie redet sich in Rage, ihre Augen blitzen. Was hatte sie eingangs über den „Ghetto Swinger“ gesagt? „Wir erzählen nur, wir predigen nicht.“ Das sei es, was ihr an dem Stück gefalle. Mag sein, doch als Predigerin wäre Helen Schneider auch nicht schlecht.

„Der Ghetto Swinger“ im Theater am Kurfürstendamm, Premiere 13. April, 20 Uhr. Aufführungen bis 29. Mai. Außerdem gibt Helen Schneider vom 12. bis 17. Juli Konzerte im A-Trane, Bleibtreustr. 1 in Charlottenburg.

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